"Der BVB wird in Watte gepackt"

SPOX
19. Dezember 201417:55
Borussia Dortmund ist derzeit die auswärtsschwächste Mannschaft der Bundesligaspox
Werbung

Borussia Dortmunds Horror-Vorrunde endet mit dem Kellerduell bei Werder Bremen (Sa. 15.30 Uhr im LIVE-TICKER). Ist ein Abstieg am Ende der Saison realistisch? Muss der BVB auf dem Transfermarkt nachlegen? Und ist Klopp noch der richtige Trainer? Zwei SPOX-Redakteure, ein Goal.com-Redakteur sowie mySPOX-User Talentfrei diskutieren die fünf wichtigsten Fragen zur Krise des BVB.

Nur Platz 16: Ist ein Abstieg des BVB realistisch?

Jochen Tittmar (SPOX): Wer mit einem solch qualitativ hochwertig besetzten Kader in 16 Spielen mickrige 15 Punkte holt und das auswärtsschwächste Team der Liga stellt, der kann gewiss auch absteigen. So absurd dieses Szenario aufgrund der Dortmunder Fallhöhe auch erscheinen mag. Ich glaube aber daran, dass das Team in der Rückrunde in der Lage sein wird, mindestens drei Mannschaften hinter sich zu lassen.

Andreas Lehner (SPOX): Die Winterpause wird im Moment als eine Art Allheilmittel angesehen. Ein paar Wochen gemeinsam trainieren und dann läuft's schon wieder. Aber was passiert, wenn das nicht so einfach klappt? Der BVB hat in 16 Spieltagen keine Konstanz in seine Leistungen gebracht und die meisten Niederlagen aller Teams kassiert. Das ist die Bilanz eines Abstiegskandidaten. Immerhin passen die Heimspiele einigermaßen. Deshalb wird es auch für den Klassenerhalt reichen, aber Dortmund wird nicht so schnell unten rauskommen.

Stefan Döring (Goal.com): Nein! Dafür hat Borussia Dortmund eindeutig zu viel Qualität im Kader, die die Mannschaft in dieser Saison bereits in einigen Spielen hat aufzeigen können. Die Partie gegen den VfL Wolfsburg war das beste Beispiel dafür. Dem BVB fehlt es momentan einfach an der Abstimmung und vor allem kassiert er zu viele "einfache" Tore, die wichtige Punkte kosten. Wenn die Schwarz-Gelben die Winterpause nutzen, um an Taktik, Laufwegen und Co. zu arbeiten, wird der BVB sogar noch einmal gen Europa schielen können.

mySPOX-User Talentfrei: Grundsätzlich ist alles realistisch und man kann natürlich nicht ausschließen, dass sich die Negativspirale bei Borussia Dortmund auch im kommenden Jahr fortsetzt. Allerdings denke ich, dass Dortmund nach den guten Ansätzen gegen Wolfsburg, als man auch spielerisch wieder gute Momente hatte, und einer guten Wintervorbereitung gestärkt in die Rückrunde gehen wird, mit neuem Mut und neuem Selbstvertrauen. Hinzu kommt, dass sich die personelle Lage im neuen Jahr voraussichtlich entspannen wird. Dortmund wird wohl eine schwere und komplizierte Restsaison haben und ich kann mir nicht vorstellen, dass man es noch unter die ersten vier schafft, der Abstieg ist für mich aber auch kein Thema.

Platz 16: Ist ein Abstieg des BVB realistisch?

Ist Jürgen Klopp noch der richtige Trainer?

Hat der BVB die bedrohliche Lage unterschätzt?

Muss der BVB im Winter am Kader basteln?

Bröckelt die heile BVB-Welt?

Ist Jürgen Klopp noch der richtige Trainer?

Jochen Tittmar (SPOX): Ja. Unbestritten hat er im vergangenen halben Jahr mehr Fehler gemacht als gefühlt in den vergangenen drei Spielzeiten zusammen. Ihn hat die Negativspirale genauso überrascht wie den gesamten Klub. Starker Kader hin oder her - der BVB hat seit über einem Jahr eklatante Personalprobleme. Damit sind die Borussen in der Liga nicht allein, doch sehe ich in der Zusammenarbeit zwischen Klopp, Mannschaft und sportlicher Führung keine Risse. Ich traue Klopp vollkommen zu, die Krise trotz der aktuellen Entwicklungen bewältigen zu können.

Andreas Lehner (SPOX): Er ist sogar der einzige Trainer, der in Frage kommt. Der Kader, ja der ganze Verein, sind total auf ihn zugeschnitten. Er gibt die Richtung vor beim BVB - und alle (inklusive Watzke und Zorc) folgen. Jetzt den Trainer zu tauschen, würde das wacklige Gebilde noch viel mehr durcheinander bringen. Ob diese Abhängigkeit von Klopp auf Dauer die optimale Ausrichtung ist, ist ein anderes Thema. In der jetzigen Situation gibt es zu Klopp aber keine Alternative.

Stefan Döring (Goal.com): Ja, keine Frage. Das Wichtigste in der rauen Zeit beim BVB ist ein Trainer, der sich schützend vor seine Mannschaft stellt und die Ruhe bewahrt. Das gelingt ihm wie keinem anderen. Seien wir doch mal ehrlich: Selten wird über einzelne Spieler gesprochen oder geschrieben, meistens steht der Trainer im Fokus. Das Team kann so ruhiger auf dem Platz an den Schwächen arbeiten, die Klopp auch durchaus erkannt hat. Dass er die Spieler erreicht, spiegelte sich besonders in den guten Spielen dieser Saison wider, wenn auf einmal alle Puzzleteile zusammen passen. Auch die Spieler loben den Trainer und erkennen, dass sie die Arbeit mit ihm voranbringen. Ciro Immobile bestätigte das erst am Mittwochabend in der Mixed Zone, als er erklärte, dass Klopp speziell mit ihm an Laufwegen arbeite.

mySPOX-User Talentfrei: Sofern ich das von außen beurteilen kann: absolut. Es gibt natürlich Momente, in denen er eine gewisse Fassungslosigkeit ausgestrahlt hat, das ist allerdings logisch und absolut verständlich, da auf dem Platz teilweise Dinge passiert sind, die nichts anderes als Fassungslosigkeit auslösen. Klopp wird Lösungen finden müssen und sicherlich hat auch er einen Anteil an der Situation, aber ihn nach den letzten Jahren infrage zu stellen, halte ich für übertrieben, zumal sehr viele individuelle Fehler zu Gegentoren führten und bei den Spielern mit der Zeit einfach das nötige Selbstverständnis fehlte, um in engen Spielen in den entscheidenden Situationen richtig zu handeln.

Platz 16: Ist ein Abstieg des BVB realistisch?

Ist Jürgen Klopp noch der richtige Trainer?

Hat der BVB die bedrohliche Lage unterschätzt?

Muss der BVB im Winter am Kader basteln?

Bröckelt die heile BVB-Welt?

Hat der BVB die bedrohliche Lage unterschätzt?

Jochen Tittmar (SPOX): Eindeutig. Das lange Schielen Richtung CL-Plätze hat blind gemacht - und zwar jeden im Klub. Die Mannschaft haderte zu lange mit dem eigenen Schicksal und ließ vor allem die für ihr Spiel unabdingbare Gier vermissen. Die bringt man auch jetzt noch nicht auf den Platz. Ich glaube, erst die fußballfreie Zeit im Winter wird bei den Beteiligten zur vollständigen Erleuchtung führen, was da im letzten halben Jahr überhaupt passiert ist.

Andreas Lehner (SPOX): Bei einigen Spielern bin ich mir immer noch nicht sicher, ob sie die Situation verstanden haben. Dass Watzke eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede halten musste, sagt einiges. Dass sie kaum einen Effekt hatte, noch viel mehr. Öffentlich wird der BVB noch in Watte gepackt. Beim HSV oder in Stuttgart ist viel mehr Feuer, obwohl andere Voraussetzungen herrschten. Die Spieler scheinen sich von der Diskussion über Qualität blenden zu lassen. Vor allem in den Auswärtsspielen wird deutlich, dass bei vielen immer noch nicht angekommen ist, dass es in dieser Saison nur um eines geht: den Klassenerhalt.

Stefan Döring (Goal.com): Ich denke schon. Lange hieß es in Dortmund, dass die Situation gar nicht so schlimm wäre. Doch der Eindruck täuschte. Die Verunsicherung machte sich schnell breit, die leichtesten Dinge gelangen nicht. Gegen Gegner, die der BVB eigentlich als schlagbar eingestuft hat, wurde verloren (Köln, Hertha, Hannover...). Der Abstiegskampf, in dem Borussia steckt, wurde nicht angenommen. Hinzu kam die missliche personelle Lage. Der BVB kann von Glück reden, dass das Umfeld und die Fans bisher relativ ruhig geblieben sind.

mySPOX-User Talentfrei: Ich denke nicht. Bei einer solchen Negativserie spielen viele kleine Dinge zusammen, die im Endeffekt für eine solche Hinrunde sorgen. Der Saisonauftakt war schwer, man hatte auch ein wenig Pech und musste erst zusammenfinden, viele Verletzungen machten elementare Faktoren wie Rhythmus und Balance zunichte und den Verantwortlichen dürfte relativ schnell klar geworden sein, dass man Probleme bekommen wird. Sicherlich weiß jeder um die Qualität der Mannschaft, die man in der Königsklasse besonders in den ersten vier Spielen auch unter Beweis gestellt hat, aber man hat die Situation doch immer sehr realistisch analysiert und ist gut mit der Thematik umgegangen.

Platz 16: Ist ein Abstieg des BVB realistisch?

Ist Jürgen Klopp noch der richtige Trainer?

Hat der BVB die bedrohliche Lage unterschätzt?

Muss der BVB im Winter am Kader basteln?

Bröckelt die heile BVB-Welt?

Muss der BVB im Winter am Kader basteln?

Jochen Tittmar (SPOX): Schwierig. Es bräuchte ja einen Transfer, der der Stammelf sofort weiterhilft - im Winter traditionell schwer zu bekommen. Andererseits stehen Mkhitaryan (verletzt), Aubameyang (Afrika Cup), Kagawa (Asien Cup) und der lange verletzte Reus zu Beginn der Rückrunde nicht zur Verfügung. Das sollte die Verantwortlichen zumindest ins Grübeln bringen. Für zahlreiche Spieler stellt die Winterpause wiederum eine geeignete Periode dar, in der man neben den psychischen vor allem an den physischen Problemstellen arbeiten und sie bestenfalls beseitigen kann. Sahin, Kirch, Großkreutz, Gündogan, Kagawa, Durm, Sokratis, Kuba - sie alle müssten Ende Januar einen großen Schritt weiter sein. Fragt sich nur, ob der dann auch zur Stabilität führt.

Andreas Lehner (SPOX): Der Winter-Transfermarkt ist grundsätzlich schwierig, ein größerer Umbau nicht möglich. Der BVB hat sich vor der Saison deutlich breiter aufgestellt, der Kader ist groß, aber die erhoffte qualitative Verbesserung auf den Kaderplätzen 12 bis 18 ist bisher nicht eingetreten. Die Transferbilanz der letzten Jahre ist insgesamt eher mau. Die Dortmunder müssen ihre Hoffnungen auf die Rückkehr der Verletzten richten.

Stefan Döring (Goal.com): Jein. Fakt ist, dass der BVB einen qualitativ hochwertigen Kader besitzt. Das große Problem ist, dass immer wieder wichtige Stammkräfte verletzungsbedingt fehlen. Die Einsätze von Reus in dieser Saison kann man gefühlt an einer Hand ablesen, Kuba kommt gerade erst wieder, Mkhitaryan fehlt auch länger. Ausschließen lassen sich solche Rückschläge in der Rückrunde natürlich nicht. Sollte also ein bezahlbarer Spieler auf dem Markt sein, der den BVB auf Anhieb weiter bringt, gehe ich davon aus, dass die Verantwortlichen sich den genauer ansehen. Vor allem, wenn es ein offensiv- und abschlussstarker Spieler ist. Denn am Tore schießen hapert es aktuell noch gewaltig.

mySPOX-User Talentfrei: Schwieriges Thema. Zuerst muss man anführen, dass mit Sokratis, Reus, Mkhitaryan und auch den zuletzt wieder regenerierten Kuba und Sahin fünf Spieler zum Team stoßen, die neue Qualität in die Mannschaft bringen. Das kann natürlich zur Folge habe, dass man wieder besser auf dem Platz harmoniert. Grundsätzlich kann es natürlich nicht schaden, wenn man sich auf dem Wintertransfermarkt nach einem Schnäppchen umschaut, besonders weil im Sommer einige Spieler mit auslaufendem Vertrag auf dem Markt sind, allerdings würde ich es vielleicht für klüger halten, wenn man den Kader in der Rückrunde genau beobachtet und im Sommer einen entsprechenden Schnitt wagt und Spieler relativ gnadenlos aussortiert.

Platz 16: Ist ein Abstieg des BVB realistisch?

Ist Jürgen Klopp noch der richtige Trainer?

Hat der BVB die bedrohliche Lage unterschätzt?

Muss der BVB im Winter am Kader basteln?

Bröckelt die heile BVB-Welt?

Weidenfeller rasiert, Großkreutz und Ramos nicht im Kader: Bröckelt die heile BVB-Welt?

Jochen Tittmar (SPOX): Die Personalie Weidenfeller muss man losgelöst sehen. Das Zeichen, das Klopp damit aussenden wollte, hat keine Nachhaltigkeit mit sich gebracht. Zwei formschwache Spieler dagegen für eine Partie aus dem Aufgebot zu streichen, wenn vor allem frischere Alternativen vorhanden sind, halte ich nicht für ein fatales Indiz. Doch der Zusammenhalt, die Gier und das Wir-Gefühl haben unter der Krise deutlich sichtbar gelitten. Dass nach dieser Saison aber alles auseinanderfällt, daran glaube ich nicht.

Andreas Lehner (SPOX): Es ist verständlich, dass Klopp in der prekären Lage einiges probiert, nur der gewünschte Erfolg bleibt aus. Vieles wirkt deshalb aktionistisch. Aber es sind die Zwischentöne, die am lange beschworenen Zusammenhalt zweifeln lassen. Hummels indirekte Kritik an Weidenfeller, Piszczeks indirekte Kritik an Subotic: Diese Dinge sind in einer Mannschaft gefährlich.

Stefan Döring (Goal.com): Sicherlich sind diese Vorkommnisse ungewöhnlich bei den Westfalen. Das ist die aktuelle Situation aber auch. Besondere Momente benötigen besondere Maßnahmen. Weidenfeller ist ein verdienter Spieler beim BVB und wird höchstwahrscheinlich zur Rückrunde in den Kasten zurückkehren. Schließlich ist Langerak im Januar beim Asien Cup. Er kann mit der Situation durchaus umgehen, auch wenn es ihn sichtlich wurmt. Großkreutz wird nicht müde zu betonen, wie sehr er den Verein liebt. Und egal in welcher Situation der BVB war, Großkreutz hatte immer seinen Platz im Team, auch wenn er mal Mist gebaut hat. Mit seiner Leidenschaft ist er unverzichtbar.

mySPOX-User Talentfrei: Ich würde noch nicht einmal sagen, dass man diese Spieler "rasiert" hat. Eine schwierige Situation wirkt sich auf jeden Spieler anders aus, Weidenfeller hatte seine Unsicherheiten und wurde zurecht aus dem Tor genommen, auch um eine weitere Schädigung des Selbstvertrauens zu verhindern. In der Winterpause beginnt der Konkurrenzkampf neu. Auch Großkreutz machte teilweise unerklärliche Fehler, spielte aber gegen Wolfsburg und ist in bestimmten Situation alleine wegen seines Typus wichtig. Ich kann interne Themen nicht seriös beurteilen, aber "rasiert" halte ich für übertrieben, beide Spieler haben lediglich die Quittung für schlechtere Leistungen erhalten.

Platz 16: Ist ein Abstieg des BVB realistisch?

Ist Jürgen Klopp noch der richtige Trainer?

Hat der BVB die bedrohliche Lage unterschätzt?

Muss der BVB im Winter am Kader basteln?

Bröckelt die heile BVB-Welt?