Armin Veh ist ein Bauchmensch. Bei wichtigen Entscheidungen hört er meist tief in sich hinein und lässt sich im Anschluss von seinem Gefühl treiben. Sollte er von einem Entschluss nicht mehr vollends überzeugt sein, trägt er ihn nicht mit und schmeißt hin. Denn ein Projekt zu unterstützen, hinter dem er nicht steht, widerstrebt ihm. Das bekam Hansa Rostock zu spüren, der Hamburger SV und im Spätherbst 2014 zum zweiten Mal auch der VfB Stuttgart.
Ein langfristiges Zwei-Jahres-Projekt wollte man mit dem Meistertrainer von 2007 damals angehen. Doch nach nur 12 Spielen warf Veh hin. Er glaube nicht, dass er den Abwärtstrend abwenden könne, begründete der gebürtige Augsburger seinen Abschied. Seine Methoden fanden keine Wirkung, Veh wirkte ratlos.
Schon am nächsten Tag hatte der Klub die Lösung für die Ratlosigkeit parat. Mit Huub Stevens installierte man den klassischen Feuerwehrmann. Ein Unterfangen, das sich bereits in der Saison zuvor erfolgreich gestaltete. Damals holte man den Niederländer zehn Spieltage vor Ende der Saison mit einem klaren Auftrag: Klassenerhalt.
12 Punkte heimste Stevens damals mit dem Team aus den verbliebenen Spielen ein und hielt letztlich die Liga. Die Mission war geschafft. Weil mit Veh bereits die langfristige Lösung bereitstand, gingen beide Parteien dennoch getrennte Wege.
Neun Punkte aus neun Spielen
Nach dem Rücktritt Vehs erinnerte man sich jedoch schnell an das erfolgreiche Intermezzo. Warum sollte es nicht ein zweites Mal klappen? Das Ziel war exakt das gleiche, der Zeitpunkt jedoch ein anderer. Da erst 12 Partien gespielt waren, bekam der Niederländer jedoch ungleich mehr Zeit, das Schiff zu retten. "Ein erfahrener Trainer, der konsequent durchgreift und konsequent seine Entscheidungen trifft, so einen brauchen wir", sagte Keeper Sven Ulreich.
Neun Spiele sind seitdem vergangen. In der Liga hält man wie bei der Übernahme weiterhin die Rote Laterne, der Abstand zu den Nichtabstiegsplätzen ist sogar angewachsen. Der Heilsbringer der letzten Saison wirkt bereits jetzt angeknockt und erste Zweifel am Klassenerhalt kamen auch bei ihm ans Tageslicht.
Nach der Last-Minute-Pleite gegen Hoffenheim bestätigte der 61-Jährige direkt im Anschluss an die Partie am "Sky"-Mikrofon, dass er schon ein wenig ratlos sei und hakte hämisch beim Reporter nach: "Haben Sie vielleicht einen Tipp für mich?"
Neun Punkte holte der VfB seit seinem erneuten Amtsantritt. Obwohl bei einem Dreier am Freitag gegen Dortmund (ab 20.30 Uhr im LIVE-TICKER) die Statistik der letzten Episode exakt egalisiert werden kann, ist die Situation ungleich verzwickter. Während zahlreiche Kellerkinder emsig Punkte sammeln, gab's für die Schwaben nach der Winterpause lediglich einen Zähler. Vom Management bekommt Stevens bislang noch den Rücken gestärkt. Seine Ratlosigkeits-Aussage begründet man mit den Emotionen nach der Pleite.
Dutt stärkt Stevens den Rücken
"Huub ist voll bei der Sache, das sieht und hört man auch beim Training. Die Lage ist ernst, aber ich bin nach wie vor hoffnungsvoll", erklärt Sportdirektor Robin Dutt. "Denn wir haben absolut die Qualität, unsere Ziele zu erreichen." Ein Rauswurf stehe aktuell nicht zur Debatte. "Ich habe keinen Anlass, an der Überzeugung des Trainerteams zu zweifeln. Aktionismus bringt uns nicht weiter", so Dutt.
Positiv muss man dem Niederländer zugutehalten, dass er die eklatante Defensivschwäche der Schwaben in den Griff bekommen hat. In den neun Spielen seit der Ankunft gab's lediglich elf Gegentore.
Noch unter Veh setzte es in 12 Partien 26 Buden. Die defensive Stabilität geht jedoch komplett auf Kosten der Offensive. Diese präsentiert sich unter dem 61-Jährigen in erschreckendem Zustand. Nahezu jeder Angriff wirkt plan- und konzeptlos.
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Sobald man im eigenen Stadion das Spiel selbst gestalten muss, scheinen die Spieler überfordert. Rechnet man das furiose 4:1 in Freiburg zum Stevens-Auftakt raus, erzielte der VfB seit seiner Übernahme lediglich drei Tore in acht Spielen. Bezeichnend, dass Außenverteidiger Gotoku Sakai mit einem abgefälschten Schuss zuletzt eine 448-minütige Durststrecke beendete.
Wenig taktische Veränderungen
Größere taktische Umstellungen hat der Niederländer nicht vorgenommen. Wie Veh schickt er sein Team meist in einem 4-2-3-1 oder einem auf dem Papier etwas offensiveren 4-1-4-1 aufs Feld. Anders als bei seinem Vorgänger wird die generelle Ausrichtung allerdings auf den offensiven Außenpositionen deutlich.
Während zu Beginn der Saison dort Offensivgeiste wie Werner, Harnik, Maxim und Co. gesetzt waren, agierte dort nach der 0:4-Klatsche auf Schalke mit Klein mindestens ein gelernter Außenverteidiger. Häufig belegte mit Hlousek ein weiterer Verteidiger den Part auf der gegenüberliegenden Seite. Neben der Viererkette sowie Gentner und Romeu sind somit sieben bis acht defensiv orientierte Akteure auf dem Feld. Der Kontakt zum offensiven Mittelfeld und dem Angriff ist nicht vorhanden.
Auch einige Personalentscheidungen des neuen VfB-Coaches werfen Fragen auf. Sararer beispielsweise bekam zu Beginn der zweiten Amtsperiode von Stevens reichlich Einsatzzeit und flog im Anschluss für zwei Partien gleich ganz aus dem Kader. Nach vier Spielen ohne Einsatz durfte er gegen Köln direkt von Beginn an ran. Nur um aktuell zur U 23 verbannt zu werden.
Auch mit dem eigentlichen Königstransfer der Schwaben kommt Stevens nicht klar. Filip Kostic, der im Sommer für sechs Millionen aus Groningen kam und Sinnbild für den neuen Stuttgarter Kurs sein sollte, kommt unter dem Niederländer gerade einmal auf 66 Minuten.
Mit Hoffnungsträger gegen Dortmund
Gegen Dortmund wird der VfB erneut mit veränderter Aufstellung ins Rennen gehen. Gentner muss mit der fünften Gelben Karte zusehen, sodass im defensiven Mittelfeld mit Serey Die der neue Hoffnungsträger der Schwaben sein Startelf-Debüt feiern wird. Obwohl sich der BVB aktuell wieder gefangen hat, will man sich mit einem Punkt nicht zufriedengeben.
"Bei einem Remis würde ich nicht einschlagen. Drei Punkte können wir auch gegen Dortmund holen. Wir haben die Qualität, unsere Ziele zu erreichen, brauchen dafür aber ein Schlüsselerlebnis", erklärt Dutt. Mit Ziel ist dabei einzig und allein der Klassenerhalt gemeint.
Noch vor Jahren als Ausnahmezustand abgestempelt, scheint man sich aktuell mit dem Abstiegskampf abgefunden zu haben. Den Nimbus, der VfB könne aufgrund seiner hohen Kaderqualität nicht absteigen, haben die Schwaben längst verloren.
Sollte Stevens in den nächsten Spielen keine gesunde Mischung zwischen Defensive und Offensive finden, wird es auch für den Niederländer eng werden. Ob er persönlich nach dem emotionalen Interview wirklich an der Mission zweifelt, weiß nur er selbst. Vielleicht wäre Armin Veh in seiner Situation jedoch bereits zurückgetreten.
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