Einmal Evolution und zurück

Ben Barthmann
24. April 201511:07
Roberto di Matteo hat viele Fragen beantwortet, aber auch neue aufgeworfengetty
Werbung
Werbung

Der FC Schalke 04 hat die Qualifikation für die Champions League vor dem Duell mit dem 1. FSV Mainz 05 (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) verpasst. Dennoch ging es lange vorwärts, bis Trainer Roberto di Matteo von seinen eigenen Überlegungen überholt wurde.

Die Saison ist noch nicht vorbei. Zumindest in weiten Teilen Deutschlands stehen noch fünf Ligaspiele auf dem Programm. Natürlich ist das auch in Gelsenkirchen nicht anders, doch die Anspannung scheint verloren gegangen. Spätestens mit dem 1:1 gegen den VfL Wolfsburg hat Schalke das große Saisonziel, die Qualifikation für die Königsklasse, verpasst.

Natürlich sind da noch Spiele gegen Hamburg oder Stuttgart und natürlich ist die Europa League ein zu verkraftendes Trostpflaster, das noch dazu gar nicht sicher gebucht ist. Aber eigentlich sollte in der Veltins Arena in der nächsten Saison doch mindestens drei, vier mal die Champions-League-Hymne zu hören sein.

Was die Ergebnisse betrifft, hat Schake eine durchschnittliche Saison erlebt. Das Aus in der ersten Runde des DFB-Pokals, das holprige Jahr im europäischen Geschäft und dazu eine Liga-Saison mit viel Mittelmaß. Dabei ist lange alles nicht so schlecht, wie es angesichts der Resultate vermuten lässt.

Der Plan von weniger Gegentoren

Mit Roberto di Matteo hat man einen Trainer gefunden, der Kontinuität verspricht. Ausgestattet mit einem Vertrag bis 2017 kann der Italiener weiter an seinem Projekt arbeiten, das in dieser Saison erste Formen annahm, ohne je komplettiert zu werden. Die Monate seit der Entlassung von Jens Keller wirken wie ein königsblaues Geduldsspiel.

Konnte er einen Baustein anfügen, brach ihm ein anderer wieder weg. Mit wenig Vorschusslorbeeren gestartet, ist es di Matteo gelungen, die Mannschaft zumindest zu stabilisieren. An der "defensiven Struktur arbeiten" war sein erstes, großes Ziel.

Das hat er geschafft. 32 Gegentore sind es nach 29 Spieltagen, zwölf davon gehen noch auf das Konto von Keller. Ordentlich, wenn auch nicht herausstechend, aber ein erstes Zwischenziel. Zwischenziel ist ohnehin ein Wort, das öfter fallen dürfte, wenn es um die erste Saison di Matteos auf Schalke geht.

Das 5-3-2/3-5-2 kommt

Nach einigen Experimenten in der Liga und wenig erfolgversprechenden Partien wagte er einen Schritt, den sich sein Vorgänger nicht getraut hatte. Der Italiener warf die 4-2-3-1-Grundordnung, die er bei seinem Amtsantritt noch mit "viel Potenzial nach vorne" beschrieben hatte, über den Haufen und erntete kritische, wie interessierte Blicke.

Ein 5-3-2 bzw. ein 3-5-2 wurde es. Verletzungen und die Inkonstanz seiner Mannschaft zwangen di Matteo zu einem simplen, aber doch effektiven Konstrukt. Viel lehrbuchmäßiger als in den ersten Partien hätte Schalke kaum spielen können. Die Fans sahen eine sehr klassische Interpretation, die Schalke endlich das gab, was der Trainer sich so dringend gewünscht hatte: "Man muss versuchen, eine solide Abwehr zu haben. Die generelle Organisation der Defensive ist sehr wichtig."

Ohne die zahlreichen Verletzten, dafür aber mit vielseitig einsetzbaren Defensivkräften wie Benedikt Höwedes, Kaan Ayhan, Roman Neustädter oder Jan Kirchhoff eine nahelegende Wahl. Gegen Wolfsburg (3:2) ließ Schalke zum ersten Mal die Fünferkette los und fuhr gleich einen Dreier ein. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Spielaufbau und Gegenpressing

Die Anpassungen zeigten sich jedoch nicht nur in der Grundordnung. Di Matteo ließ mit Viererkette noch behutsam und sehr tief, aber dafür unbedingt kurz aufbauen. Ralf Fährmann war gegen Bayer Leverkusen (0:1) der Mann mit den meisten Ballkontakten seiner Mannschaft gewesen. Mit der Dreierkette fiel ihm diese Aufgabe nicht mehr in gleichem Umfang zu, Schalke wurde Stück für Stück stabiler im Aufbau.

Das 3-5-2 im eigenen Ballbesitz macht das Spielfeld breit, die Ballzirkulation fällt mit bis zu sieben kurzen Anspielstationen für den zentralen Verteidiger einfach. Besonders, wenn dieser sich noch hinter seine beiden Halbverteidiger fallen lässt. Die Defensive und der Spielaufbau durfte di Matteo auf seinem Zettel bald mit einem kleinen Haken versehen.

Gegen Köln (1:2) folgte der nächste Schritt. Eine merklich höhere Mannschaft stand auf dem Platz, der Italiener forcierte jetzt das Umschalten nach Ballverlust. Sicher auch dem Gegner geschuldet, standen die Knappen extrem hoch und eroberten viele Bälle bereits in der gegnerischen Hälfte wieder. Die Überzahl im Zentrum macht das negative Umschalten einfach, ist doch stets eine Absicherung vorhanden.

Vergleich der durchschnittlichen Positionen Schalkes gegen Mainz (4:1) und Köln (1:2):Mit nur zwei Wochen Abstand hat di Matteo seine Mannschaft deutlich höher stehen lassen, als noch beim deutlichen Sieg über Mainz. Schon gegen Stuttgart (4:0), das zwischen beiden Begegnungen lag, fanden dementsprechend erste Anpassungen statt.

SPOX

Ausbau und Stabilisierung

Ersten Problemen in der Umschaltbewegung stellte di Matteo noch ein 3-1-4-2 gegenüber. Damit war der "Safety-Player" im Gegenpressing einfacher bestimmt, die Abläufe wurden weniger komplex. Ein System, das später gegen Real Madrid in der Champions League situativ wieder Anwendung finden sollte.

Mit der Verpflichtung von Matija Nastasic schien klar, in welche Richtung sich Schalke entwickeln will. Der Serbe ist sowohl Linksfuß, als auch erfahren im Spiel als Halbverteidiger und damit bestens geeignet für die halblinke Rolle in der Dreierkette. Das Spiel sollte vertieft und mit einem Spezialisten weiter gefestigt werden.

Über die Winterpause hinweg fand zudem eine Verbesserung des Übergangsspiel statt. Zwischen Spielaufbau und Chancenerarbeitung tendierten die Achter fortan weiter nach außen. Angesichts der neu erlangten Sicherheit kein zu großes Risiko mehr und doch effektiv, um grundlegende gruppentaktische Abläufe im zweiten Drittel zu nutzen.

Dennoch ist S04 noch immer auf der Suche nach der richtigen Balance. Die Defensive stimmt, sobald man jedoch offensiver zu Werke geht, setzt es glatt Niederlagen. Das Gegenpressing funktioniert über weite Strecken, der Aufbau ist sicher und die Mannschaft auch nach Ballverlusten schnell wieder geordnet. Doch kleine Aussetzer, oft mehrere pro Spiel zeigen doch, dass noch nicht alle Abläufe optimiert sind.

Seite 1: Schritt für Schritt zur Stabilisation

Seite 2: Das Problem mit Farfan und Draxler

Dass viele dieser Abläufe einfach noch nicht funktionieren können, ist dem Trainerteam bewusst. Die ständigen Ausfälle und Umstellungen innerhalb der Mannschaft lassen es kaum zu, sich zu finden. Leon Goretzka kehrt zurück, dafür fällt Fährmann aus. Kirchhoff bestreitet einige Spiele und meldet sich direkt wieder mit Problemen an der Achillessehne ab, während ein Schlüsselspieler wie Eric-Maxim Choupo-Moting zum Afrika-Cup reist.

Gemessen an den Umständen hat di Matteo dennoch eine stabile Mannschaft aufstellen können, wie der Sieg über Gladbach (1:0) oder das Unentschieden gegen den FC Bayern München (1:1) nahelegten. Ruhig hat er seinen Plan abgearbeitet und ein grundlegendes Auftreten seiner Mannschaft definieren können.

Dabei wurde er nicht müde zu betonen, was erst möglich sei, wenn die Langzeitverletzten zur Mannschaft stoßen würden. "Alle Spieler, die jetzt langsam wieder zur Mannschaft stoßen oder bereits wieder dabei sind, sind wichtig für uns. Sie bringen eine gewisse Qualität in den Kader und können spielentscheidend sein", hieß es letztlich Ende März.

Neues Personal = neue Sorgen

Mit der Länderspielpause kehrten Sead Kolasinac und Jefferson Farfan zurück, auch Julian Draxler ist inzwischen wieder mit an Bord. Entgegen der allgemeinen Erwartung bringt die neue Personalsituation derzeit aber Sorgenfalten auf die Stirn des sonst so entspannt wirkenden Schalke-Trainers.

Die Herangehensweise seit seiner Umstellung gegen den VfL Wolfsburg ist nicht dafür ausgelegt, mit Farfan oder Draxler, bzw. sogar mit beiden zu spielen. Der Peruaner wurde schmerzlich vermisst und kann das Spiel seines Teams definitiv verbessern, hat aber keinen Platz im 3-5-2.

Als Flügelläufer ist die große Explosivität des inzwischen 30-Jährigen verschenkt, er würde zu stark in die Defensive miteingebunden werden müssen. Arbeiter wie Atsuto Uchida oder zuletzt Tranquillo Barnetta sind für diese Aufgabe besser geeignet. Ähnlich steht es mit Draxler, der sich eigentlich auf der Zehn sieht, dort aber keinen Platz findet.

Umstellung schlägt auf Ergebnisse

Mit den ersten Trainingseinheiten Farfans begann damit auf Schalke erneut die Experimentierphase, die sich derzeit auch in den Ergebnissen niederschlägt. Seit dem 4:3-Sieg bei Real Madrid in der Champions League gelang kein einziger Sieg mehr. Die Viererkette ist zurück, bleibt aber bisher ihre Tauglichkeit schuldig.

Während die Defensive weiterhin steht, bereitet doch die Offensive die Probleme. Tatsächlich ist das der Punkt, an dem di Matteo bisher am wenigsten verändert hat. Ein beweglicherer Stürmer hinter oder um Klaas-Jan Huntelaar herum und einfache Überladungen auf den Flügeln waren bisher der Plan, der allerdings durch seine simple Anlage relativ einfach neutralisierbar war.

Mit Farfan und damit auch mit der Rückkehr zur Viererkette hat sich jedoch viel ändern müssen. Schon nach der Einwechslung des Peruaners gegen Leverkusen wurde klar, dass dieser eine Spiele eine enorme Auswirkung auf die Mannschaft hat.

Viererkette verlangsamt Spiel

Spielt Farfan, steht die Viererkette. Das macht den Spielaufbau der Schalker weniger breit und damit nicht mehr so sicher, wie mit einer Dreierkette. Huntelaar ist Zielspieler für lange Bälle, hat aber nicht mehr die hohe Dichte hinter sich, um auf nachrückende Mitspieler abzulegen.

Dazu ist die Absicherung der Außenverteidiger nicht mehr so gegeben, wie noch mit drei Mann im Rücken. Das Ergebnis ist weniger Risikobereitschaft und damit weniger Gefahr nach vorne. Gleichzeitig müssen die zentralen Mittelfeldspieler in die Mitte rücken, um Außen Platz für zwei Spieler zu schaffen.

Am Beispiel Marco Höger ist schnell zu erkennen, wie sich die Rolle der Achter durch das Spiel mit Farfan verändert. Im 3-5-2 noch als weit nach außen ausweichender Kombinationsspieler unterwegs, sucht er jetzt die Anbindung im Zentrum und lässt den Ball zirkulieren.

Vergleich der Pässe von Marco Höger gegen Hoffenheim und Freiburg:In Zwei Spielen mit ähnlichen Spielanteilen für Schalke füllt Höger zwei verschiedene Rollen aus. Einmal im 3-5-2 ohne Farfan (l.), einmal im 4-2-3-1 mit Farfan (r.).

SPOX

Fünf Spiele Probezeit

Das verlangsamt das Spiel Schalkes extrem. Das Konterspiel funktioniert nicht mehr so, wie es im 3-5-2 funktionierte und so geht den Königsblauen viel Durschlagskraft ab. Mit Leroy Sane, Farfan und Choupo-Moting versuchte di Matteo zuletzt, auf mehr Tempo zu setzen und die Gegner so in Schwierigkeiten zu bringen.

Das hat seine Wirkung noch nicht voll entfalten können, wenn auch erste Ansätze zu erkennen sind. Das Tor von Sane gegen Wolfsburg, als er nach einer Ecke aus der eigenen Hälfte bis zum Abschluss durchstartete, zeigt das mögliche Potenzial.

Di Matteos Plan ist momentan allerdings nicht wie gewünscht durch die Rückkehr der Verletzten beschleunigt, sondern kurzfristig gestoppt worden. Für den Italiener gilt es jetzt, neue Schritte einzuleiten, um dann in der nächsten Saison das große Ziel Champions League angehen zu können.

Hoffnung Khedira

Schafft er es, sein bevorzugtes 4-2-3-1 an die Mannschaft anzupassen und dabei die richtige Balance zu finden, ist mit Schalke in der nächsten Saison definitiv zu rechnen. Die richtigen Transfers können der jungen Mannschaft zusätzlich Stabilität verleihen, Sami Khedira ist ein Name, der in diesem Zusammenhang fallen muss, geht ein Spieler mit seinen Eigenschaften im Mittelfeld doch noch ab.

Die Zeit dafür hat di Matteo, denn so ganz ist die Saison dann eben noch nicht vorbei. Fünf Spiele stehen noch aus und damit noch eine ganze Menge Zeit, die di Matteo unter Wettkampfbedingungen experimentieren kann - und auch muss, denn die Europa League ist noch nicht gebucht.

Seite 1: Schritt für Schritt zur Stabilisation

Seite 2: Das Problem mit Farfan und Draxler