Ein guter Fußballer wird nicht automatisch ein guter Trainer und umgekehrt. Im Falle von Dieter Hecking trifft sogar das genaue Gegenteil zu. Seine von überschaubaren Erfolgen begleitete Karriere als aktiver Profi hat seinen späteren Weg an der Seitenlinie maßgeblich beeinflusst. "Ich habe es nicht verstanden, die Ellenbogen einzusetzen. Ich war immer der, der sagte: Dann warte ich, bis meine Chance kommt. Aber die kommt nicht von alleine", beschreibt Hecking seine Zeit als Fußballer in einem Interview mit WAZ. Zu spät habe er verstanden, wie es läuft, zu spät gemerkt, dass er auf dem falschen Weg ist.
Nach seinem Wechsel zu Borussia Mönchengladbach 1983 war der damals 19-Jährige Stürmer Nummer fünf oder sechs hinter Namen wie Frank Mill und Ewald Lienen. Nach zwei Jahren und sechs Spielen im Dress der Fohlen hakte Hecking das Kapitel Bundesliga ab und schloss sich Zweitligisten Hessen Kassel an. Zwar sollte er im Lauf seiner Karriere noch weitere 30 Spiele im Oberhaus absolvieren, der Durchbruch in Deutschlands höchster Spielklasse gelang ihm aber nie.
Heute entscheidet Hecking
Heute steht Hecking auf der anderen Seite. Er muss sich nicht mehr beweisen oder in den Vordergrund spielen, muss keine Ballnetze und Tore mehr schleppen oder in Spielbesprechungen auf seinen Namen in der Startelf auf dem Spielbogen hoffen. Heute entscheidet der 50-Jährige, welche Elf Jungs auf dem Bogen stehen. Von seinen Spielern erwartet er nicht weniger, als dass sie nicht den gleichen Fehler machen wir er, der sich zu lange hinten anstellte.
Dabei ist kein Meisterstück gefragt, um sich auf Heckings Plan zu spielen. Seine Vorstellungen und Anforderungen sind nicht weniger einfach als der unauffällige Karohemd-Träger aus Castrop-Rauxel selbst. "Erst mal muss er verteidigen können, robuste Zweikämpfe aushalten, die Gefahr spüren, den kürzesten Weg zum eigenen Tor kennen", entgegnet Wolfsburgs Trainer auf die Frage nach der Bedeutung mitspielender Innenverteidiger.
Hecking legt Wert auf die Basics, hat er schon immer. Die oberste Priorität hat die defensive Grundordnung, mit der er schon zu Nürnberger Zeiten die Großen ärgerte und den Club in das gesicherte Mittelfeld mit Blick nach oben führte. Eine Mauer-Taktik, wie es ihm teilweise nachgesagt wurde, ist er allerdings nie gefahren: "Defensiv gut stehen gewinnt keine Spiele", weiß der Mann aus dem Ruhrgebiet.
Erfolg ist immer da
Der gelernte Polizist ist vielmehr Realist genug, die Situation und Gegebenheiten seines Arbeitgebers binnen kürzester Zeit einschätzen zu können. "Um im Schnitt drei Tore pro Spiel zu erzielen, braucht man auch das richtige Personal", erklärte der damalige Trainer des Bundesliga-Aufsteigers Alemannia Aachen nach der Hinrunde. Erfolg hatte er damit immer. Mit Lübeck und Aachen stieg Hecking auf, Hannover führte er vom letzten Platz nach Europa, Nürnberg in Wohlfühl-Gefilde und jetzt Wolfsburg in die Champions League.
Das Rampenlicht war ihm dabei nie wichtig - im Gegenteil. Hecking hat kein Problem damit, im Hintergrund zu stehen, fühlt sich dort sogar wohl. Er weiß ob seiner Reputation in der Branche: "Das ist mir wichtiger, als ein paar Sonnenstrahlen abzubekommen."
Das gilt allerdings nur für die öffentliche Darstellung. Innerhalb des Vereins macht der 50-Jährige keine Kompromisse, dafür umso klarere Ansagen. Hecking ist ehrgeizig und will kontinuierlich vorankommen, Stagnation ist keine Option. Nicht für ihn, nicht für den Verein. Vorher zieht er die Reißleine. Bei keinem Verein war Hecking mehr als drei Jahre tätig. In Lübeck und Hannover trat er zurück, Verl, Aachen und Nürnberg verließ er, um sich einem neuen Arbeitgeber anzuschließen.
"Ich habe immer alles hinterfragt"
Hecking hat feste Ziele, kurz- wie langfristig, und diese stets vor Augen. Er ist kein Romantiker, der sich einem Verein auf eine Art und Weise verbunden fühlt, die über das Arbeitspapier hinausgeht. Wenn seine Situation nicht seinen Vorstellungen entspricht, stellt er die Defizite deutlich heraus. "Ich habe schon immer alles hinterfragt. Irgendetwas zu machen, das man mir vorgibt, hat mich nie zufrieden gestellt", beschreibt Hecking seine Philosophie.
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In der Autostadt arbeitet Hecking nun erstmals in seiner Karriere unter nahezu optimalen Bedingungen. Der Verein verfügt durch die finanzielle Unterstützung von Volkswagen um genug Geld, Transfers der Marke Andre Schürrle realisieren zu können. Beim Club musste er regelmäßig den Abgang von Leistungsträgern, die man nicht halten konnte, verarbeiten. Ähnliche Szenarien drohen ihm in Wolfsburg nicht. Dazu gesellt sich in Klaus Allofs ein mehr als fähiger Manager, der sich dem Verein erst kürzlich für weitere vier Jahre verpflichtete. Dem studierten Sportmanager, der zudem alle Trainerscheine absolviert hat, ist es seit Felix Magath erstmals gelungen, diese Faktoren auch in Erfolg umzumünzen.
Eine Premiere für Hecking?
Dabei wurde die Verpflichtung Heckings anfangs durchaus kritisch beäugt. Der stille Malocher beim schlafenden Riesen VfL Wolfsburg, der die internationalen Märkte erschließen und endlich wieder Titel in die Autostadt holen soll. Ein biederer Westfale, der bisher nur kleine oder maximal ambitionierte Vereine trainiert hat, kein schwungvoller Name wie Augenthaler, Veh oder McLaren.
Genau diese Art ist es aber, die Klaus Allofs an Hecking zu schätzen wusste. Der ehemalige Bremer erkannte schnell, dass der Verein einer neuen Note und eines neuen Impulses bedurfte, um voran zu kommen. Hecking hat der Mannschaft diesen Impuls mit seiner einfachen Art gegeben und belohnt sich derzeit selber mit der Erfüllung seiner persönlichen Träume: Das DFB-Pokal-Finale am kommenden Samstag wird sein erstes Endspiel um einen Titel sein, auch die Champions League ist Neuland. Im Grunde spricht alles dafür, dass Hecking am 22.12.2015 in sein viertes Jahr als Trainer eines Vereins gehen wird. Zum ersten Mal.
Der VfL Wolfsburg im Überblick