SPOX: Herr Hartwig, im letzten Gespräch mit SPOX vor eineinhalb Jahren sprachen Sie von einem Gefühl zwischen "Herzflimmern und Magengeschwür", mit dem Sie den HSV verfolgen. Wie sah das heute aus?
Jimmy Hartwig: Ich ärgere mich über die Wettbewerbsverzerrung von Schalke. Das ist eine Unverschämtheit von einer Mannschaft, die im Europapokal mitspielen will, keine Gegenwehr zu zeigen. Der HSV hat sich Mühe gegeben, aber sie haben ja keine Gegenwehr gehabt. Das ist so traurig für die Freiburger. Dass der HSV sich jetzt wieder auf den 16. Platz gerettet hat, das befriedigt weder mich noch die anderen ehemaligen HSV-Spieler.
SPOX: Also haben Sie generell die letzten Wochen eher ernüchtert erlebt?
Hartwig: Es ist wie gesagt sehr schade. Es ist jetzt wieder eine Mannschaft wie Freiburg geworden, die haben geackert, gemacht, getan. Und der HSV hat wieder das Glück, auf dem Relegationsplatz zu stehen. Dann jubeln sie alle, wie toll der Verein ist, dabei ist er marode und von oben kaputt. Das ist das, was mich am meisten ärgert. Dass die Leute, die den Verein über Jahre in den Ruin getrieben haben - sportlich und auch finanziell - wieder dableiben und sich auf die Schulter klopfen, wie gut sie sind, dass sie den Relegationsplatz erreicht haben.
HSV nach Schalke-Sieg: Zwischen Himmel und Hölle
SPOX: Was kann da helfen? Ein Abstieg und damit verbundener Selbstreinigungsprozess?
Hartwig: Ja, das wäre mal angebracht gewesen. Aber ich glaube, dass dann die Herren, die da oben sitzen, wieder andere Schuldige gefunden hätten. Mir tun die Fans leid, die heute wieder voll hinter der Mannschaft standen. Auch wenn ich mit ehemaligen Kollegen wie Manni Kaltz oder Felix Magath spreche - ein schöner Ab- und Aufstieg wäre angebracht gewesen.
SPOX: Wie muss es jetzt weitergehen für den HSV?
Hartwig: Dieselben Köpfe bleiben dran, es wird sich nichts ändern. Dietmar Beiersdorfer hat Blödsinn eingekauft. Dass man Herrn Beiersdorfer überhaupt zurückgeholt hat... Er wird vom HSV entlassen, geht weg und kommt dann wieder zu dem Verein zurück, der ihn rausgeschmissen hat. Bei Bruno Labbadia ist es ja genau dasselbe. Ich sehe eigentlich das Gute im Fußball, dass da noch etwas Charakterfestigkeit herrscht. Aber wenn ich einige Herren dort sehe, dann haben die ihren Charakter glaube ich an der Garderobe abgegeben.
SPOX: Sie haben den Verein selbst in seiner erfolgreichsten Zeit miterlebt. Was hat den Verein damals ausgemacht, was heute nicht mehr gegeben ist?
Hartwig: Der Zusammenhalt und die Kameradschaft in der Mannschaft. Günther Netzer war Manager, der hatte das sportliche Sagen. Dem haben nicht tausend Leute reingesprochen. Es gab nicht tausend Spielervermittler, die rumgerannt sind und Spieler angeboten haben. Man muss sich auch einmal ansehen, welche Spieler man eingekauft hat. Jetzt werden sie wieder weggeschickt. Rafael van der Vaart haben sie als großen Spieler gefeiert - außer die Hand heben und dirigieren wie Herbert von Karajan habe ich von ihm die letzten Jahre nichts gesehen.
SPOX: Und Ihr persönlicher Zukunftsausblick?
Hartwig: Sie werden drin bleiben. Die Zweitliga-Mannschaft in der Relegation, Stand jetzt Karlsruhe, hat gegen den HSV keine Chance. Ich wünsche mir aber, dass sie dem HSV genauso Paroli bieten wie Fürth im letzten Jahr. Aber der HSV ist gewarnt, dass man das nicht auf die leichte Schulter nimmt. Und nächstes Jahr geht dieselbe Leier wieder los. Dann hofft man wieder, dass man oben mitspielt. Wir werden sehen. Aber es könnte sein, dass wir nächstes Jahr um diese Zeit wieder über den HSV sprechen (lacht).
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