Kaum hatte Leon Goretzka vom FC Schalke 04 sein Abitur in der Tasche, zog er sich eine Muskelverletzung zu. Und kaum stand der 20-Jährige kurz vor seiner Rückkehr, erlitt er den nächsten Rückschlag. Nun ist Goretzka wieder fit und greift unter dem neuen Trainer Andre Breitenreiter an. Im Interview spricht Goretzka über seine lange Leidenszeit, die Monotonie der Reha, die Kritik an seinem Kumpel Christoph Kramer und seine Ambitionen hinsichtlich der EM im nächsten Jahr.
SPOX: Herr Goretzka, bis vor einem Jahr waren Sie noch der Profifußballer, der nebenbei zur Schule geht. Das Abitur haben Sie nun seit 2014 in der Tasche. Wie fühlt es sich seitdem an, so ganz ohne Schule und den Stress der vielen Termine?
Leon Goretzka: Ich hatte es mir entspannter vorgestellt (lacht). Nachdem ich mich verletzt hatte, saß ich von morgens bis abends in der Reha und hatte deutlich weniger Freizeit, als wenn ich fit gewesen wäre. Das letzte Jahr war einfach blöd. Jetzt bin ich zum Glück wieder hergestellt, daher freue ich mich auf die gewisse Ruhe und die Routine, die das mit sich bringt.
SPOX: Seitdem Sie nicht mehr zur Schule gehen, begleitet Sie großes Pech. Sie haben weite Teile der vergangenen Saison vor allem aufgrund von drei Muskelverletzungen im linken Oberschenkel verpasst. Immer dann, wenn Sie kurz vor der Rückkehr standen, mussten Sie wieder einen Rückschlag hinnehmen. War es wenigstens positiv, dass es in dieser Zeit etwas ruhiger um Sie geworden ist?
Goretzka: Das war zumindest der große Unterschied. Es war natürlich hilfreich, dass ich mich zu einhundert Prozent auf meine Genesung konzentrieren konnte und dabei nicht gestört wurde. Andererseits hätte es mir wohl auch nichts ausgemacht, wenn der Rummel derselbe wie zuvor geblieben wäre. Ich kenne das ja seit Jahren nicht anders und hatte damit eigentlich nie ein großes Problem.
SPOX: Sie absolvierten Ihre Reha in Donaustauf, weit von den Teamkollegen in Gelsenkirchen entfernt. Wie haben Sie die Monotonie der Reha erlebt?
spoxGoretzka: Gerade in der Weltmetropole Donaustauf hält sich die Abwechslung doch schon arg in Grenzen (lacht). Es war immer dasselbe. Das hat allerdings den Vorteil, sich durch nichts ablenken zu lassen. Ich stand morgens auf und hatte nur mein Tagespensum im Kopf. Als ich schlafen ging, bin ich das noch einmal vor meinem geistigen Auge durchgegangen. Ich habe glücklicherweise gute Freunde, die mich dort auch besucht haben, so dass ich ab und an etwas Abwechslung hatte. Zu manchen Heimspielen war ich auch im Stadion. Aber klar, letztlich kann man sich schönere Sachen vorstellen, als eine Reha zu absolvieren.
SPOX: Hat sich in dieser Zeit etwas am Menschen Leon Goretzka verändert?
Goretzka: Ich habe vor allem gemerkt, wie ungeduldig ich bin. Geduldig zu bleiben und besser in meinen Körper hinein zu horchen sind Dinge, die ich jetzt sicherlich gelernt habe. Ich hoffe, dass ich dadurch auch in Zukunft besser einschätzen kann, wie es um meine Physis steht. Fit zu sein war für mich immer völlig normal, daher waren all diese neuen Erfahrungen gerade in meinem Alter nicht einfach. Ich mache drei Kreuze, dass ich diese Zeit nun hinter mir lassen kann.
SPOX: Wie groß waren zwischendurch die Selbstzweifel, Sie werden ja sicherlich auch einmal mit Ihrem Schicksal gehadert haben?
Goretzka: Es gab Momente, in denen ich sehr frustriert war. Ich habe mich im Zimmer eingeschlossen und war total sauer. Das war aber eigentlich immer nur am Tag des Rückschlags. Am Tag darauf habe ich mich dann nur noch damit beschäftigt, was nun alles zu tun ist, um schnellstmöglich wieder fit zu werden.
SPOX: Sie waren in Ihrer Karriere noch nie so lange verletzt, die größte Blessur war bislang ein gebrochener Arm, der Sie fünf Wochen außer Gefecht gesetzt hat. Wie groß war die Herausforderung für den Kopf, mehrfach kurz vor dem Ziel wieder so eklatant zurückgeworfen zu werden?
Goretzka: Das war schon extrem, vor allem direkt im Anschluss an die Rückschläge. Ich stand im Lauftraining, sah die Jungs schon auf dem Nebenplatz trainieren und stand so kurz vor der Rückkehr. Doch wenige Tage später musste ich im Kraftraum plötzlich wieder die einfachsten Übungen machen - und neben dir stehen die Rentner und machen dasselbe (lacht). Nach all den Anstrengungen wieder ganz von vorne anfangen zu müssen, war für die Psyche nicht einfach. Insgesamt eine sehr komplizierte Zeit für mich.
SPOX: Sie haben sich anfangs einen Zeitplan zurecht gelegt, bis wann Sie wieder fit sein wollten. War das im Nachhinein gesehen kontraproduktiv?
Goretzka: Ja, das ist leider nach hinten losgegangen. Deshalb habe ich danach die Entscheidung getroffen, mir keine Gedanken mehr über ein konkretes Datum für die Rückkehr zu machen. Ich habe mich dann von Woche zu Woche gehangelt und die Fortschritte im Kleinen betrachtet. Auf diese Weise hat es letztlich vielleicht einen Tick länger gedauert, aber mir war sehr wichtig, überhaupt wieder richtig fit zu werden.
SPOX: Mit drei Muskelverletzungen in Folge ist nicht zu spaßen. War das jedes Mal blöder Zufall oder bestand ein Zusammenhang?
Goretzka: Darauf will ich nicht mehr detailliert eingehen. Es ist im Nachhinein gesehen einiges schief gelaufen, aber ich möchte niemandem die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Im Gegenteil, man wollte zu jeder Zeit nur das Beste für mich. Es sind alle Irritationen längst beseitigt.
SPOX: Sie sind mittlerweile wieder fest ins Mannschaftstraining eingegliedert. Das muss sich wie ein großes Geschenk anfühlen, oder?
Goretzka: Klar, das ist sehr befreiend. Von Sprint zu Sprint und Einheit zu Einheit kommt das Vertrauen in meinen Körper zurück. Es ist ein herausragendes Gefühl, wieder sorgenfrei aufspielen zu können und keine Rücksicht auf irgendetwas nehmen zu müssen. Wenn dann wieder Dinge klappen, die schon vor der Verletzung geklappt haben, gibt einem das einen großen Schub.
SPOX: Wie schwer war es anfangs noch, völlig losgelöst von den Verletzungen aufzutreten?
Goretzka: Man ist zunächst etwas vorsichtiger. Erst recht, wenn man wie ich zig Rückschläge verkraften musste. Ich dachte ja mehrfach, dass die Verletzung so gut wie ausgeheilt sei - und dann ist doch wieder etwas passiert. Es gilt zwar, weiterhin ein gesondertes Auge auf den Muskel zu haben, aber ich denke, ich habe die Misere jetzt überstanden.
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SPOX: Gab es mit dem neuen Trainer Andre Breitenreiter schon ein Einzelgespräch? Wie und wo plant er mit Ihnen?
Goretzka: Ja. Er hat darüber gesprochen, was er grundsätzlich von uns als Mannschaft und dem Einzelnen erwartet. Jeder Spieler hat natürlich eine bevorzugte Position. Bei mir ist es die Acht als Bindeglied zwischen Mittelfeld und Sturm. Andererseits sind unsere Mittelfeldspieler alle so flexibel, dass man während des Spiels kaum einen Unterschied zwischen den einzelnen Positionen bemerkt. Ich bin in den Testspielen bislang über rechts gekommen, dort habe ich auch zuvor schon gute Partien absolviert und mich sehr wohlgefühlt. Ich habe kein Problem mit dieser Position.
SPOX: Unter Breitenreiter scheint wie auf Knopfdruck eine andere Stimmung auf Schalke zu herrschen. Wie ist Ihr Eindruck?
Goretzka: Innerhalb der Mannschaft ist auf jeden Fall ein Unterschied spürbar. Wir wissen jetzt, dass es nicht reicht, nur gut mit dem Ball umgehen zu können. Die Bereitschaft, sich zu quälen, ist wieder da. Man sieht in den Gesichtern der Mitspieler, dass der Spaß zurückgekommen ist, auch Wege zu gehen, die wehtun können. Es hat in vielen Köpfen klick gemacht.
SPOX: Breitenreiter will deutlich früher als Vorgänger Roberto di Matteo angreifen, ein tiefes Pressing spielen. Wie neuartig ist diese Herangehensweise für das Team?
Goretzka: Es ist einfach ein anderer Schwerpunkt und daher schon eine Umstellung. Wir müssen von der Fitness her total da sein, um das auch umsetzen und dieses intensive Pressing spielen zu können. Wir sind derzeit dabei, die Grundlagen dafür zu schaffen. Dass es zu Beginn in den Testspielen noch nicht einhundertprozentig geklappt hat, ist völlig klar. So etwas funktioniert nicht von heute auf morgen, das dauert seine Zeit. Ich denke aber, dass wir das in den nächsten Wochen in den Griff kriegen und mit diesem neuen System Erfolg haben können.
SPOX: Für Sie ist es gewissermaßen ein Neustart auf Schalke, auch Ihr Kumpel Christoph Kramer schlägt bei Bayer Leverkusen gerade ein neues Kapitel in seiner Karriere auf. Wie intensiv war denn der Kontakt, als es Ihnen schlecht ging und er sich zum Shootingstar entwickelte?
Goretzka: Wir stehen eigentlich permanent im Austausch. Eine solche Verletzungsgeschichte kannte er von mir natürlich auch nicht. In Bochum standen wir beide bei jedem Spiel auf dem Platz und sind hoch und runter gerannt. Er hat sich daher oft erkundigt, wie es mir geht. Durch solche Gespräche mit engen Kumpels hatte ich das Gefühl, nicht vergessen worden zu sein. Das gab mir wirklich Kraft und Zuversicht.
SPOX: Kramer stand vor einigen Monaten stark in der Kritik, weil ihm manche ehrliche Aussagen in Interviews um die Ohren geflogen sind. War das für Sie nachvollziehbar?
Goretzka: Christoph ist ein sehr intelligenter Bursche, der schon immer das gesagt hat, was er denkt. Ich kann verstehen, was er damals sagte und meinte. Leider ist es heutzutage normal, dass Dinge aus dem Zusammenhang gerissen werden, um sie für die Leser attraktiver zu machen. Da muss jeder Spieler aufpassen. Vielleicht wäre es in diesem Fall auch bei Christoph angebracht gewesen, vorsichtiger zu formulieren.
SPOX: Wie schade ist es in Ihren Augen, dass man in der Öffentlichkeit drei Mal überlegen muss, was man sagt und sich dann meist für die lauwarme Variante entschieden wird?
Goretzka: Sehr schade. Andererseits kann es auch spaßig sein, die Medien mit Aussagen, die wenig gehaltvoll sind, abzuspeisen. Natürlich sollte man darauf achten, dass man sein Privatleben aus der Öffentlichkeit heraushält und sich grundsätzlich nicht angreifbar macht. Es liegt letztlich aber an jedem selbst, wie man das handhabt.
SPOX: Wie ging Kramer mit dem großen Echo auf seine Aussagen um, haben Sie mit ihm darüber gesprochen?
Goretzka: Er hat sich davon nicht verrückt machen oder beeindrucken lassen, sondern konnte das realistisch einschätzen. Er weiß, was er gemeint und gesagt hat. Am Ende hat er die Dinge relativ schnell wieder gerade gerückt, so dass es für ihn kein nachhaltiges Problem darstellte.
SPOX: Von Kramer weiß man, dass er großer Fan von Kult-Kicker Torsten Mattuschka ist. Wer ist denn für Sie kultig und warum?
Goretzka: Mein Mattuschka ist Slawo Freier (lacht). Mit ihm habe ich ja noch in Bochum zusammengespielt. Er ist ein super cooler Typ und ein sehr gutherziger Mensch, der immer für einen Spaß zu haben ist.
SPOX: Kult ist auch Bayerns Co-Trainer Herrmann Gerland, wie Sie ein Bochumer Junge. Er hat mal über Sie gesagt: Wenn man so gut ist, dann müsse man während der Karriere auch mal bei den Bayern gespielt haben.
Goretzka: Dazu fällt mir nur ein, was Christoph schon einmal sagte. Er meinte, wir seien in einer richtig geilen Zeit geboren, um Fußball zu spielen, aber zugleich auch in einer ganz schlechten Zeit, um in einer anderen Mannschaft Meister zu werden als bei den Bayern. Und genau da gebe ich ihm Recht: Es ist beim FC Bayern am einfachsten, Titel zu gewinnen.
SPOX: Einen Titel haben Sie leider verpasst: Sie standen vergangenes Jahr im vorläufigen Kader für die Weltmeisterschaft in Brasilien, wurden dann aber gestrichen. Wie sah während Ihrer Verletzungspause der Kontakt zu Bundestrainer Joachim Löw aus?
Goretzka: Wir haben nicht jede Woche telefoniert, aber ich habe mich gefreut, dass er mir hin und wieder eine SMS geschickt und mir gerade nach den Rückschlägen alles Gute gewünscht hat. Neben der Unterstützung aus dem Verein konnte ich mich auch daran wieder hochziehen.
SPOX: Im nächsten Jahr findet die EM in Frankreich statt. Wie weit weg ist die Nationalmannschaft derzeit gefühlt?
Goretzka: Das wird man letztlich sehen, wenn die Bundesliga wieder angefangen hat. Ich fühle mich jetzt am Anfang der Vorbereitung sehr gut und gehe davon aus, dass das gute Gefühl nicht schlechter wird. Ich habe mir die EM nicht als Ziel gesetzt, aber wenn ich wieder auf dem Platz stehe und meine Leistung abrufe, habe ich die Chance, dabei zu sein.
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