SPOX: Herr Goretzka, bis vor einem Jahr waren Sie noch der Profifußballer, der nebenbei zur Schule geht. Das Abitur haben Sie nun seit 2014 in der Tasche. Wie fühlt es sich seitdem an, so ganz ohne Schule und den Stress der vielen Termine?
Leon Goretzka: Ich hatte es mir entspannter vorgestellt (lacht). Nachdem ich mich verletzt hatte, saß ich von morgens bis abends in der Reha und hatte deutlich weniger Freizeit, als wenn ich fit gewesen wäre. Das letzte Jahr war einfach blöd. Jetzt bin ich zum Glück wieder hergestellt, daher freue ich mich auf die gewisse Ruhe und die Routine, die das mit sich bringt.
SPOX: Seitdem Sie nicht mehr zur Schule gehen, begleitet Sie großes Pech. Sie haben weite Teile der vergangenen Saison vor allem aufgrund von drei Muskelverletzungen im linken Oberschenkel verpasst. Immer dann, wenn Sie kurz vor der Rückkehr standen, mussten Sie wieder einen Rückschlag hinnehmen. War es wenigstens positiv, dass es in dieser Zeit etwas ruhiger um Sie geworden ist?
Goretzka: Das war zumindest der große Unterschied. Es war natürlich hilfreich, dass ich mich zu einhundert Prozent auf meine Genesung konzentrieren konnte und dabei nicht gestört wurde. Andererseits hätte es mir wohl auch nichts ausgemacht, wenn der Rummel derselbe wie zuvor geblieben wäre. Ich kenne das ja seit Jahren nicht anders und hatte damit eigentlich nie ein großes Problem.
SPOX: Sie absolvierten Ihre Reha in Donaustauf, weit von den Teamkollegen in Gelsenkirchen entfernt. Wie haben Sie die Monotonie der Reha erlebt?
Goretzka: Gerade in der Weltmetropole Donaustauf hält sich die Abwechslung doch schon arg in Grenzen (lacht). Es war immer dasselbe. Das hat allerdings den Vorteil, sich durch nichts ablenken zu lassen. Ich stand morgens auf und hatte nur mein Tagespensum im Kopf. Als ich schlafen ging, bin ich das noch einmal vor meinem geistigen Auge durchgegangen. Ich habe glücklicherweise gute Freunde, die mich dort auch besucht haben, so dass ich ab und an etwas Abwechslung hatte. Zu manchen Heimspielen war ich auch im Stadion. Aber klar, letztlich kann man sich schönere Sachen vorstellen, als eine Reha zu absolvieren.
SPOX: Hat sich in dieser Zeit etwas am Menschen Leon Goretzka verändert?
Goretzka: Ich habe vor allem gemerkt, wie ungeduldig ich bin. Geduldig zu bleiben und besser in meinen Körper hinein zu horchen sind Dinge, die ich jetzt sicherlich gelernt habe. Ich hoffe, dass ich dadurch auch in Zukunft besser einschätzen kann, wie es um meine Physis steht. Fit zu sein war für mich immer völlig normal, daher waren all diese neuen Erfahrungen gerade in meinem Alter nicht einfach. Ich mache drei Kreuze, dass ich diese Zeit nun hinter mir lassen kann.
SPOX: Wie groß waren zwischendurch die Selbstzweifel, Sie werden ja sicherlich auch einmal mit Ihrem Schicksal gehadert haben?
Goretzka: Es gab Momente, in denen ich sehr frustriert war. Ich habe mich im Zimmer eingeschlossen und war total sauer. Das war aber eigentlich immer nur am Tag des Rückschlags. Am Tag darauf habe ich mich dann nur noch damit beschäftigt, was nun alles zu tun ist, um schnellstmöglich wieder fit zu werden.
SPOX: Sie waren in Ihrer Karriere noch nie so lange verletzt, die größte Blessur war bislang ein gebrochener Arm, der Sie fünf Wochen außer Gefecht gesetzt hat. Wie groß war die Herausforderung für den Kopf, mehrfach kurz vor dem Ziel wieder so eklatant zurückgeworfen zu werden?
Goretzka: Das war schon extrem, vor allem direkt im Anschluss an die Rückschläge. Ich stand im Lauftraining, sah die Jungs schon auf dem Nebenplatz trainieren und stand so kurz vor der Rückkehr. Doch wenige Tage später musste ich im Kraftraum plötzlich wieder die einfachsten Übungen machen - und neben dir stehen die Rentner und machen dasselbe (lacht). Nach all den Anstrengungen wieder ganz von vorne anfangen zu müssen, war für die Psyche nicht einfach. Insgesamt eine sehr komplizierte Zeit für mich.
SPOX: Sie haben sich anfangs einen Zeitplan zurecht gelegt, bis wann Sie wieder fit sein wollten. War das im Nachhinein gesehen kontraproduktiv?
Goretzka: Ja, das ist leider nach hinten losgegangen. Deshalb habe ich danach die Entscheidung getroffen, mir keine Gedanken mehr über ein konkretes Datum für die Rückkehr zu machen. Ich habe mich dann von Woche zu Woche gehangelt und die Fortschritte im Kleinen betrachtet. Auf diese Weise hat es letztlich vielleicht einen Tick länger gedauert, aber mir war sehr wichtig, überhaupt wieder richtig fit zu werden.
SPOX: Mit drei Muskelverletzungen in Folge ist nicht zu spaßen. War das jedes Mal blöder Zufall oder bestand ein Zusammenhang?
Goretzka: Darauf will ich nicht mehr detailliert eingehen. Es ist im Nachhinein gesehen einiges schief gelaufen, aber ich möchte niemandem die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Im Gegenteil, man wollte zu jeder Zeit nur das Beste für mich. Es sind alle Irritationen längst beseitigt.
SPOX: Sie sind mittlerweile wieder fest ins Mannschaftstraining eingegliedert. Das muss sich wie ein großes Geschenk anfühlen, oder?
Goretzka: Klar, das ist sehr befreiend. Von Sprint zu Sprint und Einheit zu Einheit kommt das Vertrauen in meinen Körper zurück. Es ist ein herausragendes Gefühl, wieder sorgenfrei aufspielen zu können und keine Rücksicht auf irgendetwas nehmen zu müssen. Wenn dann wieder Dinge klappen, die schon vor der Verletzung geklappt haben, gibt einem das einen großen Schub.
SPOX: Wie schwer war es anfangs noch, völlig losgelöst von den Verletzungen aufzutreten?
Goretzka: Man ist zunächst etwas vorsichtiger. Erst recht, wenn man wie ich zig Rückschläge verkraften musste. Ich dachte ja mehrfach, dass die Verletzung so gut wie ausgeheilt sei - und dann ist doch wieder etwas passiert. Es gilt zwar, weiterhin ein gesondertes Auge auf den Muskel zu haben, aber ich denke, ich habe die Misere jetzt überstanden.
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