Schalke hat verstanden

Von Benedikt Treuer
Horst Heldt nahm die verkorkste letzte Saison auch auf seine Kappe
© imago

Mit der Verpflichtung von Franco Di Santo ist Schalke 04 bereits das zweite große Transfer-Statement in der Sommerpause gelungen. Die Führungsetage hat ihr Handeln grundlegend überdacht und einen Kurswechsel vollzogen, der bereits Früchte trägt. Auf Fragen hat man plötzlich passende Antworten - selbst bei den verbliebenen Zwickmühlen.

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28. Juni 2015, Veltins-Arena in Gelsenkirchen. "Das war eine beschissene Saison. Am meisten schmerzt die Art und Weise, wie wir Fußball gespielt haben. Dafür trage ich die Verantwortung", lieferte sich Schalkes Sportvorstand Horst Heldt auf der Mitgliederversammlung den aufgebrachten Fans aus. "Aber Verantwortung bedeutet kämpfen, nicht aufgeben."

Diese ungewohnt offenen und emotionalen Eingeständnisse, gepaart mit der Rückholaktion von Huub Stevens, Mike Büskens und Ebbe Sand, zeigten in den königsblauen Herzen Wirkung: Nach langer Zeit mit vielen Pfiffen punktete die Führungsetage mal wieder bei den Fans. Opium für das Volk also. So schien es jedenfalls.

Doch genau dieser Gedanke stieß vielen bei kurzer Nachbetrachtung wieder negativ auf. Denn es sah danach aus, als wollten Aufsichtsratschef Clemens Tönnies und Heldt die kritischen Stimmen mit einem in offizieller Funktion unbedeutenden Legenden-Trio einfach dreist unterdrücken. Zwar verschwanden zunächst die Buhrufe, das spannungsgeladene Misstrauen im Umfeld aber blieb. Versöhnung auf Bewährung irgendwie.

Harmoniestiftung für das "neue Schalke"

Im Anschluss wurde es aber tatsächlich ruhig auf Schalke - ungewohnt ruhig für den Verein, der zusammen mit dem BVB durch die Vereinigung außergewöhnlich vieler Herzen den Fußball in einer Region so sehr zum Lebensinhalt macht, wie wohl kein anderer Klub in Deutschland.

Die Ruhe wurde zum Credo. Sie gab Tönnies und Heldt Zeit, zusammen mit dem neuen Coach Andre Breitenreiter noch einmal über die eigenen Worte nachzudenken und einen Umbruch einzuleiten, der wenig pompös, dafür aber umso vielversprechender vonstatten geht.

Transfers, teaminterne Verhaltenskodizes, Außendarstellung: Die Knappen positionierten sich in den vergangenen Wochen für das "neue Schalke", das man in Zukunft vertreten will - alles unter der Prämisse Harmoniestiftung, wie es scheint.

Schalke ist noch Wer

Mit dem Transfer von Franco Di Santo erreicht die Qualität der Schalker Sommerpause aber vorerst ihre Klimax. Einen so gefragten Bundesliga-Stürmer, dessen Zukunft viele längst im Ausland sahen, für sich zu gewinnen, zeigt dieser Tage deutlich, dass Schalkes Aura einen Teil des alten Glanz bewahrt hat - und sich die Chance zurückerkämpft, diesen wieder aufzubauen.

Schon der Transfer von Johannes Geis war der erste Fingerzeig in diese Richtung. "Wir sind sehr froh, dass sich einer der begehrtesten jungen Spieler für unseren Klub entschieden hat", ließ Manager Horst Heldt in einer Pressemitteilung ausrichten. Was auf den ersten Blick wie ein abgedroschener Transfer-Kommentar wirkt, ist für Heldt tatsächlich aber viel mehr. Man zeigt: Wir sind noch Wer.

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Vor nicht allzu langer Zeit, als Schalke noch ein ernstzunehmender Bayern-Jäger und die zweite Institution in Deutschland war, hätte man diese Transfers vom großen Revierklub erwartet. Nach der verkorksten letzten Saison waren Neuzugänge dieser Klasse aber nicht unbedingt absehbar - mehr noch: Man traute sie Heldt gar nicht zu.

Wichtiger Baustein Riether

Nun hat der Sportvorstand zwei Coups gelandet, die um die Namen Breitenreiter, Junior Caicara und - überraschenderweise - Sascha Riether erweitert werden können. Vor allem Letzterer schickt sich an, zu einem eminent wichtigen Baustein im Schalker Kader zu werden.

Während der Transfer eines 32-jährigen Defensivmanns sicher die eine oder andere runzelnde Stirn provozierte, ist Riether mit all seiner Erfahrung und vor allem seiner Persönlichkeit weit mehr als nur ein Füllspieler im mächtigen Kader.

Abgesehen davon, dass Breitenreiter in Riether einen gestandenen Defensiv-Allrounder dazu gewinnt, zählt beim Ex-Freiburger vor allem der charakterliche Aspekt: Der Routinier wird die jungen Spieler wie Meyer, Sane oder auch Geis anleiten und sie daran hindern, im hektischen Schalker Umfeld den Kopf zu verlieren.

Sams symbolischer Wert

Genau so eine Wirkung hatte man sich ursprünglich von Kevin-Prince Boateng erwartet. Unbestritten: Der Ghanaer ist ein Führungsspieler, der vorneweg geht und sich den Problemen stellt wie nur wenige andere. Mit seiner oftmals aneckenden Art tat er sich jedoch häufig schwer, Emotionen und Verstand im Gleichklang zu halten. Darunter litten auch die Youngster im Team.

Die Zeichen stehen beim ausgebooteten Leader auf Trennung. So, wie sie auch bei Jefferson Farfan standen und so, wie es eigentlich auch bei Sidney Sam der Fall war. Im Gegensatz zu den Hitzköpfen Boateng und Farfan hat es Sam jedoch verstanden, Reue zu zeigen. Er erhält noch einmal die Chance, sich zu beweisen. Auch das gehört zu Breitenreiters Grundsatz: Wer Willen zeigt, geht nicht unter.

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"Ich kenne ihn ja schon länger. Er ist ein guter Junge. Heute hat er sich richtig reingehauen. Er bekommt eine zweite Chance und bolzt jetzt Kondition. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen", schilderte Riether gegenüber derWAZ seine Eindrücke nach dem gemeinsamen ersten Training mit Sam. Dass ihn seine Mitspieler mit offenen Armen wieder aufnahmen, hatte großen symbolischen Wert.

Keine Aufregung um Draxler - oder?

Heldt hat Schalke sportlich gut aufgestellt - ohne große Worte, dafür mit umso größerer Signalwirkung an die Konkurrenz. Der Verein könnte sich mittlerweile sogar Verkäufe von Julian Draxler oder Klaas-Jan Huntelaar erlauben. Beiden waren zuletzt Wechsel ins Ausland vorausgesagt worden. Mittlerweile würde keiner von beiden die Knappen mit einem Abgang in akuten Handlungszwang versetzen - vor allem dank der hochwertigen Transfers von Di Santo und Geis.

Dennoch birgt gerade die Personalie Draxler eine Zwickmühle. Auf der einen Seite liefert dessen jüngere Vita wenige Argumente dafür, dass man ihn bei einem entsprechenden Angebot von Juventus (Medien berichteten von einer Ablöse um die 30 Millionen Euro) um jeden Preis halten müsste.

Auf der anderen ist Draxlers Entwicklungs-Stagnation der Vorsaison nicht nur Schalke oder der Leistungsbereitschaft des Spielers zuzuschreiben, sondern vor allem seinem Verletzungspech, das lediglich 15 Bundesliga-Einsätze zuließ. Wenn man Draxler in diesem Sommer ziehen lässt, riskiert man sportliche und finanzielle Einbußen, sollte er im kommenden Jahr wieder zu seiner Form finden.

Den größten Wert hat Draxler aber in puncto Identifikation. Für seine Vertragsverlängerung vor zwei Jahren wurden eigens Kleinlaster mit dem Konterfei des Jungspunds beschmückt. Der Mittelfeldmann ist das Schalker Gesicht, dessen Verlust Heldt seine neugewonnenen Sympathien wieder ein Stück weit kosten könnte.

Auf Worte folgen Taten

Doch Heldt hat dazugelernt. Für einen möglichen Draxler-Verkauf hält er mit Xherdan Shaqiri ein weiteres Ass im Ärmel. Die Verpflichtung des Schweizers ist weiter in der Schwebe - gut möglich, dass der Sportvorstand nur auf das zufriedenstellende Angebot von Juve wartet. Mit seiner Art und den technischen Anlagen wäre der ehemalige Münchner sicher ein Kandidat für die Rolle des neuen Publikumslieblings - bescheiden und höflich.

So will man schließlich auch in der Veltins-Arena zukünftig wieder auftreten und da tut es Schalke womöglich gut, die nächsten Schritte erst einmal wieder in der Europa League zu setzen - im Schatten der Königsklasse, welche die Erwartungen im Umfeld zuletzt häufig durcheinander wirbelte.

Die Voraussetzungen für eine unaufgeregte, erfolgreiche Schalker Saison scheinen geschaffen. Denn Fakt ist: Es tut sich was im Pott. "Wir haben verstanden", sagte Tönnies Ende Juni auf der Mitgliederversammlung. Einen Monat später wirken diese Worte auch auf die eigenen Anhänger nicht mehr nur wie ein leeres Versprechen.

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