Horst Wolter wurde von einem schlechten Rechtsaußen zum Nationaltorwart - und mit Braunschweig Überraschungsmeister der Bundesliga. Bei SPOX spricht "Luffe" über die heftigen Erlebnisse bei der WM 1970 in Mexiko, seine Beteiligung am Bestechungsskandal und die Manager-Jahre bei Hertha BSC.
SPOX: Herr Wolter, sie waren an einer der dunkelsten Stunden der Bundesliga beteiligt, dem Bestechungs-Skandal von 1971...
Horst Wolter: Das weise ich weit von mir. Beteiligt wäre ich gewesen, wenn ich das Geld angenommen hätte, das sie mir in Bielefeld in der Halbzeit auf der Toilette angeboten haben. Ich habe vor der Pause gehalten wie ein Weltmeister und die wollten mir anschließend Geld in die Tasche stecken. 25.000 Mark für ein Gegentor. Aber das hätte ich niemals für Geld zugelassen. Wir haben übrigens 1:0 gewonnen.
SPOX: Dennoch wurden Sie vom DFB-Sportgericht verurteilt und mussten 4400 Mark Strafe zahlen. Warum?
Wolter: Ich habe Geld angenommen, aber nicht fürs Verlieren, sondern fürs Gewinnen wollen. Da ging es um das letzte Saisonspiel in Oberhausen. Wir sollten gewinnen, damit Kickers Offenbach nicht absteigt. Und das würde ich heute noch machen, wenn ich noch spielen würde. Damit tue ich ja niemandem weh, gewinnen will man ja so oder so. Ich habe deshalb auch kein schlechtes Gewissen. Und gewonnen haben wir auch nicht, sondern 1:1 gespielt.
SPOX: Das war vier Jahre nach dem Braunschweiger Überraschungstitel. Wie präsent ist die Erinnerung an die Meisterschaft noch?
Wolter: Die ist sehr präsent! Jeden Abend, wenn ich in mein Zimmer gehe, schauen mich da die ganzen Bilder aus dem Meisterschaftsjahr an. Die hängen alle an der Wand. Und auch in der Stadt werde ich immer mal wieder auf den Erfolg von damals angesprochen - natürlich eher von den älteren Braunschweigern (lacht). Und wenn die übrig gebliebenen von der Meistermannschaft mal zu Besuch kommen, dann hole ich das große Album mit den besonderen Momenten raus, das wir uns dann gemeinsam anschauen.
SPOX: Welches waren für Sie die besonderen Momente in der Saison?
Wolter: Das 5:2 gegen Bayern zum Beispiel, da haben wir innerhalb von wenigen Minuten mit 4:0 geführt und Franz Beckenbauer hat ein herrliches Eigentor geschossen. Oder das 2:1 gegen Gladbach, da lagen wir durch ein Tor von Jupp Heynckes hinten und haben uns dann noch den Sieg geholt. Das war schon besonders.
SPOX: Werden Sie eigentlich immer noch "Luffe" genannt?
Wolter: Ja, in Braunschweig natürlich. Ich kam ja ursprünglich aus Berlin und war gelernter Bäcker und Konditor. Als ich das dem Braunschweiger Kapitän in der Jugend erzählte, sagte er, dass das in der Region "Luffe" heißen würde. Und von da an war ich eine "Luffe", ein Brötchen.
SPOX: Ihre Mannschaft wurde damals als Provinzmeister aus Niedersachsen bezeichnet. War der Fußball damals trotz der Bundesliga-Gründung noch so provinziell?
Wolter: (lacht) Wir hatten Baumwollhemden an, die sind bei Regen noch eingelaufen und Köln spielte schon in den feinsten Klamotten von Dior. Wir waren zusammen mit dem KSC das Armenhaus der Bundesliga. Wir haben am wenigsten verdient, waren mit am schlechtesten organisiert und hatten einfach kaum Möglichkeiten. Vielleicht hat aber genau das den Zusammenhalt und den Charakter der Mannschaft geprägt.
SPOX: Kann man sagen, dass sie der krasseste Außenseiter waren, der jemals die Meisterschaft geholt hat?
Wolter: Das muss man sogar so sagen. Wir haben alle nebenbei gearbeitet - die ganze Mannschaft. Und mittwochs hatten wir zudem noch trainingsfrei. Schon als die Bundesliga 1963 startete, war doch für jeden klar: Der erste, der absteigt, ist Braunschweig. Und als das nicht passierte, war klar: Dann steigen sie halt im nächsten Jahr ab. Aber weit gefehlt.
SPOX: Namen, wie die von Ihnen angesprochenen Beckenbauer und Heynckes sind ja auch heute noch ein Begriff, Horst Wolter sagt aber den wenigsten noch etwas. Woran liegt das?
Wolter: Das ist doch ganz normal. Ich möchte mich nicht mit Franz Beckenbauer und Jupp Heynckes auf eine Stufe stellen - so vermessen bin ich nun wirklich nicht. Ich bin in der Republik aber zum Beispiel noch wegen der Briefmarke präsent, die zur WM rauskam. Die zeigt eine Parade von mir - und das, obwohl lebende Personen auf Briefmarken ja eigentlich nicht abgebildet werden dürfen. Aber jeder wusste, dass ich das bin und ich habe viel Fanpost mit der Marke drauf bekommen.
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SPOX: In der A-Jugend haben Sie in Berlin-Charlottenburg gespielt - und zwar als Rechtsaußen. Wie wird man dann zum Nationaltorwart?
Wolter: Ein unbegabter, untalentierter Rechtsaußen, das muss man dazu sagen (lacht). Als Bäcker musste ich ja früh aufstehen und war dann beim Training immer ziemlich k.o. In Braunschweig hat meine Mutter dann vorgeschlagen, dass ich mich ins Tor stellen soll. Ich bin zwar schon als Kind gerne nach dem Ball gehechtet und stand dann auch im Training zwischen den Pfosten, aber richtig gut war ich nicht. Da hat mich unser Keeper, Hans Jäcker, unter seine Fittiche genommen und mir das Torwartspiel beigebracht. Ihm habe ich ziemlich viel zu verdanken. Und nachdem ich ihn in der ersten Bundesliga-Saison ein paar Mal gut vertreten hatte, habe ich ihn dann ein Jahr später im Tor abgelöst. Das findet man sonst auch nirgendwo, dass jemand seinen eigenen Konkurrenten aufbaut.
SPOX: In der Meistersaison bekamen Sie nur 29 Gegentore - ein Rekord, der 21 Jahre lang Bestand hatte. Sind Sie darauf heute noch stolz?
Wolter: Na klar, das war der Schlüssel zur Meisterschaft. Mit der Mannschaft konnten wir nur defensiv spielen. Und vor allem war unsere Abwehr richtig gut eingespielt. Wenn wir vorne ein Tor geschossen hatten, dann war das meist schon die halbe Miete für den Sieg.
SPOX: Aufgrund der starken Saison wurden Sie in die Nationalmannschaft berufen und waren auch 1970 bei der Endrunde in Mexiko dabei. Was ist Ihnen von dem Turnier am meisten in Erinnerung geblieben?
Wolter: Natürlich das Spiel um Platz drei gegen Uruguay im Aztekenstadion. Da durfte ich das erste Mal bei einer WM ins Tor. Und darüber hinaus das unglaubliche Spiel gegen England, als wir schon 0:2 zurücklagen. Da hatten wir in Gedanken schon die Koffer gepackt und dann haben wir noch 3:2 gewonnen.
SPOX: Kann man die WM 1970 noch mit einem Event wie dem letztes Jahr in Brasilien vergleichen?
Wolter: Nein, überhaupt nicht. Fußball war damals noch ein ganz anderes Spiel. Man konnte den Ball zum Beispiel in Ruhe annehmen, das ist heute ja längst nicht mehr der Fall. Und auch das ganze Umfeld war ein völlig anderes. Wir waren in Leon untergebracht und südamerikanische Befreiungskämpfer hatten vor der WM eine Drohung ausgesprochen. Sie wollten Franz Beckenbauer und Pele entführen, um auf sich aufmerksam zu machen. Daher waren wir hermetisch abgeriegelt. Wenn ich das heute sehe, da werden die Frauen eingeflogen und man geht zusammen Kaffee trinken - das wäre damals undenkbar gewesen.
SPOX: Wie kann man sich das Leben in so einem abgeriegelten Trainingslager vorstellen?
Wolter: Es gab einen Zaun ums Trainingsgelände, drum herum standen Polizisten. Das war nicht lustig und nach drei Wochen hatten wir alle den absoluten Lagerkoller. Land und Leute kennen lernen war völlig unmöglich und ich freue mich, dass die Zeit nicht stehen geblieben ist, sondern dass die Nationalelf in Brasilien ein Dorf der Einwohner besuchen konnte. Uns blieb das leider verwehrt.
SPOX: Wie war es, als Nummer zwei zur WM zu fahren und zu wissen, dass man hinter Sepp Maier vermutlich nicht spielen wird?
Wolter: Für mich war das total super. Sepp konnte nur vernünftig arbeiten, wenn er die Nummer eins war. Der war keine Nummer zwei. Ich hatte in Braunschweig keine Lobby und er war auch ein kleines Stückchen besser als ich. Aber zwischen uns gab es keine Rivalität, wir waren sogar zusammen auf dem Zimmer und es war eine schöne Zeit.
SPOX: Nachdem Sie noch einmal fünf Jahre bei Hertha BSC als Spieler aktiv waren, wurden Sie 1989 in Berlin zum Manager auserkoren. Wie kam es dazu?
Wolter: Ich hatte im Anschluss an meine Bäckerlehre noch eine Banklehre gemacht und habe mich als Spieler immer schon um Dinge wie Vereinswechsel und die Mannschaftskasse gekümmert. Die Hertha war damals ganz unten. Wir spielten in der Oberliga und hatten nicht einmal mehr ein eigenes Stadion. Da schlug der Vorstand vor, ich könne das Finanzielle und das Sportliche übernehmen. Na gut, habe ich gesagt (lacht).
SPOX: Und mit Ihnen als Strippenzieher kam der Erfolg zurück...
Wolter: Kann man so sagen, aber das war natürlich Teamwork - auch bei den Transfers. Wir haben Werner Fuchs als Trainer geholt und hatten sicherlich auch das nötige Glück. Aber wir sind sofort in die 2. Liga und ein Jahr später direkt in die Bundesliga aufgestiegen. Das war schon eine ziemliche Leistung.
SPOX: Dennoch haben Sie nur noch ein Jahr weitergemacht. Warum?
Wolter: Ich habe direkt nach dem Aufstieg schon gesagt, dass wir das Gebiet dringend professionalisieren müssen. Dazu kam, dass wir gleich wieder in die 2. Liga abgestiegen sind und ich - auch aufgrund meiner Familie - nicht mehr die Zeit für den Job hatte. Später übernahm den Posten Dieter Hoeneß, da wurde es dann endlich richtig professionell gemacht.
SPOX: Mit 13 Länderspielen für Deutschland sind Sie noch immer Braunschweigs Rekordnationalspieler - und das nach über 40 Jahren.
Wolter: Das werde ich vermutlich auch noch eine Weile bleiben (lacht). Wer soll denn da aus Braunschweig kommen? Ich habe ja eine rege Fantasie, aber das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Wenn sich wirklich jemand herauskristallisieren sollte, der die Anlagen dazu hat, dann wird der schneller weggekauft, als wir gucken können. Und dann ist er kein Braunschweiger mehr. Stichwort Karim Bellarabi. Von daher wird es wohl ein Rekord für die Ewigkeit sein.
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Der Kader der Eintracht im Überblick