"An diesen Worten wirst du dich messen lassen müssen, Horst." Wie oft werden Horst Heldt diese Worte von Tönnies in den letzten Tagen durch den Kopf gegangen sein? Bei der Jahreshauptversammlung im Juni hatte Heldt einen offenen Auftritt hingelegt. Selbstbewusst und selbstkritisch, mit Augenzwinkern und doch enorm wichtigem Inhalt.
Tönnies' Worte im Anschluss waren beileibe keine Drohung, der Aufsichtsratsvorsitzende hatte sicherlich nicht vor, seinen eben aus der Asche gestiegenen Funktionär direkt wieder zu schwächen oder gar vor ein Ultimatum zu stellen. Dennoch wird sich Tönnies in den kommenden Wochen an seinen Worten messen lassen müssen.
Gerne hätte der S04-Anhang Heldt nach der Saison 14/15 vom Platz gejagt. Die Entscheidung für Roberto di Matteo, das Hin und Her mit Jens Keller, die Transfers von Spielern wie Kevin-Prince Boateng oder Adam Szalai. Auch Heldt wusste, dass das hinterlassene Bild ausbaufähig gewesen war.
"Wir greifen wieder an"
Er handelte, mit seinem Auftritt machte er aus Pfiffen Applaus und galt im Anschluss als großer Gewinner der JHV auf Schalke. "Wir greifen wieder an: Mutig, mit Herz, selbstbewusst und leidenschaftlich", hatte Heldt verkündet und damit nicht nur sich selbst, sondern auch die Anhänger in die Pflicht genommen.
Nach nicht einmal vier Monaten muss schon eine erstes Fazit gezogen werden. Das fällt momentan bei weitem nicht schlecht aus. Rang drei in der Liga, mit Andre Breitenreiter einen souveränen Trainer mit langfristigem Ansatz geholt, wichtige Positionen im Team mit jungen Spielern besetzt und beim eigentlich nicht angedachten Abgang von Julian Draxler eine Menge Geld herausgeschlagen.
Aus dieser Perspektive schwebt ein großes Fragezeichen über Gelsenkirchen. Warum jetzt? Kann auf Schalke eigentlich niemals Ruhe einkehren? Besonders Heldt selbst dürfte sich fragen: Was habe ich falsch gemacht? Ließe er sich an seinen Worten von Ende Juni messen, hat er Arbeit in bester Qualität abgeliefert.
Verhandlungen hinter dem Rücken
Und doch scheint der Abgang beschlossene Sache. Der Auftritt bei Sport1 machte klar, was sich über die letzten Tage bereits angedeutet hatte: Heldt wird mit Ablauf der Saison ersetzt werden. Mit Christian Heidel scheint der Nachfolger bereit zu stehen, auch wenn dieser zuletzt - wie im Geschäft üblich - von nichts etwas wissen wollte.
"Ich bin aufrecht hier reingekommen und werde auch aufrecht wieder rausgehen", so Heldt, der damit versuchte, zumindest etwas Kontrolle über die Situation zu erlangen. Denn was klar wird ist, dass er übergangen wurde. Hinter seinem Rücken wurde ein neuer Mann kontaktiert, glaubt man letzten Medienberichten nicht zum ersten Mal.
Doch welchen Vorwurf will man Schalke machen? Die Königsblauen handeln als Unternehmen, eines der größten der Bundesliga. Der Vertrag mit Heldt läuft mit Ende der Saison aus, das Umsehen nach Alternativen, das Sondieren des Markts sollte hier eine Selbstverständlichkeit sein.
Von gut zu sehr gut
Ganz besonders, wenn man die Erwartungshaltung von S04 an sich selbst mit in die Rechnung einbezieht. "Wenn die Bayern stolpern, wollen wir da sein", hatte Heldt selbst verkündet - und wer mit den Bayern mithalten will, der muss gut sein, sehr gut. Gerade hier scheinen Tönnies und Co. eine Chance zu wittern.
Heldt, so gut wie seine Arbeit in den letzten Monaten gewesen sein mag, hat seine Fehler, seine Ausrutscher und seine Fehlentscheidungen gehabt. Diese wird man jedem Manager vorhalten können, doch die Situation mit Heldt ist - ironischerweise - gut vergleichbar mit Ex-Trainer Keller.
Wer einmal angezählt wurde, wird es bei der leisesten Krise wieder sein. Wer einmal öffentlich Fehler zugegeben hat, der kann sich nicht reinwaschen, dafür ist das Geschäft zu schnelllebig und in seiner Situationsauslegung zu sehr von Extremen geprägt. Von gut zu sehr gut, das wäre der Schritt, den sich Schalke mit einem Mann wie Heidel erwartet. Von vorübergehender Ruhe zu jahrelanger, positiver Zusammenarbeit nach einem klaren Schnitt.
Die Art und Weise macht's
Das ist nur legitim und kann Schalke doch vorgeworfen werden. Das Problem ist nicht das Handeln an sich, viel mehr aber die Art und Weise. "Das hat bei mir dazu geführt, dass ein Denkprozess stattgefunden hat. Ich habe meine Entscheidung für mich schon getroffen", machte Heldt im Doppelpass klar.
Laut eigenen Aussagen hat bisher niemand mit ihm gesprochen, auf Schalke dementierte man Verhandlungen, Heidel dementierte Verhandlungen. Erst 05-Präsident Harald Strutz sprach von "einem Angebot." Die Medien wussten es vor Heldt, sie wussten es aber ganz besonders in einer Phase, in der Schalke positive Schlagzeilen schrieb und sportlich eine gute Figur machte.
Irgendwo auch ein Grund, der für Heidel spricht. In Mainz herrscht Ruhe, nur an wenigen Tagen im Jahr sickern plötzlich Informationen an die Öffentlichkeit. Das mag am deutlich geringeren Medienauftreten festgemacht werden, ist aber auch Verdienst der handelnden Personen.
"Nie etwas tun, was Verein schaden würde"
So oder so - Heidel auf Schalke, das könnte passen. Am Sky-Mikrofon wollte der Manager nichts ausschließen und eigentlich auch nichts kommentieren. Er machte dennoch klar: Geht es einmal fort aus Mainz, dann nur aus gutem Grund. Ein Projekt, das ihn zu reizen vermag und das ihm eine Herausforderung beschert.
Schalke wäre das. Und doch sagte Heidel: "Ich würde nie etwas tun, was diesem Verein in irgendeiner Form schaden würde. Ein offeneres Verhältnis als das, das ich zu meinen Vorstandskollegen pflege, gibt es nicht." Er selbst hat einen Vertrag bis 2017, ein Jahr länger als Heldt.
"Im Streit" den Verein verlassen, sei keine Option. Dennoch liegt ganz offiziell ein Angebot vor - bei Mainz 05, denn noch müsste Heidel losgelöst werden. Eine übliche Praxis bei Spielern, bei Funktionären in letzter Zeit ebenfalls. Schalke scheint sich sicher zu sein, den richtigen Mann am Haken zu haben.
Zwischen Potenzial und Fallhöhe
Seit 1992 steht dieser im Vorstand der 05er. Fehler wird auch er gemacht haben und doch ist das Gesamtbild, das man von Heidel in der Öffentlichkeit aufnimmt und pflegt ein rundum gelungenes. Heidel holte Jürgen Klopp, Heidel holte Thomas Tuchel. Heidel arbeitete viel und vor allem erfolgreich an der Jugendarbeit und am Bruchwegstadion.
Weggehen und neue Herausforderungen suchen könnte er sicher nicht nur mit der Möglichkeit Schalke. Und doch ist S04 ein spannendes Projekt, eine Baustelle, die schon begonnen wurde und die über ein stabiles Fundament verfügt, aber noch lange nicht das Richtfest feierte.
Die Möglichkeiten sind größer als in Mainz, das kann Chance und Risiko sein. Denn auch Heidel sollte wissen: Entscheidet er sich für den großen Schritt nach Gelsenkirchen, wird er sich an seinen Worten zum Amtsantritt messen lassen müssen.
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