Es läuft die 36. Minute an diesem 10. Dezember des letzten Jahres im Europa-League-Spiel Partizan Belgrad gegen den FC Augsburg. Nikola Ninkovic rauscht mit gestrecktem Bein in Jan-Ingwer Callsen-Bracker. Der FCA-Innenverteidiger schreit vor Schmerz. Diagnose: Wadenbeinbruch. Mehrere Monate Pause. Für Trainer Markus Weinzierl und Manager Steffen Reuter war klar: Ein weiterer Innenverteidiger musste her.
Doch warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Goethes geflügelten Worten folgend erinnerte man sich in Augsburg an einen gewissen Jeffrey Gouweleeuw. Gegen dessen AZ Alkmaar hatte man nur wenige Wochen zuvor im selben Wettbewerb zwei Siege gefeiert.
Zwei Monate später ist der 24-jährige Niederländer schon Teil des FCA-Kaders und schwitzte mit den Fuggerstädtern unter spanischer Sonne im Trainingslager. Am Ende ging alles ganz schnell, am Tag der Geburt von Söhnchen Mateo reiste er noch ins Trainingslager von AZ nach Estepona, wo er vom FCA-Interesse hörte. Dem Medizincheck in Stuttgart folgte direkt der Flug zurück, denn pikanterweise haben der alte und neue Verein das Trainingslager im selben Ort.
Drei Millionen Euro ließ sich der FCA die Unterschrift Gouweleeuw unter den Vertrag bis 2019 kosten. Was auf den ersten Blick nach einer überhasteten Aktion aussieht, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung allerdings als geschickter Transfer.
Wenig Jahre, viele Spiele
Der Mann mit dem Horror-Namen für alle Reporter, der bei den Fuggerstädtern nur "Jeff" gerufen wird, ist nämlich trotz seiner jungen Jahre schon extrem erfahren. Für AZ Alkmaar und den SC Heerenveen hat Gouweleeuw in der niederländischen Eredivisie mehr als 150 Spiele absolviert. Für die Elftal reichte es indes noch nicht, lediglich in der U 21 kam der äußerst passsichere Mann zweimal zum Einsatz.
Wichtigstes Kriterium bei der Ersatz-Verpflichtung war, dass der Kandidat für den Zwölften der Bundesliga direkt eine Verstärkung darstellen sollte. Das trifft bei Gouweleeuw absolut zu, findet auch Stefan Reuter: "Er war Kapitän in Alkmaar, ist sehr erfahren und hat immer gespielt. Er kann uns deshalb auch sofort weiterhelfen", so der Manager.
Feine Klinge statt Brecheisen
Trotz seiner Größe von 1,87 Metern ist Augsburgs neue Nummer Sechs kein Brecher wie sein großes Vorbild, die United-Legende Rio Ferdinand. Gouweeleeuw ist stark am Ball, kann durch Schnelligkeit und Athletik punkten und greift nur selten zum Mittel des Foulspiels; ganze vier gelbe Karten in der ganzen letzten Saison sind für einen zentralen Verteidiger ein guter Wert. Mit seiner Ballsicherheit erfüllt er außerdem den Anspruch an einen modernen Verteidiger, das eigene Angriffsspiel einleiten und aufbauen zu können.
In Augsburg sieht er sich selbst besser aufgehoben als etwa in der Premier League: "In England gibt es nur Schränke in der Verteidigung. Da passt die Bundesliga mit der dosierten Kraft besser zu mir", sagte er dem Algemeen Dagblad.
Holland-Riegel beim FCA
Dennoch muss sich Gouweleeuw erst akklimatisieren. Anders als viele seiner Landsleute spricht er kein Deutsch. Auch wenn er "Augsburg als sympathisches Team kennengelernt" hat, hält er sich daher zunächst an Kapitän und Landsmann Paul Verhaegh und an seinen Innenverteidiger-Kollegen Ragnar Klavan, der ebenfalls für AZ aktiv war.
"Jeff wird uns stärker machen, aber er muss sich noch an uns und an unsere Abläufe gewöhnen", weiß Verhaegh, dass der Neue noch Zeit braucht.
Um ein Haar wäre es gar nicht zum Wechsel nach Augsburg gekommen. Im Sommer war Gouweleeuw nämlich schon auf dem Weg zu Olympiakos Piräus. Der Transfer zerschlug sich wegen anderer AZ-Abgänge jedoch kurzfristig, was ihm gar nicht schmeckte, denn schon lange stand sein Wunsch fest, das Heimatland zeitnah verlassen zu wollen. Schon vor zwei Jahren kokettierte er mit einem Wechsel ins Ausland.
Das ist auch eine Facette des Jeffrey Gouweleeuw. Der Mann hat seinen eigenen Kopf. Das musste auch Hollands Stürmer-Legende Marco van Basten erfahren, als der ihn eine Saison lang in Alkmaar coachte. Immer wieder kam es zu Differenzen. Van Basten warf dem Verteidiger unter anderem vor, nicht genug aus seinem großen Potenzial zu machen. Das will sich Gouweleeuw in Augsburg sicher kein zweites Mal vorwerfen lassen müssen.
Jeffrey Gouweleeuw im Steckbrief