"Ich war noch nicht bereit für Gladbach"

Benjamin Wahlen
29. Januar 201620:09
Lars Stindl erzielte das erste Champions-League-Tor in der Geschichte von Mönchengladbachgetty
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Lars Stindls erste Saison bei Borussia Mönchengladbach begann mit einem historischen Fehlstart und anschließendem Trainerwechsel. Inzwischen bildet der 27-Jährige gemeinsam mit Raffael eines der gefährlichsten Sturmduos der Liga und kämpft mit dem VfL um die internationalen Plätze. Stindl über seine Absage an Gladbach 2012, den emotionalen Abschied von Hannover 96 und den besonderen Ehrgeiz im Derby.

SPOX: Herr Stindl, Ihren Wechsel zu Borussia Mönchengladbach im vergangenen Sommer verkündeten Sie selbst via Twitter, die Pressemitteilungen der Vereine wurden erst später veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Lars Stindl: Es war mir sehr wichtig, unsere Fans persönlich über den Wechsel zu informieren und ihnen meine Beweggründe zu erklären. Ich bin damals nach Hannover in die "große weite Welt" gekommen und habe dort fünf Jahre gespielt. Der Verein und die Stadt sind mir sehr ans Herz gewachsen, weshalb ich mich unbedingt ehrlich verabschieden wollte. Die Vereine haben dem zugestimmt, anschließend haben wir einen Zeitplan für die Veröffentlichungen besprochen, an den sich jede Seite gehalten hat.

SPOX: Die Fans feierten Sie zum Abschied sehr emotional, von der sportlichen Führung gab es Lob im Überfluss. Waren Sie erleichtert über solch einen versöhnlichen Abschied?

Stindl: Der Wechsel ist damals von Anfang an sehr sauber abgelaufen. Ich habe dem Verein frühzeitig mitgeteilt, was meine Ziele sind und wo ich meine Zukunft sehe. Wir haben offen miteinander gesprochen und anschließend den Dialog mit den Fans gesucht. Ich denke, man hat verstanden, dass es mir nicht darum ging, Hannover zu verlassen, sondern eine neue Herausforderung zu finden.

SPOX: 2012 steckten Sie in einer ganz ähnlichen Situation. Auch damals wollte Max Eberl Sie zur Borussia, die nach 31 Spieltagen auf dem vierten Platz lag, holen. Warum entschieden Sie sich, zu bleiben?

Stindl: Ich hatte nicht das Gefühl, schon bereit für den nächsten Schritt beziehungsweise einen Wechsel zu Mönchengladbach zu sein. Ich war erst seit zwei Jahren in Hannover, wollte mich dort weiter etablieren und persönlich entwickeln. Umso mehr hat es mich gefreut, dass Gladbach auch in diesem Sommer nochmal Interesse an mir bekundet hat und der Wechsel zu Stande gekommen ist.

SPOX: Sie haben sich vorab nicht nur über den Verein und die Mannschaft, sondern auch über die Fankultur in Gladbach informiert. Spielte diese bei Ihrer Entscheidung eine Rolle?

Stindl: Auf jeden Fall. Ich habe immer einen guten Draht zu den Fans gehabt und versucht, mir ein Bild von den Hintergründen zu machen. Gladbach hat eine sehr lebendige, aktive Fanszene, das hat man schon gemerkt, wenn Borussia bei uns in Hannover gespielt hat. Letztlich hat aber das Gesamt-Paket aus Verein, Mannschaft, Historie, Philosophie und Fans entschieden, das in Gladbach überragend ist.

SPOX: Sind Sie deshalb auch nach Gladbach gezogen, statt wie viele Ihrer Mitspieler, die in umliegenden Städten wohnen?

Stindl: Das war in der Tat eine bewusste Entscheidung. So ist man nah am Stadion und am Trainingsgelände, die Wege sind kurz. Außerdem bekommt man ein Gefühl für die Menschen und die Stadt.

SPOX: Nach anfänglichen Startschwierigkeiten sind Sie auch sportlich voll in Mönchengladbach angekommen. Wie sieht Ihr persönliches Hinrunden-Fazit aus?

Stindl: Es war ein turbulentes erstes halbes Jahr, für den Verein wie für mich. Wir haben schwer in die Saison gefunden und dann eine Weile gebraucht, bis wir uns aufrappeln konnten. Das gilt im Grunde genauso für mich.

SPOX: Oftmals heißt es, Sie seien in der Anfangsphase unter Lucien Favre falsch eingesetzt worden. Erst Andre Schubert beorderte Sie neben Raffael in die Spitze.

Stindl: Das kann man so nicht sagen. Wir haben im Trainingslager vor der Saison viele Varianten ausprobiert. Und wie im Pokal hat es dort gut funktioniert, wenn ich auf der Doppelsechs gespielt habe. Wir haben deshalb versucht, das so in die Liga zu transportieren. Dass das nicht geklappt hat, lag aber viel mehr an meiner eigenen Leistung, nicht an der Position. Heute bin ich froh, dass wir den Bock umstoßen konnten und ich mit meinen Auftritten zufrieden sein kann.

SPOX: In Gladbach spielen und trainieren Sie nun mit einem Kader, der über große individuelle Klasse verfügt. Fiel Ihnen diese Umstellung Anfangs schwer?

Stindl: Nein, im Gegenteil. Man lernt dabei unheimlich viel. Wir haben hier viele Spieler mit einer enormen Qualität. Schon im Training ist das Niveau dadurch entsprechend hoch und man steht ständig im Konkurrenzkampf.

SPOX: Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Stindl: Es ist schwer, aus einem starken Kollektiv einzelne Elemente hervorzuheben. Aber Raffael ist schon ein einzigartiger Ausnahmespieler, da brauchen wir nicht drüber reden. Er gehört zu den besten Jungs der Liga und wir sind froh, dass er für uns spielt.

SPOX: Vor Ihrem Wechsel zum VfL benannten Sie die Champions League als einen Ihrer Träume. Wie war es, zum ersten Mal die CL-Hymne im Borussia-Park zu hören? Einigen Ihrer Kollegen sah man deutlich an, wie besonders dieser Moment für sie war.

Stindl: Das stimmt. Aber auch ich habe es sehr genossen. Meine Karriere hat ja nun schon einige Jahre auf dem Buckel und ich weiß gut einzuschätzen, dass sowas nichts Alltägliches ist. Mit den Tränen kämpfen musste ich allerdings nicht. (lacht)

SPOX: Noch am selben Abend haben Sie sich als erster Champions-League-Torschütze Gladbachs in der Historie des Vereins verankert. Erinnert man sich gerne an so etwas zurück?

Stindl: An dem Tag war es mir zunächst mal sehr egal, weil wir nach einer tollen Partie trotzdem verloren haben. Aber auch im Nachgang blicke ich lieber auf die Spiele gegen Turin zurück und natürlich besonders auf unseren Sieg gegen Sevilla. An diesem Abend herrschte eine ganz spezielle Atmosphäre im Borussia-Park.

SPOX: Eine spezielle Atmosphäre erwartet Sie auch im Heimspiel gegen Köln. Ein Hannoveraner Journalisten-Kollege hat mal über Sie gesagt: 'Lars Stindl gehört zu den geradesten und freundlichsten Typen, die ich jemals kennen gelernt habe - aber im Derby möchte ich nicht gegen ihn spielen'. Was sagen Sie zu einer solchen Einschätzung?

Stindl: Na wunderbar! (lacht) Erstmal ist das natürlich ein schönes Kompliment - und sicher nicht ganz falsch. Ich bin ein engagierter, emotionaler Spieler, ich gebe immer alles. Manchmal schieße ich etwas über das Ziel hinaus. Man weiß schließlich um die Bedeutung eines Derbys für den Verein und die Fans.

SPOX: Das vergangene Derby in Köln werden Sie ebenfalls nicht so schnell vergessen haben...

Stindl: Ja, es war das letzte Spiel unter Lucien Favre. Außerdem haben unsere Fans die Partie wegen der diversen Sanktionen boykottiert. Das war eine komische Situation für uns. Einerseits hätten wir uns über mehr Support sehr gefreut, gerade in einem Derby braucht man diesen. Andererseits konnten wir die Fans aber verstehen. Jetzt freuen wir uns auf das Derby vor eigenem Publikum.

SPOX: Zum Start der Rückrunde gab es eine 1:3-Niederlage gegen den BVB. Ist Dortmund aktuell zu stark für den Rest der Liga, wenn man die Bayern mal außen vor lässt?

Stindl: Man muss schon ehrlich zugeben, dass Dortmund an dem Tag klar besser war als wir. Wir hatten unsere Momente und hätten dem Spiel mit etwas mehr Glück in der einen oder anderen Situation sicher einen anderen Verlauf geben können. Unter dem Strich bleibt, dass Dortmund eine wahnsinnig starke Mannschaft hat, die in dieser Form nur sehr schwer zu schlagen ist.

SPOX: Auch bei Ihren alten Kollegen verlief der Start enttäuschend. Wie verfolgen Sie die Entwicklung in Hannover?

Stindl: Natürlich habe ich immer auch ein Auge auf 96. Im Winter gab es eine große Aufbruchsstimmung, es sind fünf neue Spieler gekommen und ein neuer Trainer. Dass die Partie gegen Darmstadt trotz Führung verloren wurde, ist sehr bitter. Die Art und Weise der Niederlage macht aber Mut. Auch im Umfeld ist man optimistisch und glaubt an den Klassenerhalt. Ich hoffe sehr, dass sie es packen! SPOX

SPOX: Gibt es so etwas wie ein schlechtes Gewissen dem Ex-Verein gegenüber? Immerhin waren Sie nicht nur einer der Leistungssträger der Teams, sondern auch Kapitän.

Stindl: Nein, solche Gedanken sollte man sich nicht machen. Es geht nie um einen Spieler alleine, immer um die Mannschaft und das Kollektiv.

SPOX: In Martin Hinteregger und Jonas Hofmann gab es auch in Gladbach zwei Wintertransfers, dazu lichten sich langsam die Reihen der Langzeitverletzten. Nach dem Aus im Pokal und der CL wird es allerdings kaum noch Rotation und damit unzufriedene Spieler geben. Wurde die Mannschaft darauf in der Winterpause vorbereitet?

Stindl: Nein, das ist auch nicht nötig. Jeder weiß, dass wir einen großen Kader mit vielen Spielern haben, die alle in der Startelf stehen wollen. Uns ist klar, dass es in der Rückrunde harte Entscheidungen geben wird. Aber so ist das im Profi-Fußball. Man muss lernen, damit umzugehen.