"Mir auch mal den Arsch aufreißen"

Florian Schimak
02. März 201614:21
Jerome Gondorf spielt seit 2013 beim SV Darmstadt 98getty
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Er erlebte beide Aufstiege des SV Darmstadt 98 mit und gehört als einer der wenigen seit Drittligazeiten zur Stammelf von Dirk Schuster. Jerome Gondorf fliegt medial fast schon ein wenig unter dem Radar. Im Interview spricht der gebürtige Karlsruher über divenhaftes Verhalten, seine Karriere ohne Jugendinternat, wichtige Arschtritte von Schuster und ein mögliches Angebot vom BVB.

SPOX: Herr Gondorf, wenn Ihnen 2007 jemand gesagt hätte, dass Sie im Februar 2016 22 Bundesliga-Spiele auf dem Konto hätten. Was hätten sie demjenigen geantwortet?

Jerome Gondorf: 'Danke, dann habe ich meinen Traum erfüllt.' Im Ernst, damals habe ich natürlich noch nicht daran geglaubt, dass ich es einmal zum Bundesligaspieler schaffen würde, weil ich den Sprung aus der A-Jugend des Karlsruher SC zu den Profis nicht geschafft hatte. Insofern wäre es auch fehl am Platz gewesen, wenn ich solche Ziele derart offen formuliert hätte, da ich ein sehr bodenständiger Typ bin.

SPOX: Dennoch haben Sie sich in der Bundesliga etabliert. Ihre bisherige Laufbahn ist eng mit der von Dirk Schuster verbunden. Haben Sie sich schon einmal ausgemalt, wie Ihr Leben verlaufen wäre, wenn Sie Schuster nicht begegnet wären?

Gondorf: Ich bin sehr froh darüber, wie es bis jetzt verlaufen ist. Aber es hätte auch sein können, dass mich nicht Dirk Schuster zu den Stuttgarter Kickers geholte hätte, sondern ich ein halbes Jahr später zum SV Sandhausen gegangen wäre. Im Fußball gibt es so viele Unwägbarkeiten, insofern ist es müßig, sich darüber Gedanken zu machen.

SPOX: Aber ein wenig dankbar sind Sie ihm doch schon, oder?

Gondorf: Natürlich. Er hat mich damals aus der Oberliga zu den Kickers geholt. Ich hatte meine Prioritäten zwischenzeitlich schon anders gelegt. Nachdem ich beim KSC auf die Schnauze fiel, habe ich zunächst das Abitur gemacht und meinen Zivildienst absolviert. Danach kam der Wechsel nach Stuttgart zustande.

SPOX: Hatten Sie Ihre Profikarriere bereits vollends zu den Akten gelegt?

Gondorf: Nicht ganz, aber meine Eltern und ich hatten viel für den Fußball geopfert und beim ersten Versuch hatte es nicht geklappt. Daher war es mir damals wichtig, eine Basis zu schaffen, die nicht zwingend etwas mit Fußball zu tun hatte. Erst als ich mit 20 aus der Verbandsliga in die Oberliga ging, merkte ich, dass es mich doch wieder kitzelte und ich es mit der Profikarriere noch einmal versuchen sollte. Letztlich hat sich mein Ehrgeiz ausgezahlt.

SPOX: Sie sprechen von einer Basis. Was wären Sie denn geworden, wenn es am Ende wirklich mit dem Fußball nicht geklappt hätte?

Gondorf: Ich hatte ein Lehramtsstudium begonnen. Als sich abzeichnete, dass es mit der Kickerei letztlich doch etwas werden könnte, habe ich es aus zeitlichen Gründen abgebrochen und voll auf die Karte Fußball gesetzt. Über das Karriereende hinaus möchte ich dann aber dem Fußball treu bleiben, daher absolviere ich derzeit auch ein Fernstudium, allerdings nicht auf Lehramt.

SPOX: Als einer der wenigen Spieler haben Sie es ohne Jugendinternat in die Bundesliga geschafft. Haben Sie dahingehend nicht das Gefühl, dass Ihnen etwas gefehlt hat?

Gondorf: Nein, wirklich nicht. Ich bin ja quasi in einem Internat aufgewachsen, da ich eine große Familie mit fünf Geschwistern habe, die allesamt Fußball spielen. Ich hätte in der C-Jugend schon zum KSC gehen können, doch meine Eltern wollten das nicht. Fußball sollte mir in meiner Jugend Spaß machen und ich sollte mich noch nicht so früh mit dem Druck und dem Konkurrenzkampf auseinandersetzen müssen. Darüber bin ich auch sehr froh, denn so habe ich mir bis heute ein Stück weit meine unbekümmerte Art, Fußball zu spielen beibehalten und dadurch eins vielleicht nicht verlernt: Intuition.

SPOX: Dann können Sie sich ja fast glücklich schätzen, dass Sie eine "völlig unbeschwerte Jugend" hatten...

Gondorf: Absolut. Der Zeitpunkt meines Wechsels in die A-Jugend des KSC war für mich völlig ausreichend. Bis dahin konnte ich mit meinen Freunden aus dem Dorfverein zusammenspielen und mein Leben wurde noch nicht so eingenommen, wie es der Fall gewesen wäre, wenn ich in ein Nachwuchsleistungszentrum gegangen wäre. Ich hatte Zeit, mal mit einem Mädel ein Eis essen zu gehen oder mit den Jungs ein Bierchen trinken gehen zu können. Ich war noch nicht in gewissen Zwängen des Profifußballs gefangen, sondern konnte meine Jugend so genießen, wie ich sie mir vorgestellt habe.

SPOX: Sie sagen selbst, dass Sie früher auf dem Platz eine Diva gewesen sind. Erst Schuster hätte Ihnen dieses Gehabe ausgetrieben. Wie hat er das geschafft?

Gondorf: Während meiner ersten Vorbereitung unter Schuster musste ich ordentlich durchschnaufen - da habe ich erstmals gemerkt, dass es nicht reicht, mal einen lässigen Pass zu spielen und sich dann auszuruhen. Er hat mir den einen oder anderen Denkzettel verpasst und mir gesagt, ich müsse niemanden beweisen, wie gut ich Fußball spielen könne, sondern mir auch mal den Arsch aufreißen. Das hat Wirkung gezeigt. Ich würde sagen, dass ich nun ein ziemlich kompletter Mittelfeldspieler bin. Nicht umsonst habe ich von Alberto Colucci, dem Sänger des Lilien-Lieds, den Spitznamen: "Der Mann mit den vier Lungen" (lacht).

SPOX: Es steht die Englische Woche an und der BVB ist zu Gast am Böllenfalltor. Dort wird seit Wochen spekuliert, Ilkay Gündogan könnte den Klub verlassen. Er ist ja ein ähnlicher Spielertyp wie sie...

Gondorf: Netter Versuch. Ich kann mich in der Bundesliga ganz gut einordnen und weiß, welche Möglichkeiten Borussia Dortmund hat. In dieser Kategorie bewege ich mich nicht, dafür bin ich dann wohl doch schon zu alt. Thomas Tuchel setzt eher auf jüngere Spieler, die er noch formen kann. Falls Gündogan den BVB tatsächlich verlassen sollte, wird man in Dortmund garantiert einen geeigneten Ersatz finden. Und sollte man in Dortmund doch irgendwie auf mich kommen, dann wäre ich in erste Linie einmal dankbar - und dann müssten wir uns erstmal über die Zahlen unterhalten. (lacht)

SPOX: Aber ganz so abwegig könnte ein Abschied im Sommer doch gar nicht sein. Ihr Vertrag läuft 2017 aus und die Lilien könnten unter Umständen eine ordentliche Ablöse für Sie kassieren.

Gondorf: Wir werden uns in den kommenden Monaten dahingehend zusammensetzen, denn auch der Verein muss erstmal schauen, wohin der Weg führt. Es besteht aber ein reger Austausch mit dem SV Darmstadt, bei dem ich mich bekanntlich sehr wohl fühle.

SPOX: Eigentlich können Sie den Verein gar nicht verlassen, sonst würde Aytac Sulu doch gar nicht ins Training kommen. Sie pendeln seit fast drei Jahren täglich zwischen Karlsruhe und Darmstadt und bilden gemeinsam mit ihrem Kapitän eine Fahrgemeinschaft.

Gondorf: Das stimmt, diese Fahrgemeinschaft gibt es schon ziemlich lange. In dieser Zeit sind wir auch richtig gute Freunde geworden.

SPOX: Kapitän Sulu ist der Anführer der Lilien, auch der Trainer nennt ihn seinen verlängerten Arm. Überrascht es Sie, dass sich beispielsweise Spieler wie Peter Niemeyer, der in Berlin auch Kapitän war, so gut unterordnen können oder kommt es da ab und an mal zu Reibereien?

Gondorf: Nein, da gibt es überhaupt keine Probleme. Über Aytacs Stellung in der Mannschaft gab es nie eine Diskussion. Jeder, der neu zu einem Verein kommt, fängt bei null an. Peter hilft uns mit seiner Erfahrung ungemein. Ein gesunder Menschenverstand reicht aus, um auch ohne Binde Verantwortung zu übernehmen. Gerade in der Anfangszeit gab er meinem Spiel durch seine Präsenz extrem viel Stabilität. So konnte ich mich in der Liga zurechtfinden und inzwischen sind wir sehr gut eingespielt.

SPOX: Immer wieder wird die überragende Stimmung beim SV Darmstadt 98 betont. Ihr Vater soll Ihnen zu einer Laufbahn als Comedian oder Schauspieler geraten haben.

Gondorf: Mein Vater ist auch nicht ganz unlustig, also ist der Humor vererbt. Es stimmt schon, ich haue ab und an mal den einen oder anderen Spruch raus. Das geht bei uns natürlich ziemlich leicht, weil es im Team zwischenmenschlich einfach passt. Auf dem Platz bin ich ebenfalls sehr emotional, kann aber auch sehr ernst und kritisch sein und pushe meine Mitspieler lautstark.

SPOX: Wenn man an den SV Darmstadt denkt, denkt man automatisch an ehrlichen Fußball, der sich am Rande der Legalität bewegt. Viele Teams haben sich nach der Partie gegen die Lilien über eure Gangart beschwert. Nervt das Gejammer der Gegner nicht inzwischen schon ein bisschen?

Gondorf: Von uns kann doch keiner verlangen, dass wir schönen Fußball spielen - wir sind Aufsteiger. Wir haben gar nicht die individuelle Klasse, dem FC Bayern nachzueifern. Dafür haben wir ganz andere Mittel, mit denen wir erfolgreich sein wollen. Wenn wir ansehnlichen Fußball spielen, uns die Gegner anschließend auf die Schulter klopfen und wir am Ende aber abgestiegen sind, bringt uns das doch auch nichts. Für mich ist es das größte Kompliment, wenn eine Mannschaft nach dem Spiel sagt, wir waren eklig. Das ist eine Form von Anerkennung und Respekt - und das haben wir uns in den bisherigen Spielen erarbeitet.

Jerome Gondorf im Steckbrief