SPOX: Herr Gondorf, wenn Ihnen 2007 jemand gesagt hätte, dass Sie im Februar 2016 22 Bundesliga-Spiele auf dem Konto hätten. Was hätten sie demjenigen geantwortet?
Jerome Gondorf: 'Danke, dann habe ich meinen Traum erfüllt.' Im Ernst, damals habe ich natürlich noch nicht daran geglaubt, dass ich es einmal zum Bundesligaspieler schaffen würde, weil ich den Sprung aus der A-Jugend des Karlsruher SC zu den Profis nicht geschafft hatte. Insofern wäre es auch fehl am Platz gewesen, wenn ich solche Ziele derart offen formuliert hätte, da ich ein sehr bodenständiger Typ bin.
SPOX: Dennoch haben Sie sich in der Bundesliga etabliert. Ihre bisherige Laufbahn ist eng mit der von Dirk Schuster verbunden. Haben Sie sich schon einmal ausgemalt, wie Ihr Leben verlaufen wäre, wenn Sie Schuster nicht begegnet wären?
Gondorf: Ich bin sehr froh darüber, wie es bis jetzt verlaufen ist. Aber es hätte auch sein können, dass mich nicht Dirk Schuster zu den Stuttgarter Kickers geholte hätte, sondern ich ein halbes Jahr später zum SV Sandhausen gegangen wäre. Im Fußball gibt es so viele Unwägbarkeiten, insofern ist es müßig, sich darüber Gedanken zu machen.
SPOX: Aber ein wenig dankbar sind Sie ihm doch schon, oder?
Gondorf: Natürlich. Er hat mich damals aus der Oberliga zu den Kickers geholt. Ich hatte meine Prioritäten zwischenzeitlich schon anders gelegt. Nachdem ich beim KSC auf die Schnauze fiel, habe ich zunächst das Abitur gemacht und meinen Zivildienst absolviert. Danach kam der Wechsel nach Stuttgart zustande.
SPOX: Hatten Sie Ihre Profikarriere bereits vollends zu den Akten gelegt?
Gondorf: Nicht ganz, aber meine Eltern und ich hatten viel für den Fußball geopfert und beim ersten Versuch hatte es nicht geklappt. Daher war es mir damals wichtig, eine Basis zu schaffen, die nicht zwingend etwas mit Fußball zu tun hatte. Erst als ich mit 20 aus der Verbandsliga in die Oberliga ging, merkte ich, dass es mich doch wieder kitzelte und ich es mit der Profikarriere noch einmal versuchen sollte. Letztlich hat sich mein Ehrgeiz ausgezahlt.
SPOX: Sie sprechen von einer Basis. Was wären Sie denn geworden, wenn es am Ende wirklich mit dem Fußball nicht geklappt hätte?
Gondorf: Ich hatte ein Lehramtsstudium begonnen. Als sich abzeichnete, dass es mit der Kickerei letztlich doch etwas werden könnte, habe ich es aus zeitlichen Gründen abgebrochen und voll auf die Karte Fußball gesetzt. Über das Karriereende hinaus möchte ich dann aber dem Fußball treu bleiben, daher absolviere ich derzeit auch ein Fernstudium, allerdings nicht auf Lehramt.
SPOX: Als einer der wenigen Spieler haben Sie es ohne Jugendinternat in die Bundesliga geschafft. Haben Sie dahingehend nicht das Gefühl, dass Ihnen etwas gefehlt hat?
Gondorf: Nein, wirklich nicht. Ich bin ja quasi in einem Internat aufgewachsen, da ich eine große Familie mit fünf Geschwistern habe, die allesamt Fußball spielen. Ich hätte in der C-Jugend schon zum KSC gehen können, doch meine Eltern wollten das nicht. Fußball sollte mir in meiner Jugend Spaß machen und ich sollte mich noch nicht so früh mit dem Druck und dem Konkurrenzkampf auseinandersetzen müssen. Darüber bin ich auch sehr froh, denn so habe ich mir bis heute ein Stück weit meine unbekümmerte Art, Fußball zu spielen beibehalten und dadurch eins vielleicht nicht verlernt: Intuition.
SPOX: Dann können Sie sich ja fast glücklich schätzen, dass Sie eine "völlig unbeschwerte Jugend" hatten...
Gondorf: Absolut. Der Zeitpunkt meines Wechsels in die A-Jugend des KSC war für mich völlig ausreichend. Bis dahin konnte ich mit meinen Freunden aus dem Dorfverein zusammenspielen und mein Leben wurde noch nicht so eingenommen, wie es der Fall gewesen wäre, wenn ich in ein Nachwuchsleistungszentrum gegangen wäre. Ich hatte Zeit, mal mit einem Mädel ein Eis essen zu gehen oder mit den Jungs ein Bierchen trinken gehen zu können. Ich war noch nicht in gewissen Zwängen des Profifußballs gefangen, sondern konnte meine Jugend so genießen, wie ich sie mir vorgestellt habe.
SPOX: Sie sagen selbst, dass Sie früher auf dem Platz eine Diva gewesen sind. Erst Schuster hätte Ihnen dieses Gehabe ausgetrieben. Wie hat er das geschafft?
Gondorf: Während meiner ersten Vorbereitung unter Schuster musste ich ordentlich durchschnaufen - da habe ich erstmals gemerkt, dass es nicht reicht, mal einen lässigen Pass zu spielen und sich dann auszuruhen. Er hat mir den einen oder anderen Denkzettel verpasst und mir gesagt, ich müsse niemanden beweisen, wie gut ich Fußball spielen könne, sondern mir auch mal den Arsch aufreißen. Das hat Wirkung gezeigt. Ich würde sagen, dass ich nun ein ziemlich kompletter Mittelfeldspieler bin. Nicht umsonst habe ich von Alberto Colucci, dem Sänger des Lilien-Lieds, den Spitznamen: "Der Mann mit den vier Lungen" (lacht).