"Bader interessiert dort keinen mehr"

Jochen Tittmar
26. Februar 201610:23
Martin Bader übernahm die Geschicke von H96 im September 2015getty
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Elfeinhalb Jahre lang ging Martin Bader mit dem 1. FC Nürnberg durch Höhen und Tiefen. Nun ist er Geschäftsführer bei Hannover 96, das akut vom ersten Abstieg seit 14 Jahren bedroht ist. Im Interview spricht Bader über sein Aus beim Club, die Probleme in Hannover und erklärt, weshalb ihm der Beruf etwas wichtiger ist als Privates.

SPOX: Herr Bader, würden Sie es als Ironie des Schicksals bezeichnen, dass Sie nun doch bei Hannover 96 gelandet sind? Es wird gemunkelt, dass Ihnen Martin Kind bereits 2009 ein Angebot gemacht hätte.

Martin Bader: Das ist richtig. Wir waren damals in einem engeren Austausch, da Martin Kind einen kurzfristig verfügbaren Nachfolger für Christian Hochstätter suchte. Ich hatte allerdings noch einen langfristigen Vertrag in Nürnberg. Wir hielten daraufhin aber den Kontakt. Jetzt hat es, anders als damals, für alle Parteien Sinn ergeben.

SPOX: Der schon lange bestehende Kontakt zu Kind ist im Sommer intensiviert worden als klar war, dass Dirk Dufner in Hannover nicht mehr weiterbeschäftigt wird. Hat Sie Kind damals einfach angerufen und nach Ihrer Verfügbarkeit gefragt?

Martin Bader empfing SPOX-Redakteur Jochen Tittmar in seinem Büro in der 96-Geschäftsstellespox

Bader: Es war relativ schnell klar, dass ich in Nürnberg eine Lösung finden muss. Da wir mit dem Club den direkten Wiederaufstieg in die Bundesliga verpasst hatten, merkte man während der Vorbereitung beidseitig, dass die Situation belastet ist. Es zeigt sich derzeit zwar, dass die Mannschaft des FCN in der Lage ist, um den Aufstieg mitzuspielen. Ich hatte aber nicht das Gefühl, die Zeit zu bekommen, um in Ruhe weiterarbeiten zu können. Zeitnah habe ich dann mit dem Aufsichtsrat besprochen, eine Nachfolgelösung zu finden.

SPOX: Für Sie war es quasi der erste echte Vereinswechsel, nachdem Sie sich in der Branche etabliert haben. Haben Sie da auch noch einmal mit Ihrem Mentor Dieter Hoeneß Rücksprache gehalten?

Bader: Auch mit ihm, ja. Ich habe mir auch bei Jörg Schmadtke und Dieter Hecking Rat eingeholt. Zu Dieter Hoeneß genieße ich schon großes Vertrauen. Ich habe acht Jahre lang mit ihm in Berlin zusammengearbeitet, so dass sich daraus auch eine private Beziehung ergeben hat. Bereits die Entscheidung für Nürnberg habe ich mit ihm besprochen. Wir haben seitdem immer Kontakt gehalten.

SPOX: Einer der Aufsichtsräte in Nürnberg hat vor Jahren auf einer Mitgliederversammlung gesagt, dass der FC Bayern München Interesse an Ihnen gezeigt hat. Stimmt das?

Bader: Diese Aussage ist mir bekannt. Ich kenne über Dieter natürlich auch Uli Hoeneß. Wir haben zu Nürnberger Zeiten ja einige Transfers zwischen beiden Klubs auf den Weg gebracht. Ob aber beim FC Bayern irgendwann mal jemand über mich nachgedacht hat, das weiß ich gar nicht. Es ist nie etwas direkt an mich herangetragen worden und es gab keine konkretes Nachfrage.

SPOX: Sie sagten, ursprünglich wollten Sie nach Ihrem Aus in Nürnberg eine Pause einlegen. Wie hat denn Ihre Familie darauf reagiert, dass es dann doch direkt weiterging?

Bader: Das war zuletzt beruflich wie privat keine leichte Zeit für mich. Meine Tochter ist zwölf Jahre alt und damit mit Nürnberg groß geworden. Die Entfernung zu ihr hat schon Spuren bei mir hinterlassen, weil ich es eben nicht gewohnt bin. Eigentlich war der Plan auch ein anderer. Ich hatte mit ihr besprochen, dass erst einmal Durchatmen angesagt ist. Doch dann kam das Angebot aus Hannover. Eine solche Chance bekommt man nicht oft, da muss Privates leider hinten anstehen.

SPOX: Hat Sie eine mögliche Distanz zu Ihrer Tochter anfangs zögern lassen?

Bader: Nein. Natürlich sind mir private und familiäre Angelegenheiten sehr wichtig. Doch auch wenn es für meine Tochter nicht immer leicht nachzuvollziehen ist, steht das Berufliche für mich noch einen Tick höher. Ich habe abgewogen und entschieden, gerne lange und auf höchstem Niveau im Fußball arbeiten zu wollen. Man kann sich eine Aufgabe in der Bundesliga leider nicht malen, auch räumlich nicht.

SPOX: Spielt da auch der Gedanke mit hinein, dass man es schwerer hat, wieder in den Bundesligakreislauf zurück zu kehren, je länger man sich nicht in diesem Hamsterrad befindet? Sie sagen ja selbst von sich, etwas ungeduldig zu sein.

Bader: Geduld ist nicht mein Ding, das stimmt. Ich will viele Dinge, auch Kleinigkeiten, gerne schneller gelöst bekommen und eine hohe Schlagzahl an den Tag legen. Selbstverständlich habe ich im Hinterkopf, dass es ein Privileg ist, in der Bundesliga arbeiten zu dürfen und dass es dort nur eine sehr begrenzte Anzahl an Jobs gibt. Hannover 96 ist auch kein Klub wie jeder andere, sondern ein etablierter Bundesligist mit tollen Rahmenbedingungen, aber auch einigen Optimierungsmöglichkeiten.

SPOX: Statt einen längeren Urlaub zu machen stürzen Sie sich lieber in einen Berg voll Arbeit. Das muss man schon auch wollen, oder?

Bader: Meine Frau sagt: Workaholic! Ich kenne es aber ehrlich gesagt nicht anders. Ich bin so erzogen worden. Meine Eltern haben mir beigebracht, immer viel zu investieren, wenn man etwas erreichen möchte. Viel Arbeit kann einem auch Spaß machen, wenn man das Gefühl hat, man bekommt etwas zurück. Aber klar, dann ist eben so ein Tag auch schnell mal vorbei.

SPOX: Sie kennen es aus Nürnberg, in Hannover ist es ähnlich: bei einem Traditionsverein ist es nur selten möglich, in Ruhe zu arbeiten. Die Erwartungshaltungen sind groß. Ist diese stete Hektik bei allen positiven Eigenschaften, die ein solcher Verein mit sich bringt, nicht auch irgendwo bedauerlich?

Bader: Ja und nein. Wenn es niemanden mehr interessieren würde, was wir hier machen, wäre das fatal. Eine Gleichgültigkeit darf niemals entstehen. Bei einem großen Klub geht es manchmal auch deshalb kurzzeitig hektischer zu, weil die Arbeit schlicht jede Woche anhand der sportlichen Ergebnisse bewertet wird. Man wird ständig gewogen. Es fällt den Menschen auch aufgrund der Schnelllebigkeit der sozialen Medien immer schwerer, sich in uns handelnde Personen hinein zu versetzen. Schwarz und weiß ist im Fußball normal - das darf man aber nicht beklagen.

SPOX: Wie viele absurde Dinge erlebt man denn in Ihrer Position im Alltag, gerade bei Themen wie der Kaderplanung?

Bader: Man lernt jedenfalls nie aus, selbst wenn man schon 20 Jahre lang im Geschäft ist. Es gab schon Transfergeschichten, da war alles ausverhandelt und am nächsten Tag ist plötzlich das Gegenteil der Fall, weil beispielsweise die Frau interveniert und meint, ihr gefalle die Stadt dann doch nicht. Ein Trainer hat mir mal nach wochenlangen Gesprächen zugesagt, ist dann nach Hause zur Familie gefahren, wir haben nebenbei alles Vertragliche vorbereitet. Am nächsten Tag rief er an und sprang ab, weil auf einmal sein Bauchgefühl dagegen gesprochen habe. Da geschehen teilweise Dinge, die einem niemand glauben würde.

SPOX: 96 steht aktuell mit dem Rücken zur Wand. Nach 14 Jahren in der Bundesliga droht der Abstieg, der dann auch zwangsläufig mit Ihrem Namen verbunden wäre. Hat Sie das im Vorfeld in irgendeiner Weise beschäftigt?

Bader: Mir war vor meinem Engagement klar, dass das hier sportlich eine ganz enge Geschichte werden wird. 96 hat in den letzten zweieinhalb Jahren an Substanz verloren und ist nicht von heute auf morgen in diese Situation geschlittert. Es dauert und kann schmerzhaft sein, diesen länger anhaltenden Prozess aufzuhalten und ins Positive umzukehren. Wir sind definitiv verbesserungsfähig. Dieses Risiko war mir aber nicht zu groß. Die Kurzlebigkeit des Geschäftes bringt es einfach mit sich, dass im Fall eines Abstiegs auch mein Name damit verbunden sein wird. Auch, wenn ich erst seit vier Monaten in Hannover tätig bin. Ich habe eher die Chance dahinter gesehen, das gemeinschaftlich anzupacken.

SPOX: Ein Abstieg bedeutet für einen Klub immer eine große Zäsur. Wie bedrohend ist denn in dieser Hinsicht die Situation bei 96?

Bader: Der Optimismus bei uns bleibt: Wir schaffen das.

SPOX: Über die Theorie müssen Sie sich doch aber auch Gedanken machen?

Bader: Sie haben zunächst einmal damit Recht, dass ein Abstieg Vereine in ihrer Entwicklung ganz weit zurückwirft und sie richtig durchrüttelt. Der wirtschaftliche Einschnitt - es brechen 50 Prozent der Einnahmen weg - ist gigantisch. Es ist dann mit erheblichen Schmerzen verbunden, dies wieder zur korrigieren. Dieses Szenario können wir natürlich nicht vollständig ausblenden, weil es auch die DFL verlangt. SPOX

SPOX: Heißt?

Bader: Bis März müssen die Lizenzunterlagen eingereicht sein, die in unserer Situation auch die Perspektive 2. Liga beinhalten. Diese muss man im Fall des Falles auch schnell umsetzen können. Wir könnten als Hannover 96 ja nicht sagen, uns nun erst einmal in der 2. Liga konsolidieren zu wollen und dann weiter zu sehen. Wir machen uns intern gerade Gedanken und wären darauf vorbereitet - weil wir es schlichtweg sein müssen.

SPOX: Bislang hat sich in Hannover vieles häufig auf Präsident Kind fokussiert. Wie haben Sie das aus der Ferne wahrgenommen?

Bader: 96 hat sich in den letzten Jahren sehr über den sportlichen Erfolg und die Teilnahme an der Europa League definiert, aber wenig über ein hervorragendes Scouting-Netzwerk oder interessante Nachwuchsspieler. Martin Kind hat nun antizipiert, dass durch den Wegfall des sportlichen Erfolgs andere Themen einen Schwerpunkt erfahren müssen. Wir investieren beispielsweise 18 Millionen Euro, um ein neues Nachwuchsleistungszentrum auf die Beine zu stellen, denn da hinken wir dem ligaweiten Standard noch hinterher. Hannover 96 ist bereits jetzt gut aufgestellt, braucht insgesamt aber noch mehr Schärfe. Wir sind noch kein besonderer Verein.

Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.comSPOX: Beim Club pflegten Sie ein enges Verhältnis zur Fanszene. Hier in Hannover gab es zuletzt auch einige Kontroversen, was die Beziehung zwischen Ultras und Verein angeht. Wollen Sie nach Ihren Erfahrungen beim FCN nun in Hannover weniger offensiv vorgehen?

Bader: Dafür gibt es kein Handbuch. Fakt ist: Man darf die Fans in seiner täglichen Arbeit nicht ausklammern, denn sie sind eminent wichtig für Hannover96. Es braucht daher einen regelmäßigen Dialog, damit Verein wie Anhänger einen gemeinsamen, transparenten Nenner finden. Das wiederum geht nur, wenn ich die Wertvorstellungen der Fanszene ein Stück weit kenne - und sie meine. Dieses Thema interessiert mich, aber es braucht Zeit.

SPOX: Sie haben fast zwölf Jahre lang beim Club gearbeitet. Würden Sie zustimmen, dass es nicht so endete, wie Sie es sich vorgestellt hatten?

Bader: Es war sicherlich kein Zufall, dass ich dort elfeinhalb Jahre durch gute wie schlechte Zeiten gegangen bin. Die Bewertung einer Arbeit ist oft auch hauptsächlich vom Ende des Engagements, vom letzten Eindruck, geprägt. Die Lage beim Club hat sich mittlerweile normalisiert, man konzentriert sich jetzt wieder auf Sachthemen. Nürnberg ist für mich aber abgeschlossen, Martin Bader interessiert dort verständlicherweise auch keinen mehr. Verein und Stadt werden aber für immer ein Teil meines Lebens bleiben und ich hoffe, dass der Club aufsteigt.