Am 1. Juli 2016 wechselt Mikel Merino vom spanischen Zweitligisten CA Osasuna zu Borussia Dortmund. Doch wer ist dieser 19-Jährige, der 2015 mit der U19-Nationalmannschaft Spaniens den EM-Titel holte, überhaupt? Der Journalist Fernando Ciordia von der Tageszeitung Diario de Navarra aus Pamplona begleitet die Entwicklung von Merino seit mehr als drei Jahren - und sorgt für Aufklärung.
SPOX: Herr Ciordia, welchen Spielertyp bekommt Borussia Dortmund in Mikel Merino, wo liegen seine Stärken und Schwächen?
Fernando Ciordia: Er ist trotz seines jungen Alters bereits ein ziemlich kompletter Spieler. Bei Osasuna ist er enorm wichtig für das Gleichgewicht der Mannschaft, er spielt viele gute lange und kurze Pässe. Manchmal bekommt er gegen Spielende physische Probleme und hält dann seine Position nicht immer ein. Das führt dann bei Ballverlusten zu Schwierigkeiten.
SPOX: Merino soll beim BVB wohl im defensiven Mittelfeld eingesetzt werden. Welche Positionen kann er spielen?
Ciordia: Bei Osasuna spielt er als einziger zentraler Mittelfeldspieler vor der Abwehr und entkommt dort dem Druck des Gegners oft geschickt. Merino bewegt sich vor der Abwehr sehr dynamisch und ist der Spieler mit den meisten Ballgewinnen des Teams. Er kann im zentralen Mittelfeld auch ein bisschen weiter vorne spielen, so wie er das in der spanischen U19-Nationalelf tut. Dort dringt er häufiger in den Strafraum ein und sucht den Abschluss.
SPOX: Welche Rolle spielt er für Osasunas Mannschaft?
Ciordia: Er ist einer der wichtigsten Spieler des Teams und weiß, wie man ein Spiel liest. Es gab bereits Partien, in denen er das gesamte Team getragen hat. Er leitet das Spiel der Mannschaft. Merino spielt schon wie ein alter Hase und man merkt deutlich, wenn er nicht auf dem Platz steht. Seine Art Fußball zu spielen und die zahlreichen Ballgewinne erinnern einige bereits an Barcelonas Sergio Busquets.
SPOX: Merino kam im Dezember 2012 mit 16 von CD Amigo in die Jugendakademie von Osasuna. Wie hat er sich seitdem entwickelt?
Ciordia: Es hat uns alle ein wenig überrascht, dass der Verein ihm damals einen solch langen Vertrag bis 2018 angeboten hat. Uns Journalisten ist in der Vorbereitung 2014 erstmals aufgefallen, dass das ein großartiger Spieler ist. Im letzten Jahr gab er sein Debüt bei den Profis. Osasuna war zu dieser Zeit gerade in die 2. Liga abgestiegen. Der Klub hat sich verpflichtet gefühlt, Spieler aus dem eigenen Nachwuchs künftig stärker einzubinden. Merino war 18 und hat mit seiner Unbekümmertheit und Reife alle überrascht. Er stach damals schon immer wieder heraus. Er hatte zunächst noch Probleme mit der Physis, hat aber sofort einige Einsatzminuten bekommen. Dennoch glaubte man nicht, dass der Sprung in die erste Mannschaft für ihn so positiv verlaufen würde.
SPOX: In seinen bisherigen beiden Profispielzeiten hat er jeweils eine Rote Karte und neun beziehungsweise acht Gelbe Karten kassiert. Wie kam's?
Ciordia: Ende Januar ist er bei der 0:4-Niederlage in Mirandes in der 88. Minute zuletzt vom Platz geflogen, da hatte er sich zu sehr beim Schiedsrichter beschwert. Das war auch irgendwie den Umständen geschuldet. Er weiß aber, wie man mit dem Gegner auf seiner Position umgehen muss und sieht daher ab und zu eine Gelbe Karte. In Osasuna ist er im zentral-defensiven Mittelfeld oft auf sich alleine gestellt, dann artet das hin und wieder etwas aus.
SPOX: Waren Sie überrascht, dass ein deutscher Verein wie Borussia Dortmund auf ihn kommen und ihn verpflichten würde?
Ciordia: Wir wussten, dass er auf der Liste einiger Klubs steht und von Vereinen aus Spanien und Europa bei zahlreichen Spielen beobachtet wurde. Atletico Madrid war beispielsweise darunter. Osasuna hat schon immer gute Nachwuchsspieler hervorgebracht, beispielsweise Javi Martinez, Cesar Azpilicueta, Nacho Monreal oder Raul Garcia. Bilbao hat im vergangenen Sommer, als Spaniens U19 Europameister wurde, zwei Millionen Euro für Merino geboten. Jetzt im Winter gab es nur von Bilbao und Dortmund verbindliche Angebote. Es hat mich aber natürlich schon überrascht, dass ein solch großer Klub wie der BVB ein Angebot macht. Zumal er ja auch in Anführungszeichen nur in der Segunda Division spielt. Dort ist es alles andere als normal, dass solche Geschäfte getätigt werden.
SPOX: Es hieß, dass der BVB eine Ablösesumme zwischen vier und fünf Millionen Euro für Merino zahlt. Ist das Ihren Informationen nach korrekt?
Ciordia: Ja. Dortmund hat bereits zwei Millionen Euro gezahlt. Im kommenden Juli sind weitere 1,75 Millionen fällig. Das ist die fixe Ablösesumme. Der Rest - man spricht von 1,25 Millionen - ist von unterschiedlichen Variablen abhängig. Beispielsweise ob Merino 25 Prozent der Spiele für Dortmund macht, ob der BVB ins Viertelfinale der Champions League kommt oder ob es Merino in die spanische A-Nationalmannschaft schafft.
SPOX: In Deutschland kursierten Gerüchte über Osasuna-Präsident Luis Sabalza. Der soll behauptet haben, käme bis Sommer ein anderer Verein und würde mehr als die kolportierten fünf Millionen Euro Ablöse auf den Tisch legen, dann könne man in neue Verhandlungen einsteigen. Ist da etwas dran?
Ciordia: Ich glaube, das war lediglich eine Strategie der sportlichen Führung, um die Fans zu besänftigen. Die Leute in Pamplona mögen es einfach, wenn es ein Bursche aus ihrer Gegend in die Profimannschaft schafft. Einige meinten daher, Osasuna würde zu wenig Geld bekommen, da hier und da von einer Ausstiegsklausel in Höhe von 20 Millionen Euro die Rede war. Sabalza meinte zuletzt auch, dass eine Klausel in seinem aktuellen Vertrag enthalten sei. Sollte also bis Sommer ein besseres Angebot eintreffen, könnten sie den Vertrag mit Dortmund wieder brechen - vorausgesetzt natürlich, sie zahlen die zwei Millionen Euro wieder an den BVB zurück. Ich glaube aber nicht, dass dies eintreten wird. Merino hat bereits beim BVB unterschrieben und sagte jüngst, Dortmund sei für ihn einer der besten Klubs in Europa.
SPOX: Wieso hat er das Ausland einem spanischen Klub vorgezogen, gerade in diesem jungen Alter?
Ciordia: Merino hat keine Angst vor großen Herausforderungen, weil er schlau und ambitioniert ist. Er will sich die Chance, für diesen großen Verein zu spielen, nicht entgehen lassen. Er weiß auch, dass der Fußball immer globaler wird und er sich an ein anderes Land anpassen kann. Das Angebot von Dortmund war das Beste, was Osasuna und Merino passieren konnte.
SPOX: Wissen Sie, wie ihm der BVB den Wechsel sportlich schmackhaft gemacht hat?
Ciordia: Thomas Tuchel hat ihn im Januar direkt angerufen und ihm gesagt, dass er ihn kaufen möchte. Tuchel meinte, dass er bei der Borussia zum Einsatz kommen würde, da er dort, wo Merino spielen soll, eine Schwachstelle im Dortmunder Kader erkannt habe. Und die will er stärken.
SPOX: Unter Tuchel legt Dortmund hohen Wert auf Ballbesitz- und Passspiel. Glauben Sie, dass er damit schnell zu Recht kommen wird?
Ciordia: Ja. Merino kann sich perfekt an das Spiel anpassen. In der spanischen U19 hat er bereits den Stil von Pep Guardiola mit diesem vielen Ballbesitz gespielt und war dort ein Hauptbestandteil des Teams. Er ist ein Spieler, der im Spielaufbau und Gegenpressing enorm viel Qualität hat. Außerdem ist er in der Luft extrem stark. In Osasuna spielt man jedoch nicht auf Ballbesitz, dort gibt es nicht viele Spieler wie ihn. Deshalb wird mehr verteidigt als angegriffen. Dieser Spielstil, der viel Wert auf das Körperliche legt, hat ihn physisch besser gemacht. Er hat zugelegt und ein besseres Spielverständnis. Diese Entwicklung kann ihm helfen, sich auch in der Bundesliga schnell anzupassen.
SPOX: Welcher Typ ist Merino abseits des Spielfelds?
Ciordia: Er ist ein ernster, geduldiger Kerl und für sein Alter schon sehr erwachsen. Uns Journalisten überrascht er stets mit der Leichtigkeit, mit der er sich auf den Pressekonferenzen zeigt und ausdrückt. Er ist eigentlich nie nervös, was sich wiederum auch auf dem Platz widerspiegelt. Ich weiß, dass er eine Freundin hat und riesiger Basketball-Fan ist, speziell von der NBA. Seine Familie ist ein guter Background für ihn. Sein Vater Miguel spielte in der Primera Division für Osasuna und Celta Vigo. Die Mutter war professionelle Basketballspielerin in der ersten spanischen Liga.
SPOX: Welche Rolle spielt sein Vater für ihn?
Ciordia: Er hat einen großen Einfluss auf seine Karriere. Bei der vergangenen U19-EM in Griechenland hat sein Vater alle seine Partien angeschaut. Seine Erfahrung als Profi hilft ihm, Mikel mit den Füßen auf dem Boden zu behalten. Es ist gut möglich, dass seine Familie mit ihm nach Dortmund zieht. Er verbringt viel Zeit mit ihr und widmet ihr jedes Tor.
SPOX: Wissen Sie, ob er bereits deutsch lernt?
Ciordia: Keine Ahnung. Merino will derzeit aus Respekt gegenüber seinem aktuellen Verein nicht über Deutschland sprechen. Der Klub schirmt ihn komplett ab und lässt ihn weder Interviews geben, noch bei Pressekonferenzen auftreten. Ich gehe aber davon aus, dass das für ihn nicht schwer werden wird. Er ist einfach ein intelligenter Kerl und hat etwas im Köpfchen.