Wenn das Telefon klingelt und jemand am anderen Ende fragt, ob man Lust habe, sechs Spiele Bundesliga-Luft zu schnuppern, würde unsereins wohl direkt zusagen. Völlig egal, wie, wann, wo oder warum. Bundesliga ist Bundesliga. Ein bisschen anders dürfte sich das zugetragen haben, als Martin Bader sich bei Daniel Stendel meldete.
Völlig unvorbereitet wurde der damalige U19-Trainer Hannovers wohl nicht erwischt. Seit Tagen kochte das Thema Thomas Schaaf in Hannover, nun hat es mit der Einsetzung von Stendel als Interimstrainer ein Ende gefunden. 96 setzt auf einen neuen Mann. Mit sechs Spielen vor der Brust und zehn Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz.
Sich aufwerfende Fragen sind schnell formuliert. "Warum?", ist die erste, die wohl jedem Fan der Roten in den Sinn kommt. Als im Winter Michael Frontzeck die Sachen packen musste, übernahm mit Schaaf ein Trainer, der trotz sportlich schwieriger Situation eine Art Aufbruchstimmung schuf.
Hannover ist abgestiegen
Die Stimmung ist nun eine andere. Auch wenn keiner aussprach, was alle wussten, war der Grundtenor der Vorstellung Stendels doch ein sehr deutlicher. Hannover 96 ist abgestiegen. Spiele gegen Bayern, Hertha, Gladbach und Schalke, sowie Ingolstadt und Hoffenheim sind nicht gerade erste Wahl, um zehn Punkte aufzuholen.
Also warum nun ein Trainerwechsel? Das wollte - natürlich - niemand sagen. Bader nicht, Stendel nicht. Angesprochen auf die bisherigen Schwächen der Mannschaft wand sich der Neu-Trainer mit einem geschickten Ich-war-nicht-nahe-genug-dran-Argument aus dem Kreuzverhör.
Dabei hatte der Mann doch das Selbstbewusstsein, beim Anruf Baders ein "Ja" zu erwidern. Sechs Spiele Zeit für einen Trainer, um die Mannschaft mit Anstand und Ehre in die zweite Liga zu begleiten, so und nicht anders ist der Plan. Er hat diesen angenommen, obwohl er noch kürzlich verlauten ließ, als Trainer bereit für den "nächsten Schritt" zu sein.
Spielwiese Bundesliga
Diesen Schritt hätte er eigentlich haben können, zog er doch mit seiner U19 in das diesjährige Pokalfinale ein. Das ist nun Vergangenheit, der Blick richtet sich nach vorn: "Ich habe Bock, Hannover wieder in positive Schlagzeilen zu führen." Das ist die Aufgabe des Aufstiegshelden von 2002. Die Marke Hannover 96 muss bestehen bleiben.
Nicht der sportliche Klassenerhalt, sondern der Klassenerhalt, was Fans und Umfeld angeht. "Wir müssen eine Mannschaft auf den Platz bringen, die mit Leidenschaft und Herz spielt. So sehe ich mich auch als Mensch und Trainer. Die Leute sollen positiv nach Hause gehen und sagen: 'Mit dieser Mannschaft kann ich mich identifizieren, egal, wo es am Ende hingeht", fasste Stendel zusammen.
In einem kleinen Satz lieferte er dann doch die Kritik, die ein Journalist zuvor hatte vergebens erlangen wollen: "Wir brauchen im Moment Spieler auf dem Platz, die dagegen angehen wollen. Da haben wir noch Reserven." Schaaf hatte sich in seinen letzten Wochen mit Spielern überworfen, wenige Tage vor dem Spiel gegen Hamburg (0:3) keimten Gerüchte auf, die Mannschaft stehe nicht mehr hinter ihm.
Das Team beschnitt sich damit selbst in seinen Möglichkeiten, taktische Experimente, von denen das Trainerteam einige wagte, wurden auch aufgrund der dünnen Personaldecke geringer. Ein Umstand, den es unter Stendel (erst einmal) nicht mehr geben soll. Er kündigte an, von Null anzufangen, ohne Vorurteile heranzugehen und letztlich die nicht mitzunehmen, die nicht den Willen zeigen. Unabhängig von Erfahrung oder Qualitäten.
Was kommt nach der Raute?
"Teamgeist, Mut und Leidenschaft", nannte der Neu-Trainer als seine ersten Ansätze. Weitere gab es am bei seiner Vorstellung noch nicht: "Ich habe noch nicht mit der Mannschaft gesprochen, noch nicht trainiert." Man wolle aber, die "Jungs dazu bringen, alles aus sich heraus zu holen."
Das hat sich nun geändert, die ersten Einheiten sind absolviert - ob auf dem Platz, im Kraftraum oder als Theorie. Interessant wird es zu sehen sein, wie Stendel das Team aufstellen wird. Zuletzt wirkte Hannover in vielen Punkten abstiegsreif, daran rütteln auch phasenweise gute Partien wie gegen den HSV nichts.
Die Außenverteidiger pendelten zwischen zu passiv und konteranfällig aufgrund mangelnder Absicherung oder zu ungestümen Vorstößen, das Zentrum war oft nur einfach besetzt, weil die Raute sich im 4-3-1-2 schnell auseinander ziehen ließ. Nach vorne fehlten regelmäßig Anbindungen und kreative Ideen, um hochqualitative Chancen herauszuspielen. Viele Flanken, viele Abschlüsse unter Bedrängnis waren es unter Schaaf, der dementsprechend viel experimentierte.
"Suchen für 96 eine sinnvolle Lösung"
Um einen Abgang mit Würde zu gestalten, wenn es schon kein Wunder mehr werden soll, ist das zu wenig. Da reicht auch die geforderte Mentalität nicht aus. "Das ist mein Hannover 96, da habe ich Bock, ins Stadion zu gehen und die Mannschaft zu unterstützen", will Stendel gerne von den Fans hören, dafür muss aber deutlich mehr kommen.
Es dürfte auch für ihn selbst zu wenig sein, besonders mit Blick auf den "nächsten Schritt", den er doch eigentlich plante. Ob dieser die Profimannschaft von Hannover 96 ist, weiß man selbst noch nicht. "Wir suchen für 96 eine sinnvolle Lösung", hatte es Bader vermieden, sich auf die kommende Saison zu beziehen.
Man suche zwar einen Cheftrainer, von dieser Suche wurde Stendel aber, trotz zahlreicher Nachfragen, nie ausgeschlossen. Der nächste Schritt könnte für Stendel "zurück ins Nachwuchsleistungszentrum" führen, genauso aber auf die Bank eines ambitionierten Zweitligisten.
Risiko und Chance zugleich
Gerade hier schlummert Potenzial. In beide Richtungen. Auf der einen Seite ein Trainer, der, mit kleiner Unterbrechung, seit 1999 im Verein ist und viel Kredit bei den Fans mitbringt. Ein Trainer, der es vielleicht schafft, mit Emotionalität und neuem Fußball den Abstieg schönzuspielen.
Auf der anderen Seite ist da der Name Michael Frontzeck. Der rettete den Verein im letzten Jahr, beim Thema Vertragsverlängerung druckste man ähnlich herum wie nun mit Stendel. Am Ende übernahm er das Amt und musste nach nur wenigen Monaten schon wieder gehen. Kontinuität, wie sie ein Mirko Slomka brachte, sucht man im Klub seit dessen Abgang vergeblich.
Ein Risiko, das für Verein wie Stendel nicht unbedeutend ist. Die Bundesliga ist seine Spielwiese, in sechs Versuchen aber auch eine Prüfung. Die ersten Schritte im Profigeschäft können schnell entscheidend sein, dementsprechend viel hat der neue Coach der 96er schon viel von dem unter Beweis gestellt, was er selbst einfordern möchte: Teamgeist, Mut und Leidenschaft. Denn: "Hannover ist mehr als nur ein Verein für mich."
Daniel Stendel im Steckbrief