"Zu viele Leute beeinflussen Kind"

Jochen Tittmar
04. April 201610:18
Michael Frontzeck trat am 21. Dezember 2015 als Trainer von Hannover 96 zurückgetty
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Eineinhalb Jahre war Michael Frontzeck ohne Trainerjob, dann stieg er im April 2015 bei Hannover 96 ein und sollte die Niedersachsen vor dem Abstieg aus der Bundesliga retten. Dies gelang dem 52-Jährigen auch, sein Vertrag wurde verlängert. Nach dem Ende der Hinrunde der laufenden Saison trat Frontzeck als 96-Coach jedoch zurück. Im Interview spricht der ehemalige Nationalspieler über das Risiko Hannover, das komplizierte Umfeld von Vereinspräsident Martin Kind und die Theatralik im heutigen Fußball.

SPOX: Herr Frontzeck, kurz vor Weihnachten sind Sie nach knapp neunmonatiger Tätigkeit als Trainer von Hannover 96 zurück getreten. Wie haben Sie die Zeit seitdem verbracht?

Michael Frontzeck: Ich bin relativ schnell in mein Zuhause nach Mönchengladbach zurückgekehrt, da ich dort im Kreise meiner Familie immer sehr schnell wieder zur Ruhe kommen kann. Ich schaue sehr viel Fußball und gehe meinen privaten Hobbies wie Golf spielen oder Lesen nach. Hannover war extrem intensiv, gerade der kurzfristige Einstieg am Saisonende im Vorjahr. Im bezahlten Fußball mit all seinen Facetten zu arbeiten ist heutzutage sehr belastend, das sieht man leider auch an den letzten gesundheitlichen Schwierigkeiten von Trainer-Kollegen. Ich bewundere daher die Leute, die sich trotz der seltenen Freizeit auch einmal für ein paar Stunden herausnehmen und abschalten können.

SPOX: Sie sind also in gewisser Hinsicht auch froh über die Möglichkeit, durchatmen zu können?

Frontzeck: Natürlich, obwohl froh sicher die falsche Begrifflichkeit ist. Es tut einfach gut, durchatmen zu können. Dieses ständige Schneller-Weiter-Höher ist ja ein Phänomen, das mittlerweile für unsere gesamte Gesellschaft gilt. Alles ist sehr hektisch und umtriebig geworden. Es war jedoch nicht so, dass ich müde vom Job gewesen wäre oder keine Chance mehr in der Rückrunde gesehen hätte.

SPOX: Hätten Sie in der Zwischenzeit bereits die Möglichkeit gehabt, irgendwo wieder einzusteigen?

Frontzeck: Es gab Anfragen, die ich aber sofort abgelehnt habe. Mir kommt es sehr darauf an, welches Gefühl ich für einen Verein entwickle. Ich habe in Marc Kosicke einen tollen Freund und Berater, mit dem ich einen guten Austausch pflege. Er weiß, in welche Richtungen ich gehen würde und in welche eher nicht.

SPOX: Wie wäre es denn eigentlich mit einem Job im Ausland, als Spieler waren Sie 1996 ja mal für ein Jahr bei Manchester City?

Frontzeck: Vor dem Engagement in Hannover hatte ich ein paar Tage lang mit einem Traditionsverein in Dänemark verhandelt. Ich habe mir das dort angeschaut und interessante Gespräche mit den Verantwortlichen geführt. Das war wirklich professionell. Das Ausland ist für die Zukunft sicherlich ein Thema.

SPOX: Wann und wie kam denn die Zusammenarbeit mit Kosicke zustande?

Frontzeck: Ich bin auf ihn aufmerksam geworden, als ich 2011 bei Borussia Mönchengladbach entlassen wurde. Ein Berater, der ausschließlich Trainer betreut, ist ja einzigartig in Deutschland. Wir haben uns dann getroffen und gleich gemerkt, dass wir auf einer Wellenlänge liegen. Marcs Gruppe an Trainern trifft sich beispielsweise einmal im Jahr zu einer Weihnachtsfeier. Dann wird gekickt, gegessen und geplaudert. Das ist sehr angenehm, da man sich dort in einem Umfeld trifft, das es so leider sonst nicht gibt. Man nimmt sich nicht nur als Konkurrenten wahr, sondern der Austausch ist wirklich gewinnbringend.

SPOX: Wäre das etwas gewesen, was Sie schon deutlich früher in Ihrer Karriere benötigt hätten?

Frontzeck: Schwer zu sagen. Mir ging es nicht darum, dank ihm bessere Verträge zu bekommen. Er ist sehr gut vernetzt, wir sind Freunde geworden und es ergibt Sinn, jemanden an seiner Seite zu haben, mit dem man berufliche Themen diskutieren kann. Es hilft, dass er viele Dinge aus einem anderen Blickwinkel heraus beurteilen kann.

SPOX: Zu welchem Anteil war es Kosicke zu verdanken, dass Sie im April 2015 wieder einen Job in der Bundesliga bekommen haben?

Frontzeck: Das war irgendwo auch reiner Zufall. Dass ein Trainer am Saisonende ausschließlich für die letzten fünf Spiele verpflichtet wird, kam bislang ja nicht häufig vor. Die ganze Geschichte hat sich damals innerhalb von ein paar Stunden entschieden, so dass ich dann nach längeren Gesprächen mit Marc zugesagt habe.

SPOX: Sie wurden am 6. November 2013 beim FC St. Pauli beurlaubt. Es überraschte daher einige, als Sie bei 96 anheuerten. Können Sie es nachvollziehen, wenn man Sie nicht mehr richtig auf dem Zettel hatte?

Frontzeck: Bei wem ich noch auf dem Zettel stehe oder nicht, interessiert mich eigentlich recht wenig. Es gibt immer wieder Phasen, in denen nichts passiert - oder auch welche, in denen mehrere Angebote gleichzeitig auf dem Tisch liegen. So war es auch in der Phase letzten Sommer kurz vor Ende der Saison. Aus dem Nichts kam dann der Anruf aus Hannover. Ich war 2004/2005 dort schon einmal Co-Trainer unter Ewald Lienen und kannte also den Verein. Das Angebot für in Anführungszeichen nur fünf Spiele hörte sich zunächst zwar etwas komisch an, doch nach Rücksprache mit meinen Vertrauten habe ich mich für diese Erfahrung entschieden. Im Nachhinein war der Klassenerhalt für den Klub und mich eine runde Sache.

SPOX: Wieso war es Ihnen nicht zu gefährlich, sich bei einem möglichen Abstieg die Finger zu verbrennen?

Frontzeck: Natürlich war Hannover ein Risiko - sicherlich auch für beide Seiten und nicht nur für mich. Hätten wir den Klassenerhalt damals nicht geschafft, würden jetzt meine und die Beurteilung des Vereins anders ausfallen. Dieser Gedanke war für mich aber in dem Moment abgehandelt, als ich mit der Mannschaft zusammen war. Dann ist man so fokussiert auf diese Aufgabe und denkt nicht daran, was passieren würde, wenn es nicht wie gewünscht funktioniert. SPOX

SPOX: Hatten Sie während der eineinhalbjährigen Pause die Befürchtung, nicht mehr auf das Trainer-Karussell aufspringen zu können?

Frontzeck: Nein. Diesen Druck mache ich mir überhaupt nicht. Ich bin nach meinem Aus beim FC St. Pauli nicht gierend durch die Gegend gelaufen und habe geschaut, wo ein Platz für mich frei wäre. Das ist vielleicht auch Veranlagung. (lacht) Trotzdem möchte man natürlich lieber arbeiten, das bloße Geldverdienen stand bei mir aber noch nie im Vordergrund.

SPOX: In Hannover geriet die öffentliche Wahrnehmung Ihrer Person schnell sehr kritisch, Sie mussten im Laufe der aktuellen Saison mehrere sogenannte Endspiele bestreiten. Haben Sie so etwas schon einmal zuvor erlebt?

Frontzeck: Nein. Ich wusste zwar, was auf mich zukommen würde. Wie polemisch und populistisch jedoch berichtet wurde, war seltsam und hat mich dann doch verwundert.

SPOX: Wie kam es denn in Ihren Augen dazu?

Frontzeck: Dazu müsste ich ein wenig ausholen.

SPOX: Holen Sie aus!

Frontzeck: In den ersten fünf Wochen hat sich gezeigt, wie erfolgreich man gemeinschaftlich arbeiten kann, wenn Mannschaft, Staff, Klubführung und Zuschauer auf einer Linie sind und mitziehen. Ich bin ja nicht der goldene Reiter, der so etwas im Alleingang schafft. Nachdem der Verbleib in der Bundesliga gesichert wurde, war mit Dirk Dufner der Sportdirektor aber so gut wie entlassen und einen Trainer für die neue Saison gab es auch nicht.

SPOX: Sie haben aber kurz nach dem geschafften Klassenerhalt verlängert.

Frontzeck: Genau. Wir betraten nach der Rettung dann jedoch ein Transferfeld, das um diese Zeit schon lange abgegrast war. Zudem haben wir tragende Spieler wie beispielsweise Lars Stindl verloren. Als Hannover 96 ist man chancenlos, wenn man einen solchen Spieler eins zu eins ersetzen möchte. Wir hatten nur wenige Wochen Zeit, die Saison zu planen.

SPOX: Eine Kaderplanung ist doch aber vielmehr ein fließender Prozess über eine gesamte Saison hinweg, hatte man nicht zweigleisig geplant?

Frontzeck: Doch, Dirk hatte natürlich frühzeitig zu Spielern Kontakt aufgenommen, die dem Klub auch gut getan hätten. Als 96 aber im Laufe der Saison immer tiefer nach unten gerutscht ist, haben sich diese Spieler für andere Angebote entschieden. Wir haben trotz des schwachen Saisonstarts mit einem Punkt aus zwei Spielen dann beschlossen, in der letzten Woche des Transferfensters nicht mehr aktionistisch zu reagieren.

SPOX: Stattdessen wollte man bis in den Winter mit möglichen Neuzugängen warten.

Frontzeck: Klar, zumal sich Ende August die Situation auf dem Transfermarkt für uns nicht unbedingt verbessert hatte. Außerdem war es in meinen Augen sinnvoller abzuwarten, bis die neuen Strukturen mit Geschäftsführer Martin Bader und dem sportlichen Leiter Christian Möckel Einzug erhalten haben, um dann mit mehr Vorlauf im Winter bessere Chancen zu haben und nicht innerhalb weniger Tage aus purem Populismus heraus das Geld auf den Markt zu werfen. Das war für den Klub letztlich auch die einzige Möglichkeit. Ich habe mich dadurch in den Wind gestellt.

SPOX: Und Ihr Schicksal schien so gut wie besiegelt...

Frontzeck: Es war ein Wahnsinn, wie diese Vorgänge dann hingestellt wurden. Uns wurde doch nicht Robert Lewandowski angeboten und ich habe abgelehnt. Dies alles führte dann aber dazu, dass ich in sehr regelmäßigen Abständen diese vermeintlichen Schicksalsspiele zu absolvieren hatte.

SPOX: Sie haben mit 96 zwar die schwächste Hinrunde seit 13 Jahren gespielt, lagen mit 14 Zählern aber nur einen Punkt von einem Nichtabstiegsplatz und fünf von Rang zwölf entfernt. Wieso also der Rücktritt nach den ersten 17 Partien?

Frontzeck: Es wurde einfach zu kompliziert, da eine unrealistische Erwartungshaltung aus dem Umfeld der Vereinsführung vorlag. Außerdem sollte nicht meine Person im Vordergrund stehen, sondern das Wohl des Vereins und das Lebenswerk von Martin Kind, der sehr viel für 96 getan hat. Es tut mir sehr leid, dass alle Missgunst nun auf seine Schultern geladen wird. Kurzum: die Situation war sehr ungesund und führte dazu, dass wir uns nach dem letzten Hinrundenspiel besprochen haben. Es war klar, dass die Diskussionen um mich bei einem missratenen Rückrundenauftakt wieder neu entflammen würden. Im Winter einen Schnitt zu machen war die beste Entscheidung für den Klub - und das war für mich entscheidend.

SPOX: Woraus besteht denn dieses Umfeld der Vereinsführung?

Frontzeck: Das ist ganz schwer zu greifen. Beim 1. FC Köln konnte dir jahrelang auch niemand sagen, woraus der Kölsche Klüngel besteht. In meinen Augen ist es fahrlässig, wenn Mitarbeiter und enge Vertraute von 96 in aller Öffentlichkeit interne Dinge diskutieren und darüber hinaus auch noch über andere Vereine und deren Trainer urteilen. Es gibt letztlich zu viele Leute, die um Martin Kind herumschwirren, ihm ständig in den Ohren liegen, alles besser wissen und ihn auf bestimmte Art und Weise beeinflussen. Dass das am Ende für die Medien dann auch ein gefundenes Fressen ist, ist doch klar.

SPOX: Welche Rolle spielte die Meldung der Hannoverschen Neue Presse am Vorabend Ihres Rücktritts, in der behauptet wurde, dass man Sie am nächsten Tag entlassen würde?

Frontzeck: Das hat mich nicht interessiert. Ich habe das mitbekommen, aber es war nicht wesentlich für meine Entscheidung. Das war eine absolut saubere Trennung.

SPOX: Glauben Sie, dass Sie eine solche Entscheidung auch vor fünf oder acht Jahren hätten treffen können?

Frontzeck: Nicht auf diese rationale Art im Sinne des Vereins. Das ist eine Entwicklung, die ich im Laufe der Zeit gemacht habe und zeigt, dass man niemals aufhört zu lernen. (lacht)

SPOX: Ihr erster Job als Cheftrainer von Alemannia Aachen liegt bald zehn Jahre zurück. Was hat sich seitdem verändert, wenn Sie gerade Ihre Zeit in Hannover als Vergleich heranziehen?

Frontzeck: Es wird einem Trainer keine Zeit mehr gegeben und deshalb wird es immer schwerer, langfristige Entwicklungen voran zu treiben. Jupp Heynckes hat mal gesagt, er bräuchte fünf Jahre, um Borussia Mönchengladbach Anfang der 1980er Jahre wieder dorthin zurück zu führen, wo man während der glorreichen Siebziger war. Das wurde damals als Antwort vollkommen akzeptiert und erschien jedem sinnvoll. Heute bekommt man fast keine fünf Monate mehr, da alles extrem schnelllebig und populistisch veranlagt ist. Es kommt mittlerweile vor, dass man als Trainer Dinge tut oder tun muss, die eigentlich gegen die eigene Überzeugung gehen - nur, um über einen längeren Zeitraum Ruhe zu haben - das widerspricht jedoch meiner Wertvorstellung.

SPOX: Welche Entwicklung auf dem Spielfeld ist Ihnen besonders suspekt?

Frontzeck: Mich stört diese Theatralik massiv. Da wird es ja bisweilen schon richtig komisch für Gegner, Schiedsrichter und Zuschauer. Man muss doch wissen, dass die Kameras alles einfangen. Dass sich da keiner selbst peinlich vorkommt, ist mir wirklich ein Rätsel. Wahrscheinlich wird bald das Kopfballspiel abgeschafft, da es kaum noch Spieler gibt, die sich nach einem Luftduell nicht den Kopf halten, als hätten sie sich gerade einen Schädelbasisbruch zugezogen. (lacht)

Michael Frontzeck im Steckbrief