"Zorniger hat das Mediale unterschätzt"

Frank Oschwald
21. April 201613:07
Timo Hildebrand wurde 2007 mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meisterimago
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Vor wenigen Wochen gab Timo Hildebrand nach anhaltenden Verletzungsproblemen sein Karriereende bekannt. Sein Traum, die Laufbahn in Amerika ausklingen zu lassen, platzte. Bei SPOX spricht er über sein neues Leben, die Szene seiner Karriere und Alexander Zornigers Zeit beim VfB.

SPOX: Herr Hildebrand, kurz vor Ihrem 37. Geburtstag beendeten Sie vergangenen März Ihre Karriere. Dabei sollte die eigentlich in den USA ausklingen, die Hüfte hat das allerdings nicht mehr zugelassen. Haben Sie das Ihrem Körper schon verziehen?

Timo Hildebrand: Ja. Ich bin schon seit einem Jahr in Reha. Von Monat zu Monat wurde immer deutlicher, dass ich das Abenteuer Amerika nicht mehr erreiche. Daher habe ich mich damit schon länger auseinander gesetzt. Es ist okay und nicht schlimm.

SPOX: Was hatte Sie denn an den USA besonders gereizt?

Hildebrand: Ich wollte Lebenserfahrung sammeln, mein Englisch perfektionieren und etwas Schönes mit der Familie erleben. Es sollte einfach noch einmal hinausgehen aus dem 'normalen Leben'. Das wäre schon eine schöne Etappe gewesen.

SPOX: Wie kam es denn überhaupt zu Ihrer Verletzung?

Hildebrand: Als ich Schalke im Sommer 2014 verließ, spürte ich bereits ein leichtes Ziehen in der Hüfte. Das war zunächst nicht so wild, ich war damals ja vereinslos. Ich dachte, es würde schmerzen, weil ich keine tägliche Behandlung erhalten habe. Als ich im September in Frankfurt unterschrieb, wurde es aber immer schlimmer. Die Schmerzen wollten nicht nachlassen.

SPOX: Aber dann war professionelle Hilfe wieder verfügbar, oder?

Hildebrand: Genau, ich habe im Januar endlich Bilder der Hüfte machen lassen. Es kam heraus, dass ich tiefgreifende Probleme habe, die später zu großen Schwierigkeiten führen könnten. Ich hatte dann auch Schmerzen, obwohl ich gar nicht mehr trainiert habe. Daher war eine Operation unumgänglich.

SPOX: Das Karriereende letztlich auch. Sie haben einmal gesagt, der Fußball würde Ihnen Augenblicke und Herausforderungen bescheren, die man nirgendwo sonst bekäme. Könnte das in Zukunft zum Problem werden?

Hildebrand: Es ist jetzt einfach ein anderes Leben. Man hat nicht mehr diese Herausforderung und den Druck, Woche für Woche Leistung bringen zu müssen. Als Spieler ist man jede Woche mit Adrenalin vollgepumpt und hat Glücksgefühle, wenn man ein Spiel gewinnt. Jetzt muss ich mir andere Adrenalinkicks holen. (lacht)

SPOX: Wo?

Hildebrand: Mal sehen. Vielleicht lerne ich jetzt mal das Skifahren oder mache schwierige Klettertouren. Wieso nicht mal an einem steilen Kliff hängen?

SPOX: Ist Ihr Abschied vom Fußball emotional vergleichbar mit Ihrem Abgang vom VfB Stuttgart 2007, als Sie Torwarttrainer Eberhard Trautner weinend in den Armen lagen?

Hildebrand: Daran habe ich auch schon denken müssen. Das war damals schon sehr heftig. Ich war auf einen Schlag heraus der Komfortzone und nicht mehr im gewohnten Umfeld. Das Karriereende war auch emotional, aber ein schleichender Prozess. Als ich mein Abschiedsvideo gesehen habe, musste ich auch ein paar Tränen verdrücken.

SPOX: Sie haben nun bereits eine erste Vorahnung davon bekommen, wie es ist, nicht mehr aktiver Fußballer zu sein. Und, wie ist es?

Hildebrand: Ich bin glücklich, ein sehr flexibles Leben führen zu können. Ich kann machen, was ich will. Ich habe in keinerlei Hinsicht mehr Druck. Das ist jetzt schon ein neues Lebensgefühl, denn ich befinde mich nicht mehr in diesem Hamsterrad drin. Das Fußballer-Leben ist sehr hektisch und schnelllebig. Jetzt kann ich alles selbst gestalten. Das ist großes Glück und großer Luxus.

SPOX: Wie fühlt sich die Distanz an?

Hildebrand: Es ist okay, da man dann manche Dinge durchaus auch anders sieht, wie wenn man mittendrin ist.

SPOX: Beispiel?

Hildebrand: Ich wohne in Stuttgart und stehe dem VfB natürlich sehr nahe. Ich habe daher die Amtszeit von Alexander Zorniger intensiv verfolgt. Ich war bestimmt nicht der Einzige, der irgendwann die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hat. Zorniger hat das Mediale und diesen Einfluss, der damit einhergeht, sehr unterschätzt. Das merkt man wohl gar nicht in voller Ausprägung, wenn man voll im Job steckt.

SPOX: Gibt es für Sie eine spezielle Szene, die Ihnen aus Ihrer Karriere im Kopf bleiben wird?

Hildebrand: Die Parade als VfB-Keeper in unserem Meister-Jahr 2007 am 33. Spieltag in Bochum. Die bringt auch jeder VfB-Fan mit mir in Verbindung. Das Ding war letztlich fast entscheidend auf dem Weg zum Titel. Ich bin damals direkt danach auch total ausgeflippt, da ich wusste, dass das jetzt nicht ganz unwichtig war. (lacht) Auch die Serie in der Saison 2003/2004, als ich 884 Bundesliga-Minuten ohne Gegentor blieb und einen neuen Rekord aufstellte, war Wahnsinn. So stark und selbstbewusst wie damals habe ich mich nie mehr gefühlt.

SPOX: Sie betonten jüngst, die unglücklichste Entscheidung Ihrer Karriere wäre gewesen, ein Angebot von Borussia Dortmund abzulehnen. Das war kaum bekannt.

Hildebrand: Darauf haben wir damals auch geachtet. Ich wollte nach dem Gastspiel in Valencia einen sicheren Hafen. Es war aber nicht klar, welche Pläne der BVB mit Roman Weidenfeller hat. Das Projekt mit Jürgen Klopp war natürlich extrem spannend. Ich kam eben mit einem negativen Gefühl aus Spanien und sah in Hoffenheim mehr Sicherheit für mich. Das war eine Fehleinschätzung, der Verein geriet dann schnell in einen Abwärtsstrudel.

SPOX: Sie waren auch immer ein Spieler, der auch auf den Tisch hauen und unangenehme Themen ansprechen konnte. Würden Sie sagen, dass Ihnen das mehr geschadet als geholfen hat?

Hildebrand: Keine Ahnung. Ich habe sicherlich auch dazugelernt und habe mich später häufiger zurückgenommen. Ich wollte Aspekte thematisieren, die die Mannschaft letztlich weiterbringen. Manche haben sich dadurch angegriffen gefühlt, aber ich habe nie jemanden schlecht gemacht.

SPOX: Grätschen Ihnen heute zu wenige Profis verbal dazwischen?

Hildebrand: Eigentlich schon. Es hat sich einfach verändert, echte Charaktere gibt es lange nicht mehr. Das Geschäft hat sich gewandelt, es läuft anders als früher. Kürzlich habe ich gelesen, dass Horst Heldt auf Schalke von den Spielern verlangt, auch einmal auf den Tisch zu hauen. Das ist schon merkwürdig, denn es bleibt ja wirklich wichtig, dass Spieler auch innerhalb der Mannschaft Führungspositionen übernehmen.

SPOX: Sie beginnen nun einen Job bei Tailormade, einer Kommunikationsagentur, in Stuttgart. Was ist dort konkret geplant?

Hildebrand: Ich werde zwei bis drei Mal die Woche vor Ort sein und verschiedene Projekte übernehmen. Ich will eine andere Seite des Sports kennenlernen, unter anderem die Bereiche Organisation, Events und Marketing. Ich habe auch vor, mein Engagement im sozialen Bereich zu erweitern.

SPOX: Zudem machen Sie derzeit auch den Trainerschein.

Hildebrand: Genau. Cacau und Christian Eichner sind auch dabei. Vielleicht werde ich mal Cacaus Co-Trainer, wer weiß. (lacht)

SPOX: Sollten Sie in den Fußball zurückkehren, dann also als Trainer?

Hildebrand: Ich will mir das zunächst noch offenhalten. Torwarttrainer wäre auch etwas, ich habe ja mit Ebbo Trautner den besten Mentor vor Ort. Keine Ahnung, wie lange er noch macht, aber vielleicht kann ich beispielsweise einmal in seine Fußstapfen treten. Ein Nachwuchsleistungszentrum zu führen, wäre sicherlich auch etwas. Ich kann mir aktuell vieles vorstellen. Mal sehen, wie sich das letztlich entwickeln wird.

SPOX: Auf Ihrer Homepage ist zu lesen, Sie würden einen "Abschied in würdigem Rahmen" planen. Wann ist es so weit?

Hildebrand: Ich will noch nichts verraten, wir stecken mitten in den Planungen. Es wird aber kein Abschiedsspiel im klassischen Sinne geben. Wir wollen etwas Generationenübergreifendes machen. Details dann aber später.

Timo Hildebrand im Steckbrief