Manche Spiele brauchen selbst in der Nachbetrachtung nicht viele Worte. "Es war immer auf des Messers Schneide, und dann haben wir uns belohnt", fasste Bremens Mittelfeld-Kämpfer Zlatko Junuzovic, von Ohr zu Ohr grinsend, zusammen und fügte hinzu: "Das ist natürlich ein Wahnsinn - vor solchen Fans!"
Abstiegs-Finale, Nervenschlacht, Keller-Krimi - wenn es an etwas im Vorfeld nicht gemangelt hatte, dann waren es die Superlative. Bremen gegen Frankfurt, der Gewinner wäre definitiv gerettet und würde auch 2017 in der Bundesliga spielen. Völlig egal, was der VfB Stuttgart parallel beim VfL Wolfsburg reißen würde.
In gewisser Weise also ein K.o.-Spiel. Ein Gänsehaut-Spiel. Und jedem, der sich am Samstagvormittag auch nur in den Dunstkreis des Weserstadions begab, war das in Sekundenschnelle bewusst: Die Fans gaben dem Bremer Mannschaftsbus einen "unglaublichen" (Ujah) Empfang vor der Arena, der Bus quälte sich im Schleichtempo durch die Massen. Ein Gänsehaut-Spiel schon lange vor dem Anpfiff.
Bremer Regen? Das Stadion steht!
Und diese Stimmung veränderte sich nicht. Nicht, als der in dieser Saison so häufig scharf kritisierte Felix Wiedwald schon in der zweiten Spielminute mit einem starken Reflex auf der Linie den frühen Rückstand verhinderte.
Nicht, als die Bremer eine Viertelstunde später zu passiv verteidigten und Wiedwald gegen Hasebe in höchster Not retten musste. Und selbst dann nicht, als Werder gegen die extrem tief agierenden Frankfurter immer und immer wieder ideenlos nach vorne spielte und mehr Ratlosigkeit als Torgefahr ausstrahlte, während die Uhr tickte und tickte. Auch als plötzlich der Regen durch das Stadion peitschte - das Publikum stand.
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"Wir haben versucht, das Spiel zu kontrollieren. In der ersten Hälfte haben wir sicherer gespielt, natürlich kannten wir auch das Ergebnis aus Wolfsburg", gewährte Trainer Viktor Skripnik Einblicke. Tatsächlich bewirkte der frühe 0:2-Rückstand von Abstiegs-Konkurrent Stuttgart, dass Frankfurt noch komfortabler auf Unentschieden spielen konnte und die kompakten Hessen schafften es, die Luft zunehmend aus dem Spiel zu nehmen.
"Wir wussten natürlich immer, was in Wolfsburg passiert", ergänzte Geschäftsführer Thomas Eichin die Ausführungen seines Trainers: "Da mussten wir aufpassen - wenn Frankfurt ein Tor schießt, bekommt Stuttgart plötzlich die zweite Luft. Wir wussten, dass wir das Spiel auch spät entscheiden können."
"Dein Tor rettet unseren Arsch"
"Können" war in dem Zusammenhang wohl noch optimistisch ausgedrückt, denn die Eintracht - spätestens mit der Hereinnahme von Carlos Zambrano gut 20 Minuten vor dem Ende voll und ganz auf Defensive gepolt - stand nahezu durchweg beeindruckend tief und sicher. "Ich kann meiner Mannschaft keinen Vorwurf machen, denn sie hat heute nicht viel zugelassen", stellte auch Frankfurts Trainer Niko Kovac klar.
So wurde es für Werder, das nur mit einem Sieg an der Eintracht vorbei konnte, die Geduldsprobe, die viele im Vorfeld erwartet hatten. Eben die Art Spiel, die auf "des Messers Schneide" steht, wie Junuzovic so treffend erklärte, und in welchem alles das Zünglein an der Waage sein kann.
Ausgerechnet ein Standard brachte schließlich den so herbeigesehnten Siegtreffer, nachdem Werder zuvor mit dem ruhenden Ball überhaupt nichts hatte anfangen können. Ausgerechnet der eingewechselte Anthony Ujah leitete das Tor mit seiner Kopfballvorlage maßgeblich ein. Jener Anthony Ujah, dem Skripnik bei der Einwechslung mit auf den Weg gegeben hatte: "Anthony, du bist der Mann, der Geschichte schreiben kann. Dein Tor rettet unseren Arsch."
Und ausgerechnet eine Gemeinschaftsproduktion sicherte den erlösenden Treffer. Pizarros Kopfballverlängerung brachte Ujah Richtung Tor, wo Papy Djilobodji die Kugel über die Linie drückte. "Ich weiß nicht, ob Papy noch dran war oder nicht. Mir ist aber auch egal, wem der Treffer zugesprochen wird. Hauptsache, wir haben gewonnen", grinste Ujah und Djilobodji fügte hinzu: "Wir machen 50:50. Wir haben das hier heute gemeinsam gewonnen. Nun werden wir es feiern."
Gemeinsam sind wir stark
Einer für alle, alle für einen: Die Fans hatten dieses Motto vorgelebt, schon lange bevor das Spiel angepfiffen wurde. Die Stadt präsentierte sich im Grün-Weißen Gewand, die Spieler zahlten es, aller Anfangsnervosität zum Trotz, mit Einsatz und Zusammenhalt zurück. Egal ob Ujah, Djilobodji, Junuzovic oder Dauerbrenner Clemens Fritz, der ein ums andere Mal die Fehler seiner Kollegen ausbügelte. "Leute wie Pizza und er, das sind Legenden. Ohne diese Jungs wären wir schon abgestiegen", honorierte Skripnik die Leistung seiner Routiniers.
Die Verantwortlichen wissen dabei, dass Werder noch einen weiten Weg vor sich hat, um derartige Endspiele in Zukunft möglichst zu vermeiden - auch wenn der Klassenerhalt am Osterdeich für ein kollektives Felsbrocken-Purzeln gesorgt hat. Und so erhob Eichin zumindest kurz im Trubel des kollektiven Jubels den mahnenden Zeigefinger: "Wir haben uns klar positioniert, dass wir mit Viktor die schwere Zeit durchstehen. Und diese Zeit ist noch nicht beendet."
Die Stimmen zum Abstieg: "Das kann kein Zufall sein!"
Davor aber ist Feiern angesagt. Werder hat seine letzten drei Heimspiele allesamt gewonnen, darunter das kritische 6:2 gegen den VfB Stuttgart am 32. Spieltag. Für die Schwaben der endgültige Knackpunkt in Richtung zweite Liga, für Bremen das Signalspiel nach der Derby-Pleite beim HSV.
Als also endlich der Schlusspfiff ertönte und der Klassenerhalt perfekt war gab es kein Halten mehr. Die Fans stürmten auf den Rasen und feierten ausgelassen mit ihren Helden, selbst die sonst gerne mal reservierten Skripnik und Eichin bekamen das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. "Euphorie pur", beschrieb Eichin seine Gefühlslage und sagte alles, was es zu sagen gab: "Wir haben uns nicht verrückt gemacht. Und wir haben daran geglaubt, dass wir gut genug sind, hier mit unseren fantastischen Fans das Spiel zu gewinnen."
Werders Saison in der Übersicht