"Er erinnert mich an Neymar"

Jochen Tittmar
07. Juni 201611:10
Ab dem 1. Juli 2016 ein Spieler von Borussia Dortmund: Ousmane Dembelespox
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Ousmane Dembele hat erst eine Saison als Profi hinter sich. Er hat in 26 Ligue-1-Spielen zwölf Tore geschossen und fünf Treffer vorbereitet. Borussia Dortmund hat sich die Dienste des 19-Jährigen gesichert, bis 2021 spielt er für den BVB. Dominique Faurie begleitet seinen Ex-Verein Stade Rennes und kennt Dembele gut. Der französische Journalist spricht im Interview über Dembeles Anfänge, seinen Karriereplan und die Vergleiche mit Cristiano Ronaldo.

SPOX: Herr Faurie, woran erinnern Sie sich als erstes, wenn Sie den Namen Ousmane Dembele hören?

Dominique Faurie: An eine kleine Anekdote, die sich vor seinem allerersten Profispiel für Rennes zutrug: Dembele betrat nach Ankunft im Stadion vor der Partie den Rasen und lief in Richtung der Fans. Als er zurückkehrte, um in die Kabine zu gehen, kam er nicht in den Spielertunnel rein. Niemand kannte ihn. Er musste eine Weile lang mit den Sicherheitsleuten diskutieren, bis man einsah, dass er wirklich zur Lizenzspielermannschaft gehörte.

SPOX: Beinahe wäre Dembele gar nicht bei Stade Rennes gelandet.

Faurie: Das ist richtig. Bevor er 2010 kam, hatte er eigentlich schon bei Le Havre AC zugesagt. Dann hat aber der Nachwuchschef von Rennes noch einmal mit ihm gesprochen, bei Le Havre angerufen und ihnen mitgeteilt, dass sich Dembele nun anders entschieden habe. Der Verein hatte für seine Mutter nämlich eine Arbeitsstelle und ein Apartment gefunden. Die Mama ist ihm sehr wichtig, ohne sie geht nichts.

Dominique Faurie, 44, ist Sportchef bei Frankreichs meistverkaufter Zeitung Ouest-France in Rennes

SPOX: Welche Rolle spielt seine Mutter Fatimata?

Faurie: Sie ist die Chefin und sein Leuchtturm, wie Dembele sagt. Sie kümmert sich permanent um ihn. Das fing schon ganz früh an, als er bei seinem ersten Verein in Evreux immer bis spätabends in seinem Viertel kickte - selbst nach den Trainingseinheiten. Er ging auch mit dem Ball unter dem Arm einkaufen. Zu seinem achten Geburtstag schenkte ihm sein Onkel ein Trikot von David Beckham. Zu dieser Zeit hat sich Dembele in den Fußball verliebt.

SPOX: War früh klar, dass er großes Talent mitbringen würde?

Faurie: In Evreux wie auch in Rennes haben seine jeweiligen Trainer sehr schnell gesehen, dass er sehr gut ist. Er war aber nicht immer seriös genug, kam zum Beispiel einige Male zu spät. Man warf ihm auch vor, dass ihm vor dem Tor die Kaltschnäuzigkeit fehle und er entschlussfreudiger in seinem Spiel sein müsse.

SPOX: Im vergangenen Sommer gab es etwas Knatsch zwischen dem Klub und Dembele. Worum ging es da konkret?

Faurie: Philippe Montanier, der Vorgänger des aktuellen Trainers Rolland Courbis, hätte Dembele schon am Ende der vorletzten Saison bei den Profis einsetzen können, doch er wollte ihn noch etwas abschirmen und ihm den Sommer geben, um sich weiter zu entwickeln. Als die neue Saison begann, zählte er von Anfang an auf ihn, bot ihn in Testspielen auf und wollte ihn mit ins Trainingslager nach Deutschland nehmen.

SPOX: Das hat Dembele aber boykottiert.

Faurie: Rennes hat etwas damit getrödelt, ihm einen Profivertrag anzubieten. Red Bull Salzburg wollte ihn zum damaligen Zeitpunkt verpflichten. Sie hatten für ihn schon ein Flugzeug parat, Dembele hat davon ein Bild bei Facebook gepostet, es dann aber wieder gelöscht. Dembele wollte daraufhin nicht mit ins Trainingslager fahren. Er kam nicht zur Abfahrt und sagte, er sei krank. Dembele wollte unbedingt nach Salzburg und hat gegenüber Rennes' Verantwortlichen sogar davon gesprochen, er würde sonst mit dem Fußball aufhören.

SPOX: Wie kam es zum Sinneswandel?

Faurie: Mikaël Silvestre, der in Rennes dem Präsidium beratend zur Seite steht, spielte dabei eine sehr wichtige Rolle. Er hat ihn letztlich vom Bleiben überzeugt und dazu gebracht, seinen ersten Profivertrag zu unterschreiben. Da Dembele aber mehrere Wochen von der Mannschaft entfernt bei seinem Heimatklub Evreux trainiert hatte, musste er erst wieder das Training mit dem Team in Rennes aufnehmen.

SPOX: Er hat sich von der Mannschaft entfernt?

Faurie: Ja, er trainierte für sich allein in Evreux. Das hat den Verantwortlichen natürlich nicht besonders gut gefallen, aber sie hatten auch Angst, ihn zu verlieren. Deshalb haben sie alle Anstrengungen unternommen, um ihn davon zu überzeugen, wieder zurück zu kommen. Für die Fans war das keine großartige Geschichte, sie haben das distanziert beobachtet. Dembele war schließlich kaum bekannt, da er zu diesem Zeitpunkt noch ein Spieler der zweiten Mannschaft war.

SPOX: Das änderte sich schnell, am Ende seiner ersten Profisaison standen zwölf Tore und fünf Vorlagen in nur 26 Saisonspielen zu Buche. Worin liegen Dembeles Stärken?

Faurie: Seine ganz große Stärke ist der Spielwitz. Er kickt und amüsiert sich. Häufig gehen seinen Treffern Dribblings voraus, die aufgrund seiner Beidfüßigkeit sehr schwer für den Gegner zu berechnen sind. Normalerweise führt er den Ball mit links und schließt dann mit rechts ab. Er ist auch ein guter Passgeber und sich nicht für Defensivarbeit zu schade.

SPOX: Woran muss er noch arbeiten?

Faurie: Er muss sich noch in vielen Bereichen verbessern. Ganz zu Beginn hieß es, dass er zu eigensinnig sei. Doch besonders das Lesen des Spiels oder das Fordern des Balles muss besser werden, genauso sein Kopfballspiel. Er hatte darauf gehofft, in seinem letzten Spiel für Rennes gegen Bastia noch ein Kopfballtor zu erzielen. Das hat aber nicht geklappt.

SPOX: Welche Rolle spielte er für Rennes' Mannschaft?

Faurie: Er war ein Schlüsselspieler und der absolute Leader in der Offensive. Er trat alle Standardsituationen, unabhängig vom Ort der Ausführung. Er hat sein Team oft aus schwierigen Situationen befreit, beispielsweise beim Rückspiel gegen Lorient. Da lag man früh 0:2 zurück, Dembele besorgte den Anschlusstreffer und trieb die Mannschaft an. Als er ab April physisch und mental müde wurde und schwächer spielte, hat Rennes kaum noch Punkte geholt. Die gegnerischen Abwehrreihen hatten ihn mit der Zeit natürlich auch verstärkt auf dem Schirm und machten ihm das Leben schwerer.

SPOX: Welche Positionen kann Dembele bekleiden?

Faurie: Er kann entweder auf einem der Flügel - egal welchem - oder hinter einem Stürmer spielen. Courbis hat ihn auch mal als zweiten Stürmer aufgeboten, aber das hat nicht wirklich funktioniert. Mit dem Rücken zum Tor zu spielen passt nicht zu Dembeles Bewegungsabläufen.

SPOX: Glauben Sie, dass er nach nur einer Profisaison schon bereit für den Schritt zu einem Klub wie dem BVB ist?

Faurie: Das glaube nicht nur ich, sondern auch viele seiner Mitspieler. Besonders Gelson Fernandes, der ja in Freiburg spielte und die Bundesliga kennt. In Frankreich konzentrieren sich noch mehr Teams auf das Verteidigen als in Deutschland, das dürfte ihm also entgegenkommen. Er hat sich auch intensiv mit Pierre-Emerick Aubameyang ausgetauscht, der ihm vom BVB nur Gutes erzählt hat. Dembele ist ein intelligenter Bursche und weiß, dass er in Dortmund viel größere Chancen auf Einsätze hat. Er hätte auch zu seinem Lieblingsklub Barcelona gehen können. Auch Paris Saint-Germain rief ihn häufig an, Leicester-Coach Claudio Ranieri umgarnte ihn ebenfalls. Über Ranieri hat Dembele dann in einem Interview spaßeshalber gesagt, er könne nicht besonders gut französisch sprechen.

SPOX: Dembele meinte auch, er habe seit letzten Dezember mehrfach mit BVB-Trainer Thomas Tuchel telefoniert. War das vielleicht auch ausschlaggebend dafür, dass er dem BVB den Zuschlag gab?

Faurie: Dortmund wollte ihn schon im Winter - und das hat Dembele gefallen. Er hat zunächst abgelehnt, aber gesagt, er würde im Sommer gerne kommen. Im April, Mai stand seine Entscheidung dann endgültig fest und er teilte den Verantwortlichen mit, dass er nur nach Dortmund und sonst nirgendwohin wechseln würde.

SPOX: Wissen Sie, wie hoch die Ablösesumme für ihn letztlich war? In Deutschland kursieren unterschiedliche Zahlen.

Faurie: In Rennes wird von insgesamt 30 Millionen Euro gesprochen: 15 Millionen fix und 15 Millionen an möglichen Bonuszahlungen, deren Bedingungen aber erst einmal erfüllt sein müssten. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen. Eine französische Zeitung schrieb von einer Gesamtsumme von 52 Millionen Euro, aber das schätze ich als reichlich übertrieben ein.

SPOX: Als sich gegen Ende der Saison die Gerüchte um Dembele häuften, habe ihn das beeinflusst, wie er zugab. War das offensichtlich?

Faurie: Ab Anfang April hat sich seine persönliche Situation auf seine Leistungen ausgewirkt, ja. Das hat ihn auf jeden Fall belastet, doch neben der besser auf ihn eingestellten Gegner war auch die angesprochene physische Müdigkeit der Grund für seine Formschwäche. Er selbst hat sich aufgrund des Rummels um ihn aber nicht verändert oder ist hochnäsig geworden. Rennes hat darauf geachtet, dass er nicht mit zu vielen Journalisten spricht.

SPOX: Dortmund setzt unter Tuchel vor allem auf das Ballbesitzspiel und tritt häufig auf Kontrahenten, die sehr defensiv agieren und wenige Räume anbieten. Passt Dembele zu dieser Art Fußball?

Faurie: Sein größter Trumpf ist eindeutig seine Schnelligkeit, die in freien Räumen natürlich enorm zum Tragen kommen kann. Er ist aber auch in der Lage, sich per Dribbling und auch dank seiner Beidfüßigkeit aus engen Räumen zu befreien. Daher denke ich, dass er mit diesen Fähigkeiten auch gegen tief stehende Teams einen Unterschied machen kann. Er muss sich gegen solche Gegner aber natürlich noch weiter entwickeln, vor allem beim Fordern des Balles und im Passspiel.

SPOX: Ist er für Sie im Moment noch ein reiner Konterspieler?

Faurie: Nein, sein Passspiel ist schon in Ordnung. Er zögert auch bei der Defensivarbeit nicht und weiß, was er diesbezüglich zu tun hat - auch wenn das sicherlich nicht seine größte Qualität ist. In taktischer Hinsicht muss er sich gerade beim Freilaufen verbessern, um genau zu wissen, wann und wo er den Ball bekommen kann. Ich bin gespannt, wie er sich entwickelt, wenn er bessere Spieler um sich herum hat. Davon hatte Rennes eben nicht so viele.

SPOX: Dembele sagte, es sei sein Traum, eines Tages für den FC Barcelona zu spielen. Dorthin hätte er ja offenbar auch gehen können. Wieso also Dortmund?

Faurie: Ich glaube, er hat einen Karriereplan im Kopf. Er wollte noch nicht zu einem der ganz großen Klubs gehen, wo er am Ende womöglich nur auf der Bank sitzen würde. Er weiß, dass er in Dortmund gute Chancen hat, regelmäßig zu spielen und weiter zu lernen. Wenn ihm das gelingt, wird er zu einem größeren Verein gehen.

SPOX: Silvestre verglich Dembele bereits mit Cristiano Ronaldo und sagte, er könnte irgendwann den Ballon d'Or gewinnen. Was meinen Sie dazu?

Faurie: Das war sicherlich etwas dick aufgetragen, andererseits kennt sich Silvestre im Fußball auch sehr gut aus. Dembele ist ein junger und sehr talentierter Spieler, der noch viel Luft nach oben hat, obwohl er bereits zwölf Tore in seiner ersten Ligue-1-Saison erzielte - das gelang vor ihm schließlich noch niemandem. Er hat aber nicht die körperlichen Voraussetzungen eines Ronaldo. Mich erinnert er vielmehr an Neymar.

SPOX: Bei der nun anstehenden Europameisterschaft in seinem Heimatland ist er nicht dabei. Wie sehen Sie seine Perspektiven in der Equipe Tricolore?

Faurie: Man muss abwarten. Er hat bislang zwei Partien für die U21 absolviert. Die A-Mannschaft hat beispielsweise mit Kingsley Coman und Anthony Martial zwei sehr gute Spieler für die Außenbahnen. Dembele muss noch etwas aufholen, aber er hat natürlich das Potential, demnächst auch für die Equipe Tricolore aufzulaufen, wenn es bei ihm so weitergeht wie bisher.