"Von Island kann man Dinge abgucken"

Jochen Rabe
01. August 201618:02
Dirk Schuster stellt seit Sommer in Augsburg die Hütchen aufimago
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Dirk Schuster übernahm im Sommer beim FC Augsburg das Traineramt vom abgewanderten Markus Weinzierl. Im Interview spricht der 48-Jährige über die Lehren der EM, das Erbe seines Vorgängers und den Stand der Vorbereitung. Außerdem erklärt er, warum die Arbeit in Augsburg angenehmer ist als in Darmstadt.

SPOX: Herr Schuster, Sie sind in diesem Sommer zum FC Augsburg gewechselt und haben entsprechend intensive Wochen hinter sich. Hatten Sie bei all den neuen Aufgaben Zeit, die EM in Frankreich zu verfolgen?

Dirk Schuster: Um die Spiele live vor Ort zu verfolgen, hat man logischerweise überhaupt keine Zeit. Das ist ja ganz normal. Aber wir von unserem Trainerteam haben schon versucht, so viele Spiele wie möglich im Fernsehen anzugucken, da ja auch Spieler von uns dabei waren. Außerdem dient es der Weiterbildung, weil man viele verschiedene Eindrücke gewinnt und beobachten kann, was andere Nationalmannschaften machen.

SPOX: Worauf haben Sie da besonders geachtet?

Schuster: Je nachdem, wie die Spiele laufen, kann man verschiedene Elemente beobachten, die wichtig sind und einen weiterbringen. Wie verhalten sich Außenseiter im Spiel gegen größere Mannschaften? Aber auch andersherum: Wie kann man sehr dicht gestaffelte, gut organisierte Mannschaften offensiv auseinander nehmen? Da gab es schon einige Erkenntnisse. Wobei ganz ehrlich: Die große taktische Revolution habe ich nicht gesehen.

SPOX-Redakteur Jochen Rabe sprach beim Legendenspiel in Ottobrunn mit Dirk Schusterspox

SPOX: Sie sprechen Ihre Spieler bei der EM an. Etwas ganz Besonders war der Sommer für Alfred Finnbogason, der beim Island-Märchen dabei war. Hatten Sie während des Turniers Kontakt mit ihm?

Schuster: Wir hatten schon vor der EM SMS-Kontakt und natürlich hat man sich auch während und nach der EM ab und zu per SMS ausgetauscht. Nicht allzu viel, sondern nur sachlich, kurz und knapp. Aber der erste Kontakt ist hergestellt und war sehr positiv. Wir freuen uns, dass er jetzt wieder bei uns in Augsburg ist und hoffen, dass er an die guten Leistungen der letzten Saison anknüpfen kann. Da werden die positiven Erlebnisse bei der EM sicherlich hilfreich sein.

SPOX: Eine auffällige Stärke der Isländer waren die sehr guten Standardsituationen. Darmstadt hat in der vergangenen Saison unter Ihrer Leitung ja auch viele Tore über Standards gemacht. Sehen Sie das generell als probates Mittel für kleinere Teams an und werden Sie auch in Augsburg verstärkt Standardtraining abhalten?

Schuster: Sicher werden wir in der Trainingsarbeit wieder sehr großen Wert auf Standards legen - und zwar nicht nur im offensiven, sondern auch im defensiven Bereich. Die Bedeutung von Standards hat sich in den letzten Jahren noch einmal weiterentwickelt. In gewissen Spielen können sie ein Dosenöffner sein, wenn man spielerisch nicht weiterkommt. Und genau das haben die Isländer sehr, sehr gut gemacht. Sie waren taktisch gut aufgestellt, haben wenig Chancen zugelassen, nehmen wir das Frankreich-Spiel da mal raus. Aber sie haben toll gespielt, toll gekämpft und ein riesengroßes Herz gehabt. Und speziell, was sie bei Einwürfen gemacht haben - da war schon das ein oder andere dabei, was man sich abgucken kann. SPOXspox

SPOX: Bleiben wir doch mal bei Einwürfen: Wie nimmt man so etwas als Trainer auf? Denkt man da direkt daran, wie man das für sich selbst nutzen könnte? Gefühlt sind Einwürfe zuletzt in der Bundesliga ja eher vernachlässigt worden.

Schuster: Ja, das ist richtig, da haben viele Teams in der Bundesliga noch Nachholbedarf. Die verschiedenen Varianten schaut man sich schon an. Auch mehrmals. Man achtet darauf, wie gewisse Laufwege sind. Natürlich braucht man dann auch einen Spieler, der weit werfen kann. Wenn man diese Grundvoraussetzung mit den eigenen Spielern erfüllt, kann man da schon eine Menge herausholen und auch mal für einen Überraschungsmoment sorgen. Bei den Isländern war es auf jeden Fall eine Waffe, also wieso nicht auch in der Bundesliga?

SPOX: Die Waffe des FC Augsburg in den letzten Jahren unter Markus Weinzierl war eine gut organisierte Defensive, gepaart mit einem schnellen Umschaltspiel. Wie sieht Ihre taktische Idee für die Zukunft aus?

Schuster: Die Grundidee ist erst einmal dieselbe. Wir wollen defensiv stabil, gut strukturiert und vor allem diszipliniert arbeiten. Wir wollen es dem Gegner so schwer wie möglich machen, Chancen gegen uns herauszuspielen. Darüber hinaus ist es wichtig, nach der Balleroberung mit sehr viel Zug, mit sehr viel Tempo und sehr zielgerichtet zum gegnerischen Tor zu kommen. Das haben wir in Darmstadt auch schon probiert. Ich denke nur, dass in Augsburg die individuelle Qualität etwas höher ist als in Darmstadt und sich dadurch natürlich auch mehrere Möglichkeiten ergeben, selbst zum Abschluss zu kommen oder Chancen zu kreieren.

SPOX: Sie haben im Vergleich zu vielen Kollegen einen sehr frühen Trainingsstart gewählt, auch um sich selbst ein Bild von Ihrer neuen Mannschaft zu machen. Wie fällt denn Ihr erstes Zwischenfazit nach ein paar Wochen Training aus?

Schuster: Wir haben eine Mannschaft vorgefunden, die absolut intakt ist und in jedem Training Vollgas gibt. Die Spieler sind sehr lernbegierig und setzen die Dinge, die neu für sie sind, schnell um. Wir haben eine charakterlich einwandfreie Mannschaft, die auch in einem körperlich guten Zustand ist - trotz des langen Urlaubs. Da hat Markus Weinzierl in den letzten Jahren eine überragende Arbeit geleistet, diese Truppe aufzubauen. Er hat sie letztes Jahr in die Europa League geführt und dort auch beeindruckende Ergebnisse abgeliefert. Davor kann man den Hut ziehen. Es nötigt mir den allergrößten Respekt ab, was hier entstanden ist.

SPOX: Zuletzt war es eine ziemliche Achterbahnfahrt für die Augsburger Fans. Nach der von Ihnen angesprochenen Saison mit der Europa-League-Qualifikation gab es in der letzten Spielzeit Abstiegskampf. Wo glauben Sie, werden Sie sich in diesem Jahr einsortieren? SPOXspox

Schuster: Ich hoffe, dass wir unser Ziel erreichen. Und das heißt ganz klar, den Klassenerhalt einzutüten. In Augsburg hochtrabende Ziele anzuvisieren, wäre meiner Meinung nach der völlig falsche Weg. Ich denke, dass die Europa-League-Teilnahme vielen verschiedenen Gründen geschuldet war. Auf der einen Seite natürlich der hervorragenden Leistung der Augsburger, auf der anderen Seite haben aber auch verschiedene Mannschaft immer wieder geschwächelt und sich kleine Auszeiten genommen. Darauf kann man sich nicht immer verlassen. Für uns kann das Ziel nur Klassenerhalt heißen. Wir wollen einzelne Spieler weiterentwickeln und den Verein natürlich auch weiter in der ersten Bundesliga etablieren.

SPOX: Inwiefern können auch Neuzugänge bei diesem Vorhaben helfen? Der FCA hat auf dem Transfermarkt bis jetzt ja noch nicht die ganz großen Sprünge gemacht. Ist da in den nächsten Wochen noch etwas zu erwarten? Wo sehen Sie eventuell noch Baustellen?

Schuster: Der Kader stand bei unserer Amtsübernahme ja zu 95 Prozent. Es war ein sehr homogener, funktionierender Kader. Meiner Meinung nach gibt es da höchstens punktuell Verbesserungspotenzial. Das sind Kleinigkeiten, weil die Qualität im Kader absolut vorhanden ist. Wenn wir uns aber noch weiter verbessern können, werden wir die Augen und Ohren offen halten und vielleicht noch etwas tun.

SPOX: Sie haben nach Ihrem Wechsel von Darmstadt immer wieder betont, wie viel besser die Infrastruktur beim FCA ist. Wie macht sich das für Sie als Trainer im Alltag und in der Vorbereitung auf die neue Saison bemerkbar?

Schuster: Da bekommt man natürlich ein bisschen Arbeit abgenommen, weil der FCA als gestandener Bundesligist von der Manpower ein bisschen besser aufgestellt ist. Andererseits nehmen sich die Trainingsmöglichkeiten nicht mehr allzu viel, da man in Darmstadt in der Beziehung in den letzten beiden Sommerperioden auch stark nachgebessert und zwei neue Trainingsplätze geschaffen hat. Die große Baustelle in Darmstadt ist und bleibt aber das Stadion. Mit dem wird dort alles stehen und fallen. Und in diesem Punkt hat der FC Augsburg natürlich ein großes Plus mit der WWK-ARENA, die seit ein paar Jahren steht und auch sehr oft ausverkauft ist.

SPOX: Nach Bekanntwerden Ihres Wechsels haben Sie gesagt, Sie wollten Darmstadt auf dem Zenit Ihres Schaffens verlassen. Sehen Sie Darmstadt in der kommenden Saison zwangsläufig wieder im Abstiegskampf? Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Schuster: Das hängt natürlich davon ab, was für eine Mannschaft man stellt. Ich denke, dass die Verantwortlichen das mit sehr viel Sorgfalt tun werden. Da ist ganz viel Fußballsachverstand vorhanden und deswegen denke ich, dass sie auch eine konkurrenzfähige Mannschaft für die Bundesliga zusammenkriegen werden. Und dann muss man sehen, wie der Saisonstart läuft. Davon hängt immer viel ab. Ich hoffe natürlich, dass am Ende sowohl Darmstadt als auch der FC Augsburg die Liga halten, das ist ja ganz klar.

SPOX: Zum Abschluss noch die Frage: Freuen Sie sich schon auf das Wochenende um den 25. Februar?

Schuster: Selbstverständlich!

SPOX: Sie wissen aus dem Kopf, was da ist?

Schuster: Ja klar, da haben wir das Auswärtsspiel gegen Darmstadt 98. Da werden wir viele Bekannte, Freunde wiedertreffen. Diese Freundschaften werden über 90 Minuten ruhen. Aber es ist etwas ganz Besonderes, ans Böllenfalltor zurück zu kommen. Wir haben dreieinhalb Jahre sehr gut miteinander gearbeitet und große Erfolge miteinander erzielt. Und dann wieder dorthin zurückzukommen, wird eine ganz spezielle Erfahrung. Für mich eines der großen Highlights in der kommenden Saison.

Dirk Schuster im Steckbrief