"Die Vereine standen nicht Schlange"

Benjamin Wahlen
21. Juli 201609:43
SPOX traf Jannik Vestergaard im Trainingslager in Rottach-EgernDirk Päffgen
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Nachdem er in Hoffenheim nur noch Ersatz war, entwickelte sich Jannik Vestergaard bei Werder in kürzester Zeit zum Leistungsträger. Im Interview spricht der Neuzugang von Borussia Mönchengladbach über seine schwere Zeit bei 1899, kurzsichtige Vergleiche zwischen der Bundesliga und der Premier League sowie seine Rolle beim Kampf und Andreas Christensen.

SPOX: Herr Vestergaard, seit vergangenem Samstag befindet sich Borussia Mönchengladbach im Trainingslager am Tegernsee, die Saisonvorbereitung ist voll im Gange. Wie sind Ihre ersten Eindrücke vom neuen Umfeld und den Kollegen?

Jannik Vestergaard: Wirklich gut. Die Truppe ist sehr angenehm und hat mich super empfangen. Ich habe mich sofort wohl gefühlt. Außerdem sind das Niveau und die Qualität im Training enorm hoch. Einige der Spieler kannte ich schon vom Platz, aber auch die Jungen bringen sehr viel mit.

SPOX: Mit der rheinischen Kultur müssten Sie eigentlich gut vertraut sein, da ein Großteil Ihrer Familie von dort stammt. Wie viel Rheinland steckt in Ihnen?

Vestergaard: Was zeichnet einen Rheinländer denn überhaupt aus?

SPOX: Man sagt beispielsweise, der Rheinländer wisse nichts, könne aber alles erklären.

Vestergaard: Den Spruch kannte ich noch nicht. Ich behaupte aber, dass ich viel weiß. (lacht)

SPOX: Ihre Großeltern wohnen nun ganz in Ihrer Nähe. Spielte das eine Rolle bei Ihrer Entscheidung pro Gladbach?

Vestargaard: Nein, meine Entscheidung hatte ausschließlich sportliche Gründe. In den vergangenen Jahren war ich auch weiter weg von meiner Familie und bin trotzdem ganz gut zurechtgekommen. Dass ich jetzt mal schnell auf einen Kaffee vorbeifahren kann und umgekehrt, ist aber ein netter Bonus.

SPOX: Wie sahen die sportlichen Gründe konkret aus?

Vestergaard: Gladbach ist ein sehr gut geführter Verein, in dem toller, erfolgreicher Fußball gespielt wird. Davon wollte ich unbedingt ein Teil sein.

SPOX: Dafür lehnten Sie auch Offerten aus der Premier League ab. Ist die Bundesliga attraktiver?

Vestergaard: Das kann man nicht pauschalisieren. Es ist in der letzten Zeit in Mode gekommen, die deutsche und die englische Liga zu vergleichen. Davon halte ich aber nichts. Ich bin ein Fan beider Ligen, gucke aber auch gerne die spanische Liga oder Top-Spiele aus Italien. Entsprechend habe ich keine Entscheidung gegen England oder für Deutschland, sondern für Gladbach getroffen. Hier sehe ich das beste Gesamtpaket.

SPOX: Gladbach musste tief in die Tasche greifen, um Sie an den Niederrhein zu holen. Empfinden Sie die Ablöse als Bürde oder Ansporn?

Vestargaard: Auf die Ablösesumme lege ich ehrlich gesagt keinen Wert und mache mir auch keine großen Gedanken darüber. Ich denke, dadurch verliert man den Fokus auf das Wesentliche. Gladbach hat mich wegen meinen Leistungen in der Bundesliga geholt, die möchte ich hier genauso zeigen und mich konstant weiterentwickeln. Letztlich hoffe ich, dass man mit der Entscheidung, mich geholt und so großes Vertrauen in mich gesetzt zu haben, irgendwann zufrieden ist. Dafür hänge ich mich jeden Tag rein.

SPOX: Sie gelten als bodenständig und bescheiden, in einem Interview sagten Sie: "Ich bin doch nur der Jannik aus Kopenhagen, der Fußball spielen möchte". Was hat Ihnen geholfen, die Bodenhaftung nicht zu verlieren?

Vestergaard: Das haben Sie jetzt gesagt. (lacht) Ich hatte eine sehr schöne Kindheit und habe immer einen starken Rückhalt in meiner Familie genossen. Was ich bisher in meinem Leben erreicht habe, habe ich geschafft, weil ich selbst geblieben bin. Das werde ich so beibehalten und schauen, wohin mich das noch bringt. SPOXspox

SPOX: Was geht Ihnen bei einer Aussage wie der von Sandro Wagner durch den Kopf, der letzte Saison sagte, Fußballer sollten noch mehr verdienen?

Vestergaard: Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich nicht viele Zeitungen lese und dann schon gar nicht den Sportteil. Ich kann damit wenig anfangen. Manchmal steht etwas über einen geschrieben, was man selbst ganz anders sieht, und dann beschäftigt man sich zu sehr damit - das benötige ich einfach nicht. Ich brauche auch kein Lob, das gibt es ja auch hin und wieder. Die Aussage von Sandro Wagner habe ich natürlich trotzdem mitbekommen, möchte sie aber nicht kommentieren.

SPOX: Vor Ihrem Wechsel nach Bremen erlebte Ihre Karriere das erste wirkliche Tief. In Hoffenheim wurden Sie zunächst ins Mittelfeld versetzt und verloren dann Ihren Stammplatz. Wie geht man als junger Spieler, für den zuvor es konstant bergauf ging, damit um?

Vestergaard: Es war eine schwere Zeit für mich. Sportlich lief es nicht mehr, auch das Verhältnis zum Verein und den Verantwortlichen hatte sich verschlechtert. Als junger Spieler mit Anfang 20, der tausende Kilometer von der Familie und den engsten Freunden entfernt ist, nimmt einen das schon ganz schön mit. Zum Glück hatte ich meine Freundin bei mir, die mir geholfen hat abzuschalten und den Kopf wieder frei zu bekommen.

SPOX: Wie denken Sie heute darüber?

Vestergaard: Ich bin froh, diese Situation erlebt zu haben. Es hat mich stärker gemacht, denn ich kenne mich selbst nun besser, habe mich dadurch menschlich entwickelt und bin reifer geworden. Vor allem habe ich gelernt, dass es richtig ist, ehrlich seine Meinung zu sagen, auch wenn dies Konsequenzen haben kann, die nicht immer positiv sind. Sollte ich noch einmal in eine solche Situation geraten, weiß ich, wie ich an diese herangehen und mich verhalten kann. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: In Bremen folgte dann eine der besten Phasen Ihrer Karriere. Betrachten Sie die Entscheidung, zu Werder gegangen zu sein, als die beste Ihrer Laufbahn?

Vestergaard: Absolut. Ich hätte selbst nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde und habe mich nicht einmal getraut, davon zu träumen. Ich habe mich in Bremen sportlich enorm weiterentwickelt und bin in vielen Bereichen besser geworden. Gleichzeitig war es auch wichtig zu erleben, wie es ist, in einem großen Verein mit solch einem immensen Druck umzugehen. Werder hat eine tolle Tradition und viele Fans, man hat jederzeit gemerkt, wie wichtig der Verein für die Stadt ist. Deshalb bin ich Werder auch sehr dankbar. Bremen hat mir in einer Phase das Vertrauen geschenkt, als die interessierten Vereine nicht gerade Schlange standen.

SPOX: Fiel Ihnen der Wechsel zu Gladbach leichter, nachdem Werder den Klassenerhalt geschafft hatte?

Vestergaard: Bremen verdient es einfach, in der ersten Liga zu spielen, deshalb bin ich sehr glücklich, dass wir es am Ende tatsächlich noch geschafft haben. Und ja, natürlich macht das den Transfer einfacher. Zu wechseln, nachdem Bremen abgestiegen ist, wäre furchtbar gewesen.

SPOX: Gladbachs Defensive ist für die kommende Saison qualitativ enorm gut besetzt. Wie sehen Sie den großen Konkurrenzkampf?

Vestergaard: Darauf war ich vorbereitet. Du lieferst nicht drei bis vier Jahre solch konstant guten Ergebnisse ab, wenn keine entsprechende Qualität in der Mannschaft stecken würde. Der Konkurrenzdruck erhöht diese jetzt sogar noch einmal. Mir macht es vor allem Spaß, in einem solchen Umfeld spielen und trainieren zu können. Man wird ständig voll gefordert und lernt immer etwas dazu.

SPOX: Ihr Trainer Andre Schubert wird in der kommenden Saison vermutlich mit einer Dreierkette agieren wollen. In welcher Rolle sehen Sie sich dabei am ehesten?

Vestergaard: Da habe ich überhaupt keine Präferenz. Ich kann den Part in der Mitte übernehmen, kann aber auch rechts oder links spielen. So war es zuletzt auch in der dänischen Nationalmannschaft, da hat Andreas Christensen im Zentrum gespielt und ich links daneben. Die Positionen sind sich auch ziemlich ähnlich, einzig die Laufwege sind etwas anders.

SPOX: Christensen und Sie werden schon als das Danish Dynamite der Fohlenelf bezeichnet. Sie kennen Ihren Landsmann schon lange. Was zeichnet ihn aus?

Vestargaard: Andy ist ein unfassbar cleverer Spieler, der vieles schon weiß und kommen sieht, bevor es überhaupt passiert ist. Er kann das Spiel lesen und muss oftmals gar nicht erst in den Zweikampf, weil er den Ball schon vorher abgefangen hat. Dazu ist er sehr schnell und menschlich ein super Typ. Ich genieße es, mit ihm zu spielen.

SPOX: In welchen Bereichen haben Sie ihm etwas voraus?

Vestergaard: Was ich besonders gut kann, müssen eigentlich andere beurteilen. Vielleicht kann man aber sagen, dass ich der etwas robustere und physisch stärkere Spieler bin.

SPOX: Vor Ihrem Wechsel zu Gladbach holten Sie sich bei Ihrem Freund Christensen Informationen über den Verein. Mit welchen Argumenten können Sie ihn im Gegenzug davon überzeugen, bei der Borussia zu bleiben?

Vestergaard: Das weiß ich jetzt noch nicht. Es kommt ja nicht nur auf Andys Meinung an, sondern ist auch abhängig davon, ob Chelsea mitspielt. Ich hoffe auf jeden Fall, dass er bei uns bleibt, wir noch lange zusammenspielen und erfolgreich sein können. Aber ich werde natürlich mein Bestes geben und meinen Teil dazu beitragen, dass er uns erhalten bleibt.

SPOX: Was auch im Interesse der dänischen Nationalmannschaft wäre. Ähnlich wie Mats Hummels und Jerome Boateng, die künftig zusammen beim FC Bayern spielen, wäre die Innenverteidigung Ihres Landes hervorragend eingespielt...

Vestergaard: Das stimmt. Es ist immer gut, wenn man sich kennt und weiß, was der andere denkt, was er gut und weniger gut kann. Diese Verbindung zu einem Spieler kann nur von Vorteil sein. Oftmals ist auf dem Platz keine Zeit, sich in hektischen Situationen abzusprechen.

SPOX: Die Borussia ist auch im Sturm stark besetzt. Darunter sind auch einige schnelle, wendige Spieler wie Raffael, Thorgan Hazard oder Lars Stindl, die Ihnen in der Vergangenheit manchmal Probleme bereiteten. Ist es ein Vorteil, sich jetzt fast täglich mit solchen Spielern messen zu können?

Vestergaard: Sind wir ehrlich: Wenn man so viel Zeit mit diesen Jungs auf dem Platz verbringt und sich dabei nicht verbessert, macht man etwas verkehrt. Von daher kann es mir nur zu Gute kommen. Außerdem freue ich mich, dass wir über eine solche Offensivpower verfügen, die vorne für die Tore sorgt. So kann ich mich voll und ganz auf den Gegner konzentrieren.

SPOX: Aber einen Beinschuss zur Begrüßung gab es im ersten Training nicht?

Vestergaard: Nein, zum Glück nicht. Aber ich habe schon hier und da gestaunt, wie die Jungs manchmal die Bälle annehmen und sich aus eigentlich ausweglosen Situationen doch noch befreien. Die Breite im gesamten Kader ist beeindruckend. Es weckt einen unheimlichen Ehrgeiz in mir, unsere Offensivspieler zu stören und zu stoppen.

SPOX: Mindestens zwei Mal werden Sie auch die Champions-League-Hymne hören und anschließend entweder in der Königsklasse oder Europa League spielen. Freuen Sie sich besonders auf Ihre ersten internationalen Begegnungen?

Vestergaard: Natürlich. Das war auch einer der Gründe, warum ich nach Gladbach gekommen bin. Wir sind alle heiß auf die Champions League und wollen das Ziel unbedingt erreichen. Für mich ist aber auch die Europa League etwas Besonderes.

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