Frage: Herr Sahin, am Samstag vor elf Jahren sind Sie erstmals in der Bundesliga aufgelaufen und sind seitdem der jüngste Spieler aller Zeiten. Wie weit weg ist das für Sie heute?
Nuri Sahin: Das ist ja der Geburtstag von Roman Weidenfeller. Ich habe zu ihm schon häufig gesagt: Roman, deinen Geburtstag vergesse ich nie! (lacht) Es fühlt sich sehr weit weg an, am Jahrestag selbst erinnere ich mich aber immer wieder aufs Neue gerne daran. Was in diesen elf Jahren alles passiert ist und was ich währenddessen erlebt habe, damit könnte man drei Karrieren füllen. Oder ein Buch schreiben.
Frage: Am Sonntagabend hatten die Dortmunder Neuzugänge ihre Feuertaufe zu bestehen. In welchem Rahmen fand das statt?
Sahin: Wir haben ganz normal zu Abend gegessen. Die Älteren haben sich vorab Gedanken gemacht, wie wir das Programm für die Neuen aufteilen. Joo-Ho Park kam noch hinzu, da er bislang noch nicht diese Art von Einstand feierte. Wir wollten nicht, dass neun Leute hintereinander singen, das wäre langweilig gewesen. Sebastian Rode, Mario Götze und Marc Bartra haben die Köche gespielt und zwei andere mussten eine Rede halten, die auch jeweils ganz stark war. Der Rest musste singen. Was Joo-Ho aber in seiner Landessprache abgerissen hat, war schon ganz hohes Niveau und hat alles getoppt. (lacht)
Frage: Sie selbst sind derzeit auf der Suche nach Ihrem höchsten Niveau, nachdem Sie in der letzten Saison lange verletzt waren. Welche Erwartungen an sich haben Sie an die neue Spielzeit?
Sahin: Vor allem, komplett gesund durch die Spielzeit zu kommen. In den letzten drei Jahren war ich immer nur als Tourist hier im Trainingslager dabei. Diesmal bin ich ein vollwertiges Teammitglied, habe noch keine Einheit verpasst und gebe Gas. Das ist das erste Etappenziel, das ich erreichen wollte. Gerade im letzten Jahr war der Rhythmus immer von Reha, Training, Spiel und Regeneration geprägt, so dass ich nie sagen konnte, jetzt wieder richtig anzugreifen. Der Rest ergibt sich dann für gewöhnlich von selbst.
Frage: Auf welchem Level befinden Sie sich aktuell?
Sahin: Ich habe gerade erst mit unserem Physiotherapeuten Peter Kuhnt gesprochen. Er meinte, es sähe doch ganz ordentlich bei mir aus. Das werte ich mal als gutes Zeichen. (lacht) Mir geht es richtig gut, denn ich wusste nicht, wie sich die Vorbereitung genau anfühlen wird und wie weit ich tatsächlich schon bin. Es hat noch nirgends gezwickt. Ich muss meinen Körper aber vor und nach dem Mannschaftstraining pflegen, da ich beinahe zwei Jahre raus war. Deshalb darf ich mich nicht selbst anlügen und denken, es würde von alleine gehen.
Frage: Der BVB hat einen an vielen Stellen erneuerten Kader beisammen, dem auffällig viele Mittelfeldspieler angehören. Es wird also zweifelsohne auch Härtefälle geben.
Sahin: Dass wir breit aufgestellt sind und keinen Qualitätsverlust haben, ist ja auch so gewollt. Jeder Spieler muss es dem Trainer so schwer wie möglich machen. Alles andere liegt dann nicht in unserer Hand. Es findet bei uns gerade ein Umbruch statt. Deshalb ist jeder aufgefordert, seinen Teil beizutragen, damit uns der Umbruch gelingt. Das geht einfach nur über Leistung und über das Verhalten auf und außerhalb des Platzes.
Frage: Kam dieser Umbruch für Sie überraschend?
Sahin: Wir haben immer mal wieder etwas mitbekommen. Jetzt sind viele junge, aber auch einige gestandene Spieler hinzugekommen, die allesamt wirklich viel Qualität mitbringen. Ich habe das vorhin erst am eigenen Leibe im Training erfahren müssen, wo ich als Teil der defensiven Mannschaft gegen die Offensiven gespielt habe. Im Eins-gegen-eins oder was das Tempo angeht haben wir viel an Fantasie zugelegt. Wir müssen das aber alles erst einmal vernünftig aufs Feld bekommen. Da sind auch wir Erfahrenen gefragt, damit das gelingt.
Frage: Sehen Sie sich gerade für die jungen Spieler als Ansprechpartner, da Sie ja einen sehr ähnlichen Weg gegangen sind?
Sahin: Natürlich. Das beste Beispiel ist Christian Pulisic: Seinen Weg habe ich beinahe Eins-zu-eins auch erlebt. Man kommt ohne Erwartungen zu den Profis, steht auf einmal im Kader, spielt dann plötzlich, wird in die Nationalelf eingeladen, bei der Copa America saß er dann neben Lionel Messi bei der Dopingprobe. Das geht alles so dermaßen schnell. Ich weiß gut, wie schwer es ist, solche Dinge richtig einzuordnen und kann aus Erfahrung sprechen. Daher biete ich meine Hilfe sehr gerne an.
Frage: Wie war das damals bei Ihnen, wer waren Ihre wichtigsten Ratgeber?
Sahin: Ich hatte das Glück, dass mir mit Dede und Tomas Rosicky zwei Jungs geholfen haben, die mir auch bis heute noch helfen. Ich kann sie jederzeit anrufen und hatte erst vor einem Tag noch ein Telefonat mit Tomas. Marc Bartra hat beispielsweise ein kleines Kind und suchte einen Babysitter, ich habe dann unsere beiden Ehefrauen zusammengebracht. Ich weiß noch wie heute, als ich damals bei Real Madrid angekommen bin: Kaka kam zu mir und meinte, meine Frau solle doch mit seiner Frau Kontakt aufnehmen. Es war für mich sehr beachtlich, dass ein Weltfußballer wie er, der schon alles gewonnen hat, sich um einen unbekannten 22-Jährigen kümmert. Davon habe ich mir eine Scheibe abgeschnitten.