Ralf Fährmann gehört zu den unumstrittenen Leistungsträgern des FC Schalke 04. Der Torhüter ist Publikumsliebling und geht in Gelsenkirchen in seine vierte volle Saison als Nummer eins. Im Interview spricht Fährmann über das negativ konnotierte "typisch Schalke", die Probleme in der letzten Spielzeit, die Verabschiedung von Leroy Sane und die persönliche Kritik von Jens Lehmann.
SPOX: Herr Fährmann, im letzten SPOX-Interview haben wir ausführlich über die mentale Belastung eines Fußballprofis gesprochen. In der letzten Saison verlor Schalke 04 am 31. Spieltag ein Heimspiel gegen Leverkusen nach einer 2:0-Führung, da man innerhalb von sechs Minuten drei Gegentore kassierte - und zwei davon gingen voll auf Ihre Kappe. Wie haben Sie das damals verdaut?
Ralf Fährmann: Ob du Mentaltraining machst oder nicht, letztlich bleibt dir nichts anderes übrig, als das schnellstmöglich abzuhaken. Natürlich war das auch nicht nach ein oder zwei Tagen vergessen. Dennoch ist im ersten Moment schon klar: Man kann das nicht rückgängig machen, jeder macht Fehler. Ich habe es positiv gesehen und mir gesagt, die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten Spielen Fehler passieren, hat sich damit verringert. (lacht)
SPOX: Zu diesem Zeitpunkt der Spielzeit war der beste Saisonstart seit 44 Jahren längst vergessen. War das in Ihren Augen ein gutes Beispiel für dieses negative "typisch Schalke", wovon nicht zuletzt auch Christian Heidel sprach?
Fährmann: Voll und ganz. Es hat sich in den letzten Jahren ein Trott eingeschlichen, das Gute nicht mehr sehen zu wollen oder zu können und sich am Negativen zu laben. Man versucht dann, in Interviews auch auf positive Dinge aufmerksam zu machen. Wenn aber die Grundstimmung eher schlecht ist, rennt man damit gegen eine Wand.
spoxSPOX: Heidel möchte, dass der Ausspruch "typisch Schalke" künftig positiv konnotiert ist. Weshalb war er bislang so häufig das Gegenteil?
Fährmann: Die Wahrnehmung eines Spielers ist teilweise grundverschieden von jener der Öffentlichkeit. Wir sind ja diejenigen, die wissen, was in der Kabine besprochen wird oder wie das Training auf uns wirkt. Da kann es aus unserer Sicht vorkommen, dass wir gut spielen, die Berichterstattung aber schlecht ist - oder sogar umgekehrt. Das ist manchmal echt paradox und macht es schwierig, die allgemeine Stimmung einzuordnen. Es war oft ein Ding der Unmöglichkeit, dagegen anzukämpfen.
SPOX: Heidel geht relativ radikal vor und baut Schalke ziemlich großflächig um. Ein gutes Zeichen für Sie?
Fährmann: Der Umbruch war notwendig und ich finde es sehr gut, mit welch positiver Euphorie das Christian Heidel anpackt. Damit reißt er uns mit. Ich finde gut, dass er Schalke aus einer neutralen Sicht heraus betrachtet hat. Er kann die Außenwirkung besser einschätzen und versucht nun, vielfältige Dinge zu verändern.
SPOX: Bleiben wir in der vergangenen Saison: Obwohl der Start gelang und die Stimmung rund um den Verein lange gut war, fiel dieses Gebilde nach und nach in sich zusammen. Wieso hat diese Startphase nicht dazu beigetragen, dass im Umfeld größere Geduld und mehr Vertrauen gegenüber der Mannschaft herrschen?
Fährmann: Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Wir haben es vielleicht nicht geschafft, von Anfang an eine klare und einheitliche Linie zu fahren, die von ganz oben bis ganz unten stringent durchgezogen wird. Man darf nicht wie im Vorjahr die Zielsetzung auf einmal nach oben schrauben, nur weil man mal fünf Spiele am Stück erfolgreich bestritten hat. Es ist doch klar, dass gerade nach einem Neuanfang auch mal eine schwächere Phase kommen kann. Da hätte man ruhiger bleiben und sich nicht von der Euphorie blenden lassen dürfen.
SPOX: Weil die Mannschaft einfach noch nicht so weit war, um diese Euphorie zu bedienen?
Fährmann: Man muss das immer nüchtern und mit genügend Abstand betrachten. Sonst schürt das eine Erwartungshaltung und es ist schwer, ihr gerecht zu werden, wenn die Qualität nicht in diesem Maß vorhanden ist. Vielleicht hatten wir die Qualität, aber wir hatten auch eine extrem junge Mannschaft, die dadurch vielleicht etwas ihre Unbekümmertheit verloren hat.
SPOX: Ex-Coach Andre Breitenreiter sah sich dann auch Vorwürfen in Sachen Teamführung und Trainingsarbeit ausgesetzt. Sie ergriffen damals sehr schnell Partei und verwiesen diese Anschuldigungen ins Reich der Fabeln. Hat Ihnen Breitenreiter, den Sie mal als den besten Schalke-Trainer seit Jahren bezeichneten, zwischendurch auch leidgetan?
Fährmann: Das wäre wohl zu gefühlsstark ausgedrückt. Ich wusste aber, wie er das Team geführt und uns auf die Gegner eingestellt hat - und das war einfach gut. Andre Breitenreiter ist ein guter Trainer.
SPOX: Ab wann war Ihnen klar, dass zur neuen Saison der nächste Trainer in Gelsenkirchen aufschlagen würde - der insgesamt sechste, seit Sie 2011 zum S04 zurückkehrten?
Fährmann: Ich versuche, mich gar nicht damit zu beschäftigen. Das wäre aus meiner Sicht auch nicht förderlich. Man fokussiert sich da verstärkt auf sich und seine eigene Leistung. Erst als die Saison beendet war und sich die neuen Personalien abzeichneten, habe ich mich damit auseinandergesetzt, wie es weitergehen würde.
SPOX: Nun findet wie in der Vorsaison ein Neuanfang statt, die Zielsetzung für die neue Saison ist daher noch etwas unklar und wurde bislang auch nicht öffentlich kommuniziert. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass nun endlich Kontinuität Einzug erhält?
Fährmann: Die ist natürlich groß, auch wenn es natürlich erst die Startphase ist. Der Trainer hat uns schon einige neue Dinge mitgegeben. Es dauert jetzt einfach seine Zeit, bis wir diese verinnerlicht haben. Für ein konkretes Saisonziel ist es momentan noch zu früh. spox
SPOX: Welche neuen Dinge meinen Sie?
Fährmann: Jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht zu viel verrate. (lacht) Ich würde es daher mal so ausdrücken: Es ist absehbar, dass wir offensiv wie defensiv einen anderen Fußball als zuletzt spielen werden.
SPOX: Heidel hat schon vieles angeschoben, ob personell oder infrastrukturell. Wie haben Sie ihn bislang kennengelernt?
Fährmann: Ich möchte auf keinen Fall die Arbeit seines Vorgängers schmälern, Horst Heldt war auch gut. Wie schon angesprochen habe ich den Eindruck, dass sich Christian Heidel ein klares Bild von unserem Verein gemacht hat und nun weiß, an welchen Stellschrauben man drehen kann. Es imponiert mir, dass er dann vom ersten Tag an total zielstrebig Vollgas gegeben hat. Daher gibt es ja in dieser doch recht kurzen Zeit schon so viele Veränderungen. Er hat sofort eine Vorbildfunktion eingenommen, was ein gutes Zeichen für uns Spieler ist.
SPOX: Am Schalker Trainingszentrum werden zum Beispiel neue Funktionsräume errichtet, es wird einiges umgebaut. Heidel meinte, zuvor wären die Gegebenheiten bundesligauntauglich gewesen. War Ihnen bewusst, dass es in diesem Bereich offensichtlich noch viel Luft nach oben gibt?
Fährmann: Man hat vielleicht seine Wünsche für Verbesserungen gehabt, aber ich persönlich brauche auch keinen Luxus. Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht, so dass uns auch dieser frische Wind gut tut. Christian Heidel war auch aufgrund seiner großen Vorerfahrung der Meinung, dass das nicht gut passt beziehungsweise es besser geht - also hat er sofort Nägel mit Köpfen gemacht.
SPOX: Auf Schalke herrscht momentan wie schon zum vergleichbaren Zeitpunkt des Vorjahres eine große Ruhe, fast alle Transfers erscheinen nicht nur vielversprechend, sondern wurden vorab auch nicht öffentlich. Hätten Sie das angesichts der namhaften Neuzugänge für möglich gehalten?
Fährmann: So kenne ich Schalke gar nicht. (lacht) Ich finde das aber beeindruckend und wunderbar, denn es tut uns allen wahnsinnig gut, wenn hier Ruhe im Karton herrscht. Ich glaube, da spreche ich auch für unsere Fans.
SPOX: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das negative "typisch Schalke" und die damit oft verbundenen Selbstzerfleischungsprozesse im Laufe der Spielzeit trotz Heidel und Weinzierl wieder wie aus dem Nichts zuschlagen werden?
Fährmann: Ich kann mir gut vorstellen, dass das wieder passieren wird. Ich kenne es ja auch gar nicht anders. Dann wären wir Führungsspieler und die Verantwortlichen gefragt, eng zusammen zu stehen und mit einer Stimme nach außen zu kommunizieren, damit das an uns abprallt und keine großen Wellen schlägt.
SPOX: Leroy Sane wählte nach insgesamt acht Jahren in Königsblau und 47 Bundesligaspielen einen anderen Weg und wechselte zu Manchester City. Blutet Ihnen da auch das Herz wie bei Heidel?
Fährmann: Klar. Wir verlieren einen absoluten Top-Spieler, dessen ganze Qualitäten noch längst nicht ausgeschöpft sind. Wenn er klar im Kopf und ehrgeizig bleibt, hat er noch einen wahnsinnigen Weg vor sich. Er gibt dem Verein nun aber vor allem finanziell gesehen auch sehr viel zurück. Ich bin nicht sauer auf ihn, er hat diese Chance jetzt einfach ergriffen. Das war eine saubere Geschichte und ich drücke ihm die Daumen.
SPOX: Wann und wo hat sich Sane denn von der Mannschaft verabschiedet?
Fährmann: Wir haben miteinander geschrieben und in der Kabine nochmal gesprochen. Er war von Anfang an offen und ehrlich mit uns. Eine offizielle Feier gab es aber nicht. Wenn er nochmal vorbeikommen sollte, holen wir das vielleicht nach. (lacht)
SPOX: Jens Lehmann hat Ihnen vor zwei Monaten vorgeworfen, "im Kopf nicht in der Lage" zu sein, ein ernst zu nehmender Konkurrent für Manuel Neuer im Tor der deutschen Nationalelf zu werden - auch, weil Sie negativ denken würden. Dabei sind doch gerade Sie derjenige, der seit Jahren mit einem Mentaltrainer zusammenarbeitet. Was sagen Sie zu seiner Kritik?
Fährmann: Ich musste schmunzeln, weil es auch aus dem Nichts kam. Mein Bruder hat mir dann scherzhaft geschrieben: Du musst halt einfach mit dem Helikopter zum Training kommen! (lacht) Ich kenne Jens Lehmann nicht, wir haben noch nie miteinander gesprochen. Daher kann er sich eigentlich auch kein Bild von mir machen. Es gehört aber zum Fußball dazu und das ist ja teilweise auch das Schöne daran, dass sich letztlich jeder äußern kann und darf.
SPOX: Wie sehr hatten Sie darauf gehofft, doch noch mit zur EM zu fahren?
Fährmann: Natürlich hatte ich bis zum Schluss Hoffnung. Dafür habe ich das ganze Jahr Gas gegeben. Ich weiß aber auch, dass Joachim Löw auf ein intaktes Team Wert legt. Als sich dann die Anzeichen verdichteten, dass kein Anruf mehr von Andreas Köpke kommen würde, habe ich die Zeit anderweitig genutzt. Ich habe geheiratet und bin eine Weile lang in Urlaub gefahren.
SPOX: Auf Schalke gehören Sie zu den Wortführern. Haben Sie aber den Eindruck, Sie müssten mehr als Lautsprecher auftreten, um auch ein Thema für das DFB-Team zu sein?
Fährmann: Ich spucke einfach von Natur aus nicht gerne große Töne. Ich hatte in dieser Hinsicht in der Vergangenheit ein paar positive wie negative Erlebnisse. Ich habe nicht zuletzt während meinen langen Verletzungspausen gelernt, dass ich mich schlichtweg wohler fühle, wenn ich ich selbst bin. Ich brauche keine große Show und muss mich nicht feiern. Ich freue mich innerlich und mache den Rest mit mir selbst aus. Das heißt aber nicht, dass ich auf dem Platz meine Vorderleute nicht dirigiere oder mich mal vor die Mannschaft stelle.