"Heute jagen sie Pokemons anstatt Bälle"

Ralf Rangnick begann seine Arbeit bei Red Bull Ende Juni 2012 als Sportdirektor in Salzburg
© getty

Nach einem Jahr als Cheftrainer hat Ralf Rangnick bei Bundesliga-Aufsteiger RB Leipzig den Trainingsanzug wieder gegen den feinen Zwirn des Sportdirektors getauscht. Im ersten Teil des Interviews erklärt Rangnick ausführlich seine Spielidee und spricht dabei über das Training mit Kindern, den Unterschied zwischen Ribery und Robben sowie die Gewichtung spielmachender Aspekte. Den zweiten Teil gibt's hier.

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SPOX: Herr Rangnick, in den letzten Jahren wurde immer klarer, Fußballvereine bräuchten eine in Stein gemeißelte Philosophie, um kontinuierlich Erfolg haben zu können. Muss das für Sie wirklich zwingend eine Option für alle Klubs sein - oder sind dann ständige Anpassungen nicht programmiert?

Ralf Rangnick: Jede erfolgreiche Firma - und ein Fußballverein im Profibereich ist nichts anderes - sollte eine Corporate Identity haben. Daraus abgeleitet bildet sich ein Corporate Behaviour, das die Zusammenarbeit und den Umgang untereinander sowie die Auswahl von Personal kennzeichnet. Im Fußball war das lange Zeit nicht der Fall. Es gibt bislang europaweit immer noch relativ wenig Vereine, die in dieser Hinsicht eine eigene nachhaltige Identität haben, welche man in Bezug auf Spielstil, Transferpolitik und Nachwuchsarbeit ablesen kann. Ich bin davon überzeugt, dass es ohne diese Identität gar nicht möglich ist, langfristig nachhaltig zu arbeiten.

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SPOX: Geht da aber nicht individuelle Kreativität flöten, wenn alle auf dieselbe Linie gebracht werden sollen?

Rangnick: Überhaupt nicht. Unsere Trainer trainieren mit den Allerjüngsten kindgerecht, sowohl was Umgang und Führung, als auch das Training an sich betrifft. Früher hat man das Fußballspielen auf der Straße gelernt, heute jagen sie dort Pokemons anstatt Bälle.

SPOX: Wie sieht bei RB Leipzig kindgerechtes Training genau aus?

Rangnick: Nehmen wir mal an, man hätte eine Gruppe von sieben- bis achtjährigen fußballinteressierten Buben und schmeißt ihnen einen Ball hin. Was passiert dann?

SPOX: Sie rennen dorthin, wo der Ball ist.

Rangnick: Und genau dieses Verhalten wollen wir ihnen innerhalb unserer Spielidee auch zwingend belassen. Wir müssen ihnen nur beibringen, dass sich bei Ballbesitz auch mal der eine oder andere vom Ball weg bewegt, um dann anspielbar zu sein. Vereinfacht gesagt wäre es für meinen Geschmack zu wenig, nach dem Motto 'Learning by doing' lediglich zu sagen: Lasst sie doch einfach mal kicken.

SPOX: Weshalb?

Rangnick: Auch diese Altersgruppen wollen besser werden. Dazu braucht es also einen Trainer, der ihnen auf kindgerechte Art und Weise aufzeigt, wie und in welchen Bereichen sie besser werden können.

SPOX: Es heißt doch aber immer, man solle Erfolg nicht über Entwicklung stellen.

Rangnick: Von dieser These halte ich gar nichts. Sie klingt zwar gut und ganz oberflächlich betrachtet würde ich sogar zustimmen. Wenn sie aber Kinder haben, die irgendetwas zusammen spielen, dann wollen die sich messen und am Ende auch gewinnen. Sie wollen nicht nur deshalb Fuß- oder Federball spielen, damit der Ball einfach nur hin und her fliegt.

SPOX: Sondern?

Rangnick: Es muss auf jeden Fall um irgendetwas gehen. Einfach nur den Ball hin und her zu spielen - das würde auch mich nach wie vor nicht reizen und zufriedenstellen.

SPOX: Heißt: Leipzig als Verein erwartet von seinen Trainern, mit den Kindern Titel zu gewinnen?

Rangnick: Nein, für uns ist das nur ein Nebenprodukt. Der Auftrag für unsere Trainer lautet, ihre Spieler und Mannschaften zu entwickeln und in den für unser Spiel relevanten Dingen besser zu machen. Das ist für mich vollkommen logisch. Zumal mir in Deutschland nur wenige Vereine einfallen, die wie wir von den Achtjährigen bis zur U19 eine einheitliche Spielidee haben. Damit meine ich nicht, dass alle in der gleichen Grundordnung spielen. Das machen sie bei uns auch nicht. Aber man sollte zumindest einmal einen durchgängigen roten Faden haben. Jedes Kind, das in die nächste Jahrgangsstufe kommt, tut sich doch dann ungleich leichter, wenn es schon ungefähr weiß, was auf es zukommt.

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