"Jeder muss sich hier an die eigene Nase fassen. Alle müssen Verantwortung übernehmen. Der Trainer war bei allen Verpflichtungen im Boot. Alles andere verweise ich in den Bereich des Getuschels", sagte HSV-Boss Beiersdorfer als er nach der 0:4-Pleite gegen Rasenballsport Leipzig auf das öffentliche Gerede um Bruno Labbadia angesprochen wurde.
Ein Treueschwur? Sicher nicht.
Doch was bringt es, nach Angela-Merkel-Art das uneingeschränkte Vertrauen auszusprechen, wenn öffentlich schon über die vermeintliche Unfähigkeit des Trainers diskutiert wird? Bruno Labbadia ist keineswegs der Grund für die Hamburger Unzulänglichkeiten.
Shopping-Tour am Ziel vorbei
Drei Positionen hatte der 50 Jahre alte Trainer schon vor der neuerlichen monetären Unterstützung durch Klaus-Michael Kühne ausgemacht, als Bobby Wood und Christian Mathenia die einzigen feststehenden Neuzugänge waren: einen offensiven Außenspieler um den Abgang von Ivo Ilicevic auszugleichen, einen jungen Innenverteidiger um den Kader zu vertiefen und einen zentralen Mittelfeldspieler.
Bekommen hat Labbadia einen offensiven Außenspieler: Filip Kostic. Ein Innenverteidiger? Fehlt. Der Mittelfeldspieler, der den Kaderplatz von Gojko Kacar besetzt? Fehlt.
Alen Halilovic und Luca Waldschmidt sind keine Spieler für die defensiven Positionen im Mittelfeld. Doch gerade dort hat der HSV Probleme.
Torgefahr nur ohne Spielaufbau
Die Hamburger entwickeln in der Offensive ausschließlich Gefahr, wenn der eigene Spielaufbau durch lange Pässe am zentralen Mittelfeld vorbei erfolgt. Sobald Lewis Holtby, Aaron Hunt oder Gideon Jung im defensiven Mittelfeld an den Ball kommen, ist das Thema gegessen.
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Warum das so ist? Die HSV-Profis setzen auf geringe Gefahr. Nach der Ballannahme wird meist nach hinten abgedreht. Pässe erfolgen fast ausschließlich direkt zum Mitspieler statt in den freien Raum. Vertikale oder diagonale Pässen in die Tiefe bleiben aus. Doch genau diese Risikoanspiele braucht die Offensivreihe aus Kostic, Wood und Nicolai Müller.
Labbadia hat sein Ziel noch nicht erreicht
Labbadias Ziel für die neue Saison war eindeutig: Zusätzlich zur im Vorjahr gefundene stabilen Defensive und dem Ausüben von Druck auf den Gegner sollte seine Mannschaft sich fußballerisch entwickeln. Der HSV sollte sich eigene Torchancen kreieren.
Dieses Ziel hat der Trainer bisher verpasst. Eine logische Folge der Verletzungsprobleme: Lewis Holtby, Gideon Jung, Albin Ekdal, Aaron Hunt - kein einziger Sechser konnte die Vorbereitung komplett absolvieren, teils musste sogar Gotoku Sakai aushelfen. Eingespielt ist die Hamburger Mannschaft noch lange nicht - und Labbadia trägt daran keine Schuld.
Der HSV hat sich vor der Saison entschieden, entwicklungsfähige Spieler zu verpflichten. Sie brauchen ebenso Zeit wie die Anpassung der Ballbesitz-Fußballer in der Defensive mit den schnellen Offensivkräften. Umso schlimmer, dass Leistungsträger wie Johann Djourou sich unkonzentriert gravierende individuelle Fehler leisten und damit das angeknackste Selbstbewusstsein der Mannschaft zum Bersten bringen.
Bei Entlassung ist das HSV-Selbstbild reif für die Müllhalde
Viel wichtiger bei der Diskussion um Labbadia: Der HSV hat in den vergangenen Jahren immer wieder betont, Kontinuität zu wollen und dann doch Jahr für Jahr den Übungsleiter bei jeder Negativserie gefeuert. Jetzt den Trainer zu wechseln, wäre das Ende der Hamburger Fantasien.
Der HSV muss an Labbadia festhalten. Er verkörpert die Hoffnung auf einen ruhigeren HSV, der sich klar vom chaotischen Verhalten des letzten Jahrzehnts abgrenzt. Muss Labbadia jetzt gehen, ist die selbstgesteckte Vision reif für die Mülltonne.
Ein Treuebekenntnis ist dafür nicht nötig. Nur in den Katakomben des Volksparkstadions muss Ruhe herrschen.
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