Erst kurz vor Schließung des Transferfensters verließ Sven Schipplock den Hamburger SV. Im Interview erklärt der Stürmer, weshalb er zum SV Darmstadt 98 gewechselt ist und was bei den Lilien im Hessenderby gegen Eintracht Frankfurt (Sa., 15.30 Uhr im LIVETICKER) besser werden muss. Außerdem spricht der 27-Jährige über seinen ungewöhnlichen Karriereweg, Versprechungen in Hoffenheim, Begegnungen mit Mario Gomez und seinen Glauben.
SPOX: Herr Schipplock, zum Auftakt gab es beim 1. FC Köln eine 0:2-Niederlage, die noch hätte höher ausfallen können. Nun stand sofort eine Länderspielpause an. Kam die für Darmstadt vielleicht sogar zum richtigen Zeitpunkt?
Sven Schipplock: Man hat gegen Köln gesehen, dass in allen Bereichen noch viel Luft nach oben war. Die Kompaktheit in der Defensive war nicht wie gewünscht vorzufinden und die Abstimmung in der Offensive passte nicht. Wir fanden absolut keinen Zugriff auf die Partie. Die Automatismen waren noch nicht vorhanden, was bei sieben Neuzugängen in der Anfangsformation auch schwer ist. Dadurch nicht allein zu erklären war allerdings, dass wir uns nicht richtig gewehrt haben. Normalerweise kommt der SV Darmstadt über den Willen, die Leidenschaft, die Zweikampfstärke, doch diese Tugenden haben wir gegen Köln noch nicht wirklich umgesetzt. Dann ist es schwer für uns, etwas zu holen. Die zwei Wochen taten uns nun gut, weil wir dadurch wieder etwas mehr Zeit hatten, uns als Mannschaft zu finden, auch wenn der allerletzte Feinschliff vermutlich noch nicht abgeschlossen sein wird. Ich selbst habe gemerkt, wie schwer es ist, sich in einem Team sofort zurechtzufinden, das so noch nie zusammengespielt hat. Aber auch da bin ich sehr optimistisch, dass das jetzt besser wird.
SPOX: Ihr Wechsel nach Darmstadt ging relativ schnell. Im Juli war noch zu lesen, dass sie den HSV nicht verlassen wollen. Es lief ordentlich in der Vorbereitung, Trainer Bruno Labbadia fand lobende Worte für Sie. Warum gab's dann doch noch die Wende?
Schipplock: Ich wollte mich nach dem sehr durchwachsenen ersten Jahr noch einmal neu beweisen. Auch von Vereinsseite bekam ich zunächst Signale, dass man durchaus mit mir plant. Bis ich dann in den Testspielen zunehmend nicht mehr eingesetzt wurde. Bruno Labbadia hat mir dann im Gespräch mitgeteilt, dass er andere Stürmer vor mir sieht und ich zunächst wenig Chancen haben werde. Daraufhin ging alles recht schnell, weil Darmstadt bereits zuvor schon Interesse an mir bekundet hatte.
SPOX: Gab es auch noch andere Interessenten?
Schipplock: Es ging ja alles extrem schnell. Es war so, dass die Lilien mich schon länger auf dem Schirm hatten und abgewartet haben, bis etwas Bewegung in meine Personalie kam. Insofern war ich sehr froh, dass das alles nun so schnell geklappt hat.
SPOXSPOX: Warum kamen Sie in Hamburg nicht wie gewünscht zum Zug?
Schipplock: Es war für mich eine riesige Umstellung, als ich damals aus dem beschaulichen Hoffenheim zum HSV gewechselt bin. Dort war alles viel größer: das Medienaufkommen, die Erwartungen der Fans, der Druck auf den gesamten Verein. Das habe ich vielleicht etwas unterschätzt. Im zweiten Jahr hätte ich damit wohl besser umgehen können, weil ich wusste, was mich erwartet. In Hoffenheim hatte ich fast ausschließlich positive Erlebnisse. Auch wenn ich dort nicht immer einen Stammplatz hatte, schoss ich meine Tore - zwar auch nicht wahnsinnig viele, aber dafür wichtige. In Hamburg kam ich in eine Mannschaft, die in den zwei Jahren zuvor jeweils erst in der Relegation die Klasse hielt. Daher war es für mich schwierig, dort sportlich sofort den Anschluss zu finden.
SPOX: Aber die ersten drei Partien in der vergangenen Saison gehörten Sie jeweils zur Startelf.
Schipplock: Dort konnte ich aber aus Fitnessgründen und der neuen Gegebenheiten nicht meine Leistung abrufen und war anschließend in der öffentlichen Wahrnehmung komplett außen vor. Dieses krasse Schwarz-Weiß-Denken kannte ich nicht. Zuerst war ich der neue Stürmer, in den große Hoffnungen gesetzt wurden, um dann wochenlang überhaupt keine Rolle zu spielen. Damit kam ich nicht klar, das konnte ich nicht richtig verarbeiten. spox
SPOX: In Hoffenheim gehörten Sie jedoch auch nicht immer zum Stammpersonal.
Schipplock: Das ist richtig, dort hatte ich aber immer das Gefühl, dass ich trotzdem nah dran war. Beim HSV wurde ich medial auch ganz anders wahrgenommen, da war ich der Neue, der für 2,5 Millionen aus Hoffenheim kam. Der Medienrummel, das Umfeld, all das ist in Hamburg nochmal eine Stufe krasser.
SPOX: Zudem gab es noch die Diskussion um Raphael Kuczor, dem Keeper von Carl-Zeiss Jena, und Ihnen. Sie sollen ihn während des Pokalspiels damit provoziert haben, was Sie in Hamburg verdienen.
Schipplock: Und ich stand als Angeber oder Protz-Profi in der Presse. Viele Menschen glauben dann halt, was in der Zeitung steht. Allerdings wissen die Leute, die mich kennen, dass ich solche Dinge nicht sagen würde. Klar, da sind Worte gefallen, aber nicht solche. Aus dieser medialen Negativspirale in Hamburg nochmal rauszukommen war nicht einfach. Kurioserweise war ich, nachdem ich monatelang nicht gespielt hatte, bei meinem ersten Einsatz seit langer Zeit umgehend wieder der Held und der Retter des HSV. Dabei hatte ich nur zwei Treffer vorbereitet. Diese Extreme, damit muss man erst lernen umzugehen. Ich konnte das mit dem Hintergrund einer neuen Stadt, eines neuen Umfelds und eines neuen Spielsystems gar nicht unter einen Hut bringen und letztlich nicht die Leistung abliefern, die man von mir verlangt und die ich gerne auch gebracht hätte.
SPOX: Kann man lernen, mit so etwas umzugehen oder sich in gewisser Art darauf vorbereiten?
Schipplock: Ich glaube, man gewöhnt sich einfach irgendwann daran. Wenn man in Hamburg aufgewachsen ist, weiß wie der Verein und sein Umfeld ticken, macht dir das vermutlich nicht mehr so viel aus, als wenn du als Neuzugang von einem beschaulichen Verein kommst. Ich dachte damals, ich sei gefestigter und würde so etwas nicht an mich heranlassen, aber dafür bin ich dann doch zu sehr Mensch.
SPOX: Sie besuchten in der Jugend nie ein Nachwuchsleistungszentrum oder waren auf einem Fußball-Internat und haben es dennoch in die Bundesliga geschafft. Erzählen Sie doch einmal von Ihrem Weg zum Profi-Fußballer.
Schipplock: Dazu muss ich aber ein wenig ausholen.
SPOX: Nur zu.
Schipplock: Ich wechselte erst im zweiten A-Jugendjahr aus Pfullingen zum SSV Reutlingen und schaffte dort durch glückliche Umstände und viele Kuriositäten letztlich doch den Sprung in die 1. Mannschaft, die in der Regionalliga spielte. Das war damals die dritthöchste Spielklasse. Ich kam anfangs zunächst als Joker zum Zug, ehe ich irgendwann die Chance von Anfang an bekam und dann meine Tore erzielte, so dass mich diverse Zweit- und Erstligisten auf dem Zettel hatten und ich Angebote bekam.
SPOX: Die Cinderella-Story also?
Schipplock: So habe ich mich im ersten Moment auch gefühlt. (lacht) Ein halbes Jahr zuvor war Fußball eigentlich nur mein Hobby und auf einmal rufen dich Leute wie Felix Magath an, der damals beim VfL Wolfsburg war oder Christoph Daum, der die Kölner trainierte. Mit Nürnbergs damaligen Trainer Hans Meyer habe ich mich dann getroffen und war anschließend eigentlich mit dem Club für den nächsten Sommer einig. Doch dann spielten wir mit dem SSV gegen Stuttgart in der Wintervorbereitung. Anschließend wollten mich Horst Heldt und Armin Veh unbedingt noch im Winter holen, so dass ich wenige Tage später in der VfB-Kabine neben Mario Gomez, Cacau und Fernando Meira saß.
SPOX: Eine ziemlich rasante Entwicklung.
Schipplock: Das war der Wahnsinn, ich konnte das als 19-Jähriger überhaupt nicht fassen, aber es wurde noch - wie ich es damals empfand - verrückter. An meinem ersten Tag hatten wir zwei Mal Training und ich wusste überhaupt nicht, was ich zwischen den Einheiten machen sollte, als auf einmal Gomez vor mir stand und mich fragte, ob ich mit ihm Mittagessen gehen möchte.
SPOX: Von Stuttgart ging es nach Hoffenheim, weil Sie beim VfB keine Chancen mehr gesehen haben. Bei der TSG spielten damals aber auch Spieler wie Ryan Babel, Vedad Ibisevic oder Chinedu Obasi im Sturm. Die Konkurrenz war also nur unwesentlich kleiner.
Schipplock: Mir wurden damals Versprechungen gemacht, über die ich heute lachen würde. Damals hatte ich auch noch gar nicht das Niveau, um solche Spieler zu verdrängen, aber mit solchen Dingen wurde ich gelockt. Es war doch klar, dass ich mit 22 und den Referenzen, die ich vorzuweisen hatte, gar keine so große Rolle bei der TSG spielen konnte, wie mir eigentlich versprochen wurde. Aber wenn du jung bist, glaubst du sowas halt. (lacht)
SPOX: Wie gelang Ihnen trotzdem der Durchbruch? spox
Schipplock: In Hoffenheim gab es dann eine turbulente Zeit mit Markus Babbel, Marco Kurz und Frank Kramer als Trainer. Das war sehr wild und erst unter Markus Gisdol kam das Team und auch ich persönlich so richtig zurecht. Er war derjenige, der auf mich gesetzt hatte und so zu meinem persönlichen Mentor wurde. Auch wenn ich unter ihm nicht immer einen Stammplatz hatte, wusste ich, dass er voll und ganz auf mich setzt. Gisdol muss ich meinen ganzen Dank aussprechen.
SPOX: Aber Labbadia machte Sie doch zum Profi?
Schipplock: Richtig, daher war er auch ein wichtiger Grund, warum ich zum HSV gewechselt bin. Ich war offen für eine neue Herausforderung und dann wollte mich Labbadia haben. Ich weiß nicht, ob ich nach Hamburg gegangen wäre, wenn er dort nicht Trainer gewesen wäre. Natürlich ist der Verein auch super, aber so hat eben das Gesamtpaket gepasst.
SPOX: Was viele Leute gar nicht wissen: Sie sind sehr gläubig. Inwiefern leben Sie diesen Glauben aus?
Schipplock: Ich bin damit aufgewachsen, auch meine Eltern sind gläubige Christen. Aber richtig gläubig wurde ich erst vor knapp vier Jahren, als ich Probleme mit der Hüfte und dem Oberschenkel hatte, aber kein Arzt konnte erklären konnte, was los war. Ich fiel monatelang aus und in dieser schweren Zeit habe ich meinen Glauben gefestigt. Ich bete ein- bis zweimal täglich und versuche jeden Tag, in der Bibel zu lesen. Ich merke, je öfter ich das mache, umso weniger Gedanken mache ich mir. Der Druck, der Alltag, das Geld, das ganze Fußballgeschäft, es relativiert sich alles, wenn ich in der Bibel lese.
SPOX: Wie passt der Glaube mit dem eines Profis im knallharten Fußball-Geschäft zusammen?
Schipplock: Es ist nicht einfach, sich in dieser Scheinwelt zu etablieren, wo jeder immer besser sein muss als der andere und schnell die Gefahr besteht, das Gefühl zu bekommen, dass man etwas Besseres ist, weil man ständig im Rampenlicht steht, viel Geld verdient und so weiter. Da hilft mir mein Glaube, den Fokus nicht zu verlieren und den Blick für die wichtigen Dinge im Leben zu haben. Ich habe inzwischen auch ein viel besseres Verhältnis zu meinen Brüdern und meiner Familie, weil ich weiß, auf was es ankommt. Fußball ist immer noch meine Leidenschaft, aber letztlich ist es mein Job, der mir Spaß machen soll. Natürlich ist es schwierig, diese Gegensätze miteinander zu vereinbaren, aber ich finde meine Wege.
SPOX: Ihre Lieblingsstelle in der Bibel soll die von der Geschichte zwischen David gegen Goliath sein. Sind Sie deswegen zum SV Darmstadt 98 gewechselt?
Schipplock: Die passt zu den Lilien auch ganz gut, muss ich zugeben. Aber auch für mich persönlich. Egal wo ich hinkam, ich musste mich erst beweisen und durchkämpfen. Überall war ich der David und es kamen immer wieder neue Goliaths hinzu. Schlussendlich habe ich mich immer behaupten können und kam auf meine Einsatzzeiten.
SPOX: Sie sind vom Hamburger SV nur ausgeliehen. Können Sie sich vorstellen, auch längerfristig bei den Lilien zu bleiben oder haben Sie schon konkrete Ziele, wohin Ihr Weg führen soll?
Schipplock: Darüber mache ich mir noch gar keine Gedanken. Ich bin nun schon relativ lange im Profibereich dabei und weiß, dass vieles nur Tagesgeschäft ist. Mal bist du der Held, mal der Depp. Insofern darfst du eigentlich gar nicht besonders langfristig denken, weil so viel passieren kann. Ich fühle mich hier in Darmstadt bislang sehr wohl und freue mich darauf, hoffentlich wieder regelmäßig spielen zu dürfen. Mich reizt die Aufgabe hier am Böllenfalltor, weil wir wieder als Absteiger Nummer 1 gehandelt werden. Diese Underdog-Rolle liegt mir, sie passt zu Darmstadt. Außerdem bin ich froh, dass ich wieder näher bei meiner Familie bin. Oberstes Ziel ist natürlich der Klassenerhalt, wenn wir den geschafft haben, dann kann ich mir auch Gedanken über meine nächsten Schritte machen.
Sven Schipplock im Steckbrief