Der 17. Dezember 2014 war ein kalter Mittwoch. Hertha BSC gastierte am 16. Spieltag der Bundesliga bei Eintracht Frankfurt und die beiden Mannschaften boten den 40.200 Zuschauern ein wahres Spektakel. Alexander Meier wandelte einen 2:4-Rückstand mit den letzten beiden Aktionen des Spiels in ein 4:4-Unentschieden um und brachte die Commerzbank-Arena zum Beben.
Da es das letzte Heimspiel des Jahres war und Weihnachten bevorstand, setzten sich die Spieler der SGE nach Abpfiff Nikolausmützen auf und stapften mit Säcken voller T-Shirts und anderer Geschenke in Richtung Nordwestkurve. Einer marschierte vorneweg: Es war nicht Alex-Meier-Fußballgott oder Marco Russ sondern Haris Seferovic, der erst knapp drei Monate zuvor in Hessen angekommen war.
Thomas Schaaf schenkte dem damals 22-Jährigen sein Vertrauen. Mit Ausnahme von zwei Spielen, die er aufgrund von Sperren verpasste, war Seferovic gesetzt. Die Systeme, die der Trainer spielen ließ, lagen ihm: Entweder agierte er allein im Sturmzentrum oder im Verbund mit Alex Meier.
In der Bankenmetropole fühlte der Schweizer sich wohl. Er hatte sich schnell den Respekt der Fans erarbeitet und zahlte das Vertrauen mit 18 Torbeteiligungen in seiner ersten Saison zurück. Auch menschlich kam er mit Schaaf zurecht: "Er ist ein super Trainer mit viel Erfahrung. Er weiß, wie man mit Spielern umzugehen hat."
Variabilität als Verhängnis
Fast zwei Jahre später ist aus dem Torjäger ein Bankdrücker geworden. Trainer Niko Kovac greift je nach Gegner und taktischer Ausrichtung auf einen bestimmten Typ Angreifer zurück. Für den Allrounder Seferovic bleibt meist nur die Joker-Rolle. In zehn Einsätzen spielte er in der Saison 2016/17 sechs Mal auf dem Flügel und vier Mal im Zentrum.
Kovac stellte die Mannschaft zuletzt immer wieder in einer 5-4-1-Formation auf. Dabei bildeten Meier in der Spitze sowie Mijat Gacinovic und Marco Fabian auf den Außen eine Offensivachse, die sich bewährte.
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Ob im Dribbling, mit Geschwindigkeit oder Körpereinsatz, Seferovic vereint die Eigenschaften seiner Sturmkonkurrenten. Nur ist er nicht so ganz schnell wie Gacinovic oder Fabian, nicht ganz so dribbelstark wie Hrgota und physich etwas schwächer als Alex Meier. Seferovic wird die Variabilität zum Verhängnis.
Abstieg unter Armin Veh
Sein persönlicher Abstieg begann nach dem überraschenden Abschied von Schaaf. In den ersten vier Spielen nach dem Trainerwechsel war er noch an fünf Toren beteiligt, doch gegen Schalke 04 zog er sich einen Muskelfaserriss zu. Seferovic musste zwei Wochen aussetzen. Nichts Schlimmes. Eigentlich.
Die kleine Verletzung am Muskel mutierte zu einem offenen Bruch in der Psyche des Stürmers. Bei seinen restlichen 23 Saisoneinsätzen schoss er nur ein Tor und bereitete zwei weitere vor. Die Gründe für diese Flaute kann er selbst nicht benennen: "Es war ein Scheißjahr."
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Zu dem trug Seferovic selbst entscheidend bei. Beim 3:2-Sieg gegen den VfL Wolfsburg war sein Arbeitstag nach 45 Minuten beendet. Veh wechselte ihn aus. Ungewohnt für Seferovic, der prompt überreagierte. Statt sich für die zweite Hälfte zu seinen Mitspielern auf die Bank zu setzen, ging er auf die Tribüne. Ein Fehler.
Seferovic verspielt Respekt bei Trainer und Fans
"Ich stelle mich immer schützend vor meine Spieler, aber wenn einer den Ego raushängen lässt, und zwar nicht zum ersten Mal, reicht es mir", sagte Veh: "Er wird in den Medien immer als Wahnsinnskämpfer und -torjäger dargestellt. Aber was hat er schon gemacht? Drei Tore geschossen, davon war einer ein Elfmeter."
Den Kredit, durch seine gelebte Identifikation mit dem Adler auf der Brust und seiner fannahen Art aufgebaut, verspielte Seferovic binnen kurzer Zeit. Seine Bockigkeit nach verlorenen Zweikämpfen und vergebene Großchancen ließen ihn spüren, warum die SGE auch als Diva vom Main bekannt ist.
Im Netz wurde gnadenlos auf ihn eingeschlagen. Auf seiner Facebook-Seite hagelte es hasserfüllte Kommentare. Er war den Launen der Diva hoffnungslos ausgesetzt. So wusste er sich nicht anders zu helfen, als seinen Auftritt im sozialen Netzwerk zu beenden.
"Ich mach' das nicht mit Absicht, nicht zu treffen. Schon traurig, dass ich das überhaupt erwähnen muss. Aber es gibt sehr viele Internet-Pimmelberger, die hinter ihrem Profil versteckt meinen, mich und meine Familie beleidigen zu müssen", lautete einer seiner letzten Posts.
Trainerwechsel als neue Chance
Armins Veh Abschied im März 2016 war Seferovics Rettung. Niko Kovac übernahm die Eintracht. Statt ihn auf der Bank schmoren zu lassen, gab er Seferovic immer wieder Einsatzzeit.
"Er ist ein Spieler, der polarisiert. Aber er ist auch ein Spieler, mit dem ich in den Krieg ziehe. Er ist ein Krieger, der immer mal wieder komisch ausschaut auf dem Platz, wenn er mal wieder abwinkt", lobte Kovac. "Ich bin der Meinung, man sollte mit dem Jungen nicht hart ins Gericht gehen."
Das Vertrauen zahlte Seferovic mit dem entscheidenden Tor in der Relegation gegen den 1. FC Nürnberg zurück. Ausgerechnet der schon abgeschriebene Sturkopf bewahrte die Eintracht vor der Zweitklassigkeit.
Kampf statt Flucht
Dennoch galt sein Abschied als sicher. Am Frankfurter Stadtwald hoffte man darauf, dass Seferovic eine gute Europameisterschaft mit der Schweiz spielen würde, um eine ordentliche Ablösesumme zu generieren. Es kursierten Gerüchte über Interessenten aus Spanien und Italien.
Statt zu flüchten, nahm der Schweizer den Kampf an und widersetzte sich angeblichen Angeboten. Er fühle sich wohl, wiederholte er gebetsmühlenartig.
Sein Vertrag läuft im kommenden Sommer aus. Zuletzt wurde über einen Wechsel zu Benfica spekuliert. Sportdirektor Fredi Bobic machte aber klar, dass an all dem nichts dran sei und man vorhabe, mit dem Stürmer zu verlängern. Wohl, weil er jede Position in der Offensive besetzen kann.
Ob es dann für einen Stammplatz reicht, steht auf einem anderen Blatt.
Haris Seferovic im Steckbrief