Es gab am Sonntagnachmittag in der Veltins-Arena einige Szenen, die zeigten, wie schmal der Grat zwischen Überheblichkeit und Disziplin im Schalker Spiel doch ist. Selbst die zweite Hälfte - und da war das 0:1 bereits auf diese Art gefallen - offenbarte Situationen, in denen teilweise vier oder fünf Darmstädter auf die dann doch nominell sehr mickrig wirkende Schalker Dreierkette zurannten.
Das Mittelfeld machte wenig Anstalten, noch eingreifen zu wollen. Man konnte manchem Offensivspieler buchstäblich anmerken, wie er dachte: Es ist nur Darmstadt, das wird die Abwehr schon richten.
Letztlich blieb es beim einen Gegentor. Bei dem Sirigu ebenfalls laufen gelassen wurde, bei dem man einfach auf den Fehler des Gegners spekulierte und die Lücken nicht schnell genug zurannte. Die Lilien machten keinen Fehler, sondern spielten die Situation gut aus. Pass, Schlenker, Schuss ... Guten Morgen, Schalker Überheblichkeit!
Entwöhnung vom Misserfolg
"Vor dem Spiel haben viele gedacht, dass wir Darmstadt nach unserer Serie einfach so weghauen", führte Manager Christian Heidel nach dem Schlusspfiff an. Es ist sein Unterton, der ihn verrät: Lustig fand Heidel das ganz und gar nicht.
Doch die Mannschaft zeigte, dass sie mittlerweile auch anders kann. Sead Kolasinac ging beispielhaft voran, danach wirkten die Knappen fokussierter, zielstrebiger, entfesselter. "Schalke war bislang nicht dafür bekannt, Rückstände zu drehen", erinnerte Heidel. Entsprechend sei es ein Spiel gewesen, "das unserer Entwicklung gut tut."
Seit dem 2. März beim 3:2-Sieg gegen den HSV war es tatsächlich das erste Mal, dass Schalke zurücklag und dann noch siegte. Ein Erfolg der Moral.
Entwöhnung vom Misserfolg
Noch besser stellt die aktuelle Situation aber eine andere Statistik dar: Das letzte Pflichtspiel, in dem Schalke vor dem Darmstadt-Spiel in Rückstand war, lag schon zwei Monate zurück: am 25. September beim 1:2 in Hoffenheim. So sehr hat sich der königsblaue Klub schon vom Misserfolg des Saisonbeginns entwöhnt.
Nach fünf Niederlagen zum Auftakt ist Markus Weinzierls Team derzeit seit zwölf Pflichtspielen ungeschlagen, zuletzt holte man 17 Punkte aus sieben Bundesliga-Partien. Und so kommt es, dass am Samstag (18.30 Uhr im LIVETICKER) im Topspiel die beiden besten Mannschaften der letzten Wochen aufeinandertreffen: Denn nur Leipzig (21) holte im gleichen Zeitraum mehr Zähler als Schalke.
Noch nicht gefestigt, aber mental stark
Es wäre nach wie vor zu früh, von einer gefestigten Schalker Mannschaft zu sprechen. Dazu ist Weinzierls 3-1-4-2-System einigen Spielern immer noch zu fremd, wenngleich sich das radikale Umkrempeln der Grundordnung als durchaus gewinnbringend herausstellte.
Jedoch sah die Raumaufteilung gerade in der Rückwärtsbewegung in den letzten Wochen noch nicht immer souverän aus. Auch der Verantwortliche für die Spieleröffnung ist noch nicht zu einhundert Prozent gefunden. Die Zuständigkeit für den Pass in die Tiefe wechselt zwischen den Verteidigern auf den Halbpositionen und dem sich fallenlassenden Sechser - selbst wenn Geis spielt, der prädestiniert dafür sein sollte.
Was man aber sagen kann, ist dass die Mannschaft zueinander findet - in erster Linie mental, in kleinen Schritten auch spielerisch. "Es macht sehr viel Spaß. Wir fighten füreinander auf dem Platz und gewinnen die Spiele auch verdient", befand Eric Maxim Choupo-Moting: "Wir haben Qualität, das wissen wir. Heute haben wir definitiv Moral bewiesen. Das ist unser Charakter und bezeichnend für diese Saison."
Gladbach-Spiel als Befreiung
Eine Saison, in der die vielen Neuzugänge zunächst nicht harmonierten. Viele zweifelten nach dem schwächsten Ligastart aller Zeiten an der Kompetenz des Trainers und an der Qualität der Transfers.
"Sicherlich war das Spiel gegen Mönchengladbach eine Art Befreiung. Da haben wir erstmalig gemerkt, dass die Automatismen greifen. Das hat Selbstbewusstsein gegeben und die Mannschaft hat immer besser verstanden, was Markus möchte", erklärt Heidel den Aufschwung: "Das Ergebnis ist, dass wir in relativ kurzer Zeit von Platz 18 bis auf Platz acht gegangen sind."
Heidels Mainzer Selbstverständnis tut gut
Es ist aber nicht nur das Verständnis der Spieler für Weinzierls Ideen. Vor allem hat Heidel selbst großen Anteil an der Wende. Der Manager grätschte in der Anfangsphase häufig dazwischen und nahm die Mannschaft erst intern, dann öffentlich in die Pflicht. "Es gibt sicher Spieler in unseren Reihen, die sich stärker einschätzen, als sie sind. Das sind alles gute Jungs, aber wir müssen die Mentalität verändern", lauteten seine Worte noch Anfang September.
Was daraus entstanden ist, zeigten die jüngsten Auftritte. Ein Bundesliga-Spiel gegen einen Abstiegskandidaten wird ebenso ernst genommen wie eine Partie auf internationaler Bühne. Und droht die Mannschaft diesen Fokus zu verlieren, wie es kurzzeitig am Sonntag der Fall war, wird Heidel da sein.
Heidels Mainzer Selbstverständnis tut Schalke gut. Demut und Einsatz waren beim FSV seine Ideale, das sind sie auch in Gelsenkirchen geblieben. Er hat seine Spieler, aber in großen Teilen auch das Umfeld, zuletzt erfolgreich geerdet.
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