"Weshalb bleibt dieses Gerücht in der Welt?"

Jochen Tittmar
15. November 201608:58
Frank Baumann ist seit Sommer 2016 Geschäftsführer Sport bei Werder Bremengetty
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Frank Baumann spielte zehn Jahre für Werder Bremen und wurde 2009 zum siebten Ehrenspielführer des SVW ernannt. Seit Sommer 2016 fungiert der 41-Jährige als Geschäftsführer Sport. Im Interview spricht Baumann über Werders plötzliches Angebot, die Entlassung von Viktor Skripnik und die Gerüchte um Serge Gnabrys Zukunft.

SPOX: Herr Baumann, Sie sind gebürtiger Franke, haben acht Jahre beim 1. FC Nürnberg gespielt und Ihre Heimat mit 23 in Richtung Bremen verlassen - als erster Spieler, den Thomas Schaaf in seiner langen Amtszeit als Trainer zu Werder Bremen holte. Wie fremd hat sich die neue Umgebung damals angefühlt?

Frank Baumann: Eigentlich kaum, das hat mich zunächst auch überrascht. Wenn man Teil einer Fußballmannschaft ist, ist unabhängig vom Verein vieles ähnlich - sowohl die einzelnen Typen, als auch die Gesprächsthemen. Dazu sind die beiden Städte gewissermaßen vergleichbar. Ich habe mich hier dann auch wirklich schnell eingelebt. Vielleicht lag es daran, dass ich zwei, drei Jahre zuvor schon einmal einen Tag in Bremen verbracht hatte, da Werder schon damals an mir interessiert war. Dieser erste Kontakt hat sicher auch dazu beigetragen, dass ich dann einige andere lukrative Angebote ablehnte und mich für Werder entschied.

SPOX: Seit 1999 sind Sie nun dort. Hätten Sie gedacht, dass Sie an der Weser derart heimisch werden können?

Baumann: Im Fußball ist das schwer vorherzusehen. Ich bin aber grundsätzlich eine treue Seele und in jeglicher Beziehung kein Wandervogel.

SPOX: Mit dem Pokalsieg 2009 beendeten Sie zehn Jahre später Ihre aktive Karriere, um nur ein halbes Jahr danach als Assistent des damaligen Geschäftsführungsvorsitzenden Klaus Allofs in den Management-Bereich hinein zu schnuppern. Wie kam es dazu?

Baumann: In meinem letzten Vertrag gab es die Option, eine Auszeit zu nehmen und im Anschluss im Verein bleiben zu können. Klaus Allofs wollte eigentlich, dass ich sofort bei ihm anfange. Wir haben uns aber darauf geeinigt, dass ich erst einmal eine siebenmonatige Pause einlege. Da hatte ich das erste Mal wirklich Zeit, den Kopf richtig frei zu bekommen und meine Spielerkarriere zu reflektieren. Zum Jahresbeginn 2010 bin ich dann wieder eingestiegen.

SPOX: Sie sind letztlich fünfeinhalb Jahre geblieben, wurden Ende 2011 Leiter der Scouting-Abteilung und im November 2012 zum Direktor Profifußball und Scouting befördert. Anfangs hatten Sie offenbar nicht daran gedacht, so lange zu bleiben.

Baumann: Ich empfand es gar nicht als besonders lange. Ich hatte das Glück, dass immer wieder neue Aufgabengebiete hinzukamen. So wurde es nie langweilig, die Arbeit war breit gefächert. Im Hinterkopf schlummerte aber immer wieder der Gedanke, auch einmal im Trainerbereich Erfahrungen zu sammeln. Ich habe mich dann nach dieser intensiven Aufgabe für eine weitere Auszeit entschieden, da mir damals die angesprochenen sieben Monate sehr gut getan hatten.

SPOX: Gab es einen bestimmten Zeitpunkt, an dem Ihnen klar wurde, dass Sie wieder eine Pause einlegen möchten?

Baumann: Der Entschluss ist mit der Zeit gereift. Ich habe die Auszeit intern auch frühzeitig angekündigt, so dass man sich genügend Gedanken über eine Nachfolgeregelung machen konnte. Ich hätte theoretisch auch weiterarbeiten können. Für mich war damit aber der erste Abschnitt nach meiner Karriere vorüber und ich wollte sehen, welche Bereiche mich noch interessieren könnten. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Sie sind dann in Ihr Leben als Privater sehr offen gegangen und sagten, dass alles oder nichts passieren könne. Wie haben Sie letztlich dieses eine Jahr verbracht, bevor Sie Ihren aktuellen Posten antraten?

Baumann: Wir haben in der Ferienzeit erst einmal wieder einen langen Familienurlaub gemacht. So kam schnell der nötige Abstand zum Fußball zustande. Danach habe ich mich Stück für Stück im Alltag eingerichtet und mir Gedanken gemacht, wie ich diese Zeit genau verbringen möchte. Ich habe viel gelesen und mich in verschiedenen Bereichen weitergebildet, unter anderem habe ich meine Trainer-A-Lizenz gemacht und bei einigen Klubs hospitiert. Es waren bis zum Schluss tatsächlich mehrere Optionen für mich denkbar, auch wenn ich nach rund einem halben Jahr festgestellt habe, auf jeden Fall im Fußball bleiben zu wollen.

SPOX: Stimmt es, dass Sie während dieser Zeit sogar eine Weile lang an der Seitenlinie standen?

Baumann: Ja, ich war Co-Trainer im Jugendfußball. Das hat mir auch viel Spaß gemacht.

SPOX: Wieso haben Sie das dann nicht weiterverfolgt?

Baumann: Das war eine ernsthafte Option, doch dann kam sehr plötzlich das Angebot von Werder. Nach einem Tag Bedenkzeit habe ich mich dann dafür entschieden, doch wieder zurück in den Managementbereich zu gehen.

SPOX: Was wäre gewesen, wenn es dieses Angebot nicht gegeben hätte? SPOX

Baumann: Es gab einige andere Anfragen. Auch bei Werder gab es ein, zwei weitere Optionen, um dort in einer anderen Funktion tätig zu sein. Das hätte sich dann wohl im Mai oder Juni entschieden.

SPOX: Letztlich sind Sie nun in einer Funktion zurückgekommen, die um ein Vielfaches mehr an Arbeit und Verantwortung mit sich bringt.

Baumann: Man musste mich nicht dazu überreden. Ich habe mich intuitiv für Werder entschieden, da spielte schon auch das Bauchgefühl eine Rolle. Zuvor gab es einen Austausch mit Familie und anderen Nahestehenden. Da war das Feedback gemischt, da bin ich ehrlich. Mein ehemaliger Berater hat mir beispielsweise davon abgeraten. Nicht, weil er es mir nicht zutraute, sondern da er weiß, was alles dahinter steckt und man auch ein Stück weit Lebensqualität aufgibt. Ich habe dennoch gegen seinen Rat entschieden, was auch schon zu Spielerzeiten häufiger vorgekommen ist. Er ist ja auch Berater und nicht Entscheider. (lacht)

SPOX: Wenn wir vor einem Jahr gesprochen hätten und ich wäre mit der Prognose auf Sie zugekommen, dass Sie bald Ihre aktuelle Aufgabe bekleiden würden, wie hätten Sie dann reagiert?

Baumann: Das wäre zu diesem Zeitpunkt utopisch gewesen. Ich habe es in den Vorjahren ja immer mal wieder betont: Ich habe die erste Reihe nie aktiv angestrebt, habe mich immer etwas im Hintergrund aufgehalten und dort sehr wohl gefühlt. Den Gedanken an einen Posten wie ich ihn aktuell bekleide hatte ich damals nicht in meinem Kopf.

SPOX: Wie fühlt sich die erste Reihe als eines der neuen Werder-Gesichter an?

Baumann: Ich wusste ja, was auf mich zukommt und habe schon als Spieler oder später als Funktionär gut beobachten können was es heißt, Trainer oder Manager zu sein. Es gehört dazu, nun regelmäßiger in der Öffentlichkeit aufzutauchen. Damit habe ich kein Problem. Ich sehe das relativ unaufgeregt, da sich die Mechanismen des Geschäfts sowohl bei Erfolg, als auch bei Misserfolg ja nie verändert haben.

SPOX: Das gilt auch für den hektischen Fußballalltag. Für Spieler wie Verantwortliche bleibt es enorm schwer, Erfolge zu genießen, da sich das Rad pausenlos weiterdreht. Man ist quasi nie fertig in dem Job. Können Sie in Ihrer Freizeit vernünftig abschalten?

Baumann: Zunächst einmal ist es richtig, dass man als Spieler permanent in diesem Hamsterrad gefangen ist, sich nie zurücklehnen kann und sich immer neu beweisen muss. Das war in den fünfeinhalb Jahren danach ähnlich, der Arbeitsaufwand war trotz des geringeren Fokus' hoch. Ich hatte mit dieser Problematik und der Suche nach Ausgleich auch zu kämpfen. Jetzt waren die ersten Monate extrem intensiv: Die Zeit der Vorbereitung auf den Job war kurz, anschließend hatte ich sofort zahlreiche Spielertransfers zu stemmen und dann ging die Saison los. In den letzten vier Wochen gelang es mir besser, einen ausgewogenen Rhythmus zu finden und nicht 24 Stunden am Tag an den Job zu denken.

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SPOX: Seit Ihrem Amtsantritt haben Sie schon einiges angeschoben, mussten aber auch schon den Trainer beurlauben. Haben Sie sich im Nachhinein über die Aussage am 1. Spieltag nach der Niederlage in München geärgert, Skripnik könne auch die nächsten sieben, acht Spiele verlieren, ohne seinen Job los zu sein?

Baumann: Ich bereue diese Aussage nicht. Es wird immer die Intention sein und auch bleiben, allen Mitarbeitern komplette Rückendeckung zu geben und dies auch in der Öffentlichkeit zu dokumentieren. Ich war damals der festen Überzeugung, dass wir noch lange mit Viktor zusammenarbeiten werden. Man muss Situationen aber auch immer neu bewerten, so dass wir letztlich Wochen später zum Entschluss gekommen sind, uns von ihm zu trennen. Das war definitiv keine leichte, aber aus damaliger und heutiger Sicht die richtige Entscheidung.

SPOX: Ihr größter Coup war sicherlich die Verpflichtung von Serge Gnabry. Trotz zahlreicher Dementis halten sich die Spekulationen, wonach sich der FC Bayern bei diesem Transfer ein Vorgriffsrecht auf Gnabry gesichert habe. Was ist denn jetzt wirklich Sache?

Baumann: Man müsste eher die Frage stellen, weshalb dieses Gerücht in der Welt bleibt? Es tauchte ja am Vortag der Verpflichtung auf, wurde dann von uns mehrfach dementiert und wird dennoch bis heute diskutiert. Das ist schade, denn wir haben uns klar positioniert. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, weshalb das immer wieder auftaucht.

SPOX: Gehen wir zumindest mal davon aus, dass Gnabry nicht bis ans Ende seiner Karriere bei Werder bleiben wird. Wie aber sieht die Vision des Vereins für die Zukunft aus, um weiter konkurrenzfähig und ambitioniert zu bleiben?

Baumann: Stabilität ist der zentrale Punkt solcher Überlegungen. In den letzten schwierigen Jahren ging es bei uns mal länger und mal kürzer immer gegen den Abstieg. Wir müssen künftig sportlich stabiler als Mannschaft werden, um Ergebnisse zu erzielen, die uns einen gesicherten Tabellenplatz garantieren. Natürlich ist damit auch die finanzielle Stabilität eng verknüpft, die nach den Jahren in der Champions League nicht mehr in vollem Umfang gegeben war. Wir brauchen eine klare Philosophie, wofür wir wirklich stehen wollen. Der Begriff "Werder-Weg" wurde für meine Begriffe von außen etwas überstrapaziert, uns geht es einfach darum, unsere vorhandenen Vorstellungen in die einzelnen Bereiche zu übertragen. Wir müssen in jedem Bereich ein klares Ziel leidenschaftlich verfolgen, um langfristig wieder erfolgreicher zu werden.

SPOX: Bremen ist nicht der strukturstärkste Standort in Deutschland. Die finanzielle Spirale dreht sich im Fußball immer weiter, die Kluft zwischen oben und unten wird größer. Wie groß ist Ihrer Ansicht nach die Notwendigkeit eines potenten Investors?

Baumann: Es gibt Überlegungen und Ideen in diese Richtung, die vor allem von meinen Geschäftsführerkollegen und dem e.V. als Anteilseigentümer angestellt werden. Vereine wie Mainz oder Gladbach haben es jedoch geschafft, mit guter und harter Arbeit erfolgreich zu sein. Es geht also auch ohne Investor, das ist kein Allheilmittel. Man sollte nicht denken, man müsse nur zehn oder 15 Prozent der Anteile verkaufen und wird dann auf Anhieb erfolgreich sein.

SPOX: Was würde denn passieren, wenn ein interessierter Investor plötzlich vor der Tür stünde?

Baumann: Wir würden uns konkret damit auseinandersetzen und genau überlegen, was wir wirklich an Anteilen, Macht und Zugeständnissen abgeben möchten. Wir sind nicht in der Not, Anteile zu verkaufen. Daher würde das nur sehr gezielt und nach reiflicher Überlegung geschehen. Unser Wunsch-Investor hätte viel Geld, nimmt wenig Einfluss und vertritt Werte, mit denen wir uns auch identifizieren.

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