Am 12. Spieltag ist Derbytime im Norden. Die Hinrunde neigt sich langsam aber sicher dem Ende und zwei Bundesliga Urgesteine stehen mit dem Rücken zur Wand. Der HSV wittert Morgenluft und empfängt am Samstag (15.30 Uhr im LIVETICKER) den SV Werder Bremen, der mit vier Niederlagen am Stück im Gepäck anreist. SPOX beleuchtet das Duell der beiden krisengeschüttelten Nordclubs.
G'schichtn vom Nordderby
Schalke - Dortmund, Braunschweig - Hannover, Köln - Gladbach. Das Nordderby zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen reiht sich nahtlos in die traditionsreichen deutschen Duelle ein. Und wie bei jedem Derby gab es auch hier einige Kuriositäten, Skandale und deftige Klatschen. Die Highlights der Nordderby-Geschichte.
1971: Die Trikot-Schmach von Hamburg
Im November 1971 trat Werder beim HSV an. Zur Halbzeit mussten die Bremer Spieler ihre Trikots wechseln, weil sich die Kleidung der Teams zu sehr ähnelte. Werder hatte aber keine anderen Trikots dabei und musste die zweite Halbzeit in den Ersatztrikots der Hamburger bestreiten. Eine größere Demütigung im Derby kann es nicht geben. Zu allem Überfluss gingen die Werderaner auch noch als Verlierer vom Platz. Der HSV siegte mit 2:1.
1982: Der Tod von Adrian Maleika
Es war die Zeit der Hooligan-Szene in Deutschland. Junge Bremer Fans liefen vor dem Angriff gewaltbereiter Hamburg Anhänger davon. Steine flogen, Gaspistolen und Raketen gehörten zur Tagesordnung. Einer dieser Steine tötete den erst 16-Jährigen Bremen-Fan Adrian Maleika. Später stellte sich heraus, dass am Überfall Mitglieder der rechten Skinheadszene beteiligt waren. Zwei von ihnen wurden verurteilt. Adrian Maleika half das freilich nichts mehr. Beide Vereine und Fangruppen bemühten sich um Deeskalation. Der "Friedensgipfel von Scheeßel" war die Folge. Beide Seiten erklärten, keine Racheaktionen folgen zu lassen und die Klubs riefen Fanprojekte ins Leben.
2008: Kampfsport-Wiese gegen Olic
Mittlerweile ist Tim Wiese als "The Machine" im Wrestling Zirkus unterwegs. Dass er auch als Keeper schon zum Kampfsport neigte, zeigte sich 2008. Nach einem Befreiungsschlag der Hamburger kam Wiese aus seinem Tor. Sein gestrecktes Bein traf aber nicht den Ball, sondern den heranstürmenden Ivica Olic am Kopf. Unverständlicherweise kam Wiese mit einer gelben Karte davon. Genauso unverständlich war seine anschließende Reaktion: "Ich treffe zuerst den Ball und er läuft dann in mich rein". In Hamburg ist Wiese seitdem verhasst.
2009: Vier Derbys in 19 Tagen
"Das werden Schlachten", so äußerte sich Hamburgs Marcell Jansen vor dem Derby-Dauerbetrieb. Und wie so manche Schlacht sollte auch die intensivste Nordderby-Periode in die Geschichte eingehen. Los ging es mit dem DFB-Pokal Halbfinale, das alleine schon eine Geschichte für sich ist. 1:1 stand es nach der regulären Spielzeit und auch die Verlängerung brachte keine Entscheidung. Im Elfmeterschießen hielt ausgerechnet Wiese drei Elfmeter und Werder zog ins Endspiel ein.
Eine Woche später folgte das Halbfinal Hinspiel im UEFA-Cup und ganz Hamburg brannte auf die Revanche. Nach einem intensiven Spiel, inklusive Spielunterbrechung wegen Bengalos, gelang dies auch. Der HSV gewann mit 1:0 in Bremen. Bis zum Rückspiel gab es im Norden Fußballdeutschlands nur dieses eine Thema. Die Fans im Volksparkstadion peitschten ihre Mannschaft mit einer riesigen Choreographie nach vorne und sahen tatsächlich bereits in der 12. Minute das 1:0. Der Finaleinzug winkte, doch nach einer halben Stunde erzielte Bremens Diego das 1:1 und nur wenig später brachte Pizarro Bremen in Führung. Ja der Pizarro, der auch heute noch für Bremen spielt.
Was dann folgte, ist Geschichte. In der 78. Minute wollte Michael Gravgaard zu Keeper Frank Rost zurück passen, der Ball sprang jedoch wegen einer auf den Platz geworfenen Papierkugel in die Luft und von Gravgaards Schienbein ins Toraus. Ecke für Werder. Tor für Werder. Die Vorentscheidung. Die Hamburger konnten zwar durch Olic noch mal verkürzen, aber am Endergebnis änderte das nichts mehr. Der HSV war in kürzester Zeit zwei Mal gegen den Erzrivalen ausgeschieden.
Das folgende Bundesliga-Derby interessierte in Hamburg niemanden mehr. Eine demoralisierte Mannschaft verlor mit 2:0 in Bremen. Die Papierkugel dagegen liegt bis heute im Werder-Museum.
Der HSV im Aufwind?
Drei Punkte nach elf Spielen, die schlechteste Offensive und die zweitschlechteste Defensive der Liga. Schon fünf Punkte Rückstand auf das rettende Ufer und ein früher Trainerwechsel, der zu verpuffen schien. Wie kommt es also, dass man sich beim HSV doch gefühlt im Aufwind befindet? Am stabilen und besonnenen Umfeld um Dietmar Beiersdorfer und Investor Klaus-Michael Kühne liegt es sicher nicht.
Der Saisonstart mit einem Punkt aus den ersten fünf Spielen liest sich auf dem Papier katastrophal. Allerdings waren die Hanseaten gegen Ingolstadt dem Sieg näher und auch gegen Freiburg, Leverkusen und Bayern zeigten sie eine, zumindest kämpferisch, starke Leistung. Nur gegen RB Leipzig setzte es eine 0:4 Klatsche. Die sind aber mittlerweile Tabellenführer und haben auch den BVB geschlagen. Nichtsdestotrotz musste Relegationsheld Bruno Labbadia bereits nach fünf Spielen seinen Hut nehmen und wurde durch Markus Gisdol ersetzt.
Auch in den fünf folgenden Spielen unter Gisdol ermauerten die Hamburger lediglich einen Punkt bei Borussia Mönchengladbach, bei nur zwei geschossenen Toren, die im bereits entschiedenen Spiel gegen Dortmund erzielt wurden. Doch der neue Coach wusste die Länderspielpause zu nutzen. Er nahm einige personelle Änderungen vor und macht mit Gotoku Sakai einen loyalen Kämpfer zum Kapitän, der bedingungslos hinter ihm steht und auf das Derby brennt: "Das ist unglaublich wichtig! Wir wollen diese drei Punkte holen, gegen Werder muss unbedingt ein Sieg her."
Die Folge? Nicht wie so oft beim HSV weitere Unruhe und Nebenkriegsschauplätze, sondern ein füreinander kämpfendes Team, das mit einem vorangehenden Kapitän ein verdientes Unentschieden bei starken Hoffenheimern holte und sogar von einem Rückstand zurück kam. Das sorgte dafür, dass der HSV und seine Fans trotz der prekären Lage zumindest leicht positiv in die Zukunft schauen kann.
Markus Gisdol indes hat weitere Maßnahmen ergriffen. Vor dem Derby soll ein Kurz-Trainingslager helfen, die Mannschaft weiter auf den Samstag einschwören. "Wir haben schon vor ein paar Tagen entschieden, dass es gut wäre, die Mannschaft ein paar Tage noch enger zusammen zu haben", erklärt der Coach. Der Samstag wird zeigen, ob auch diese Maßnahme fruchtet.
Die Personalsituation beim HSV
Markus Gisdol hat es geschafft, aus einer völlig demoralisierten Hamburger Mannschaft, die vor der Länderspielpause mit 2:5 gegen den BVB unterging, ein Team zu formen, das in Hoffenheim nach einem Rückstand zurück kam und einen Punkt erkämpfte.
Vor dem Spiel war Gisdol zu einigen personellen Änderungen gezwungen. So ersetzte Christian Mathenia den bis zur Winterpause ausfallenden Rene Adler. Mathenia bot eine solide Leistung und bewies schon in der vergangenen Saison in Darmstadt, dass im Abstiegskampf auf ihn Verlass ist.
Im Mittelfeld rutschte Matthias Ostrzolek neben Sakai auf die Doppelsechs. So standen beim HSV mit Ostrzolek, Diekmeier, Douglas Santos und Neu-Kapitän Sakai vier Außenverteidiger in der Startelf. Davor machte Rückkehrer Lewis Holtby eines seiner besten Spiele im HSV-Trikot.
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Gisdol wurde auch durch Verletzungen zu den Umstellungen und damit ein wenig zu seinem Glück gezwungen, denn dies sorgte für Defensive Stabilität, sowie die Lauf-und Zweikampfstärke, die den Hamburgern in den Spielen zuvor abging. Alle genannten liefen um die elf Kilometer, Holtby mit 12,5 Kilometern sogar die meisten auf dem Platz.
spoxDie Hamburger machten somit das Zentrum dicht, das zwang Hoffenheim über die Flügel anzugreifen. Da der starke Dennis Diekmeier die beste Zweikampfquote auf dem Feld hatte, attackierte die TSG meist die Seite von Douglas Santos. Folgerichtig entstanden beinahe alle gefährlichen Situationen durch Angriffe über die rechte Hoffenheimer Offensivseite. Hier wird sich der Brasilianer am Wochenende wohl dem formstarken Serge Gnabry gegenüber sehen.
Weil die TSG sehr offensiv über die Außenpositionen agierten, boten sich dem HSV im Umkehrspiel Räume, die von den schnellen Außenspielern Nicolai Müller und Filip Kostic häufig genutzt wurden. Beide deuteten nicht nur durch ihre Tore an, warum sie für viel Geld geholt wurden, sie hatten auch die meisten erfolgreichen Dribblings auf dem Platz und kreierten immer wieder gefährliche Situationen.
Die Maßnahmen Gisdols scheinen Früchte zu tragen. Sakai ging als neuer Kapitän voran und war ein Faktor dafür, dass der HSV nach dem Rückstand nicht aufsteckte, sondern sich zurück ins Spiel kämpfte. Auch menschlich scheint es im Team zu stimmen. Ex-Kapitän Djourou spielte gut und feierte die Tore demonstrativ zusammen mit seinem Nachfolger. Die Voraussetzungen für einen Derbysieg, der weitere Aufbruchsstimmung erzeugen würde, sind gegeben.
Werder Bremen im freien Fall
"Das Festhalten an Viktor Skripnik war im Nachhinein ein Fehler", sagte Frank Baumann auf seiner ersten Jahreshauptversammlung als Geschäftsführer von Werder Bremen. Zudem übernahm er "die Verantwortung für den schlechten Saisonstart", stellte aber positive Resultate in naher Zukunft in Aussicht.
Statt wie von Baumann angekündigt auch Trainer zu bleiben, falls Bremen "die ersten acht Spiele nicht gewinnen" würde, musste der bereits vor der Saison umstrittene Skripnik schon nach drei Spieltagen mit null Punkten und unterirdischen 2:12 Toren seinen Platz räumen. Der Streit um die Personalie Skripnik hatte vor der Saison dafür gesorgt, dass der bisherige Geschäftsführer Thomas Eichin den Verein verließ. Von einer ruhigen Vorbereitung auf die neuen Saison konnte also keine Rede sein. Der schlechte Start in die Liga war, begünstigt durch die langen Verletzungen von Claudio Pizarro und Max Kruse, die logische Konsequenz.
Skripnik wurde durch Alexander Nouri ersetzt und anders als beim HSV, zeigt die Mannschaft sofort ein anderes Gesicht. Nach der mehr als unglücklichen Niederlage gegen Mainz 05 holten die Bremer gegen Wolfsburg den ersten Dreier und schienen auf dem richtigen Weg zu sein. Ein Unentschieden gegen Darmstadt und ein Sieg gegen Champions-League-Teilnehmer Leverkusen folgten.
Seitdem stehen allerdings vier Niederlagen in Folge zu Buche, die die alten Bremer Schwächen offenbarten. Man kann einfach nicht zu Null spielen und stellt die schlechteste Abwehr der Liga.
Frank Baumann schöpft seine Hoffnung auf eine bessere Zukunft vor allem aus der Rückkehr der Verletzten. Auch die gefeierte Verpflichtung von Top-Talent Serge Gnabry scheint ein Schritt in die richtige Richtung zu sein. Nouri muss nun zeigen, dass er das in ihn gesetzte Vertrauen rechtfertigen kann, wenn er alle Spieler zur Verfügung hat.
Mit Blick auf das anstehende Duell beim HSV meint Baumann: "Da haben wir eine wunderbare Chance, unsere Lage zu verbessern."
Die Personalsituation bei Werder Bremen
Auch bei Werder Bremen blickte man zuversichtlich auf das erste Bundesligaspiel nach der Länderspielpause, standen doch mit Claudio Pizarro und Max Kruse beide Top-Stürmer nach ihren Verletzungen wieder zur Verfügung. Zusammen mit Serge Gnabry bildet das Trio eine Offensivreihe, die so ganz und gar nicht zu einem Abstiegskandidaten passt.
Ob es klug war, die beiden Rückkehrer direkt zusammen in der Startelf aufstellen, steht auf einem anderen Blatt. Gerade dem 38-jährigen Peruaner merkte man die fehlende Fitness deutlich an. Durch seinen Ballverlust in der 90. Minute hatte auch Max Kruse trotz engagierter Leistung großen Anteil an der späten Niederlage gegen Eintracht Frankfurt.
Mut machen dürfte die Rückkehr des langzeitverletzten Philipp Bargfrede. Für ihn reichte es nach über zehn Monaten Pause gegen Frankfurt zwar nur für 20 Minuten, im Derby könnte er womöglich schon eine Alternative für die Startelf sein. "Wir wollen uns jetzt gut vorbereiten und den HSV dann wegputzen. Wir müssen einfach gewinnen - fertig", gibt sich Bargfrede selbstbewusst.
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Der defensive Mittelfeldspieler könnte für die dringend benötigte Balance zwischen Offensive und Defensive sorgen. Er will "eine gewisse Stabilität" reinbringen und dafür sorgen, "dass wir weniger Gegentore bekommen", kündigte er an. Im Tor steht Jaroslav Drobny nach seinem Handbruch vor dem Comeback und könnte gegen seinen Ex-Verein den häufig zu Unsicherheiten neigenden Felix Wiedwald ersetzen. Festgelegt hat sich Nouri allerdings noch nicht.
Probleme könnten auf den Coach in Sachen System zukommen. Gegen Frankfurt wich er von der traditionellen Werder-Raute ab und stellte auf ein klassisches 4-4-2 um, in dem Kruse und Pizarro die Sturmpositionen bekleideten. Mit Zlatko Junuzovic und Serge Gnabry stehen aber nicht die klassischen Außenspieler zur Verfügung. Beide fühlen sich im Zentrum wohler.
Gelingt es Werder die vielen Gegentore zu verhindern, ohne dass die Offensive leidet, könnte das gewaltige Offensivpotenzial dafür sorgen, dass die erhofften positiven Resultate eingefahren werden. Das Nordderby ist sicherlich der perfekte Zeitpunkt um den Negativlauf zu beenden und eine Trendwende zu starten.