"Viele legen mir die Aufgabe als Risiko aus"

Benedikt Treuer
14. November 201613:35
Valerien Ismael folgte in Wolfsburg als Cheftrainer auf Dieter Heckinggetty
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Valerien Ismael folgte interimsweise als Trainer des VfL Wolfsburg auf Dieter Hecking, ehe er zum Cheftrainer ernannt wurde. Im Interview spricht der Wölfe-Coach über das Risiko seiner Aufgabe, den vorgefundenen Scherbenhaufen und Julian Draxlers Wechselabsichten. Außerdem kann er die öffentliche Kritik am VfL nachvollziehen.

SPOX: Herr Ismael, kam Ihnen die Länderspielpause gelegen oder wären Sie nach dem 3:0-Sieg in Freiburg gerne im Rhythmus geblieben?

Valerien Ismael: Natürlich wären wir alle gerne im Rhythmus geblieben. Die Pause gibt uns aber die Möglichkeit, nach sehr turbulenten Wochen wieder zur Ruhe zu kommen. Das ist in so einer Phase auch mal wichtig - für die Spieler, für mich, für den ganzen Verein.

SPOX: Wie groß war für Sie denn die Umstellung, wieder im Profi-Bereich zu arbeiten?

Ismael: Rein sportlich gar nicht so groß. Ich kenne den Verein und die Abläufe, tägliche Trainingsarbeit ist auch nichts Neues. Insgesamt bin ich trotz der Unvorhersehbarkeit der Aufgabe gut reingekommen.

SPOX: Und außersportlich?

Ismael: Der Druck ist ein ganz anderer. Ich trage nun eine deutlich größere Verantwortung für den Verein. Dessen ist man sich sofort bewusst, wenn man plötzlich in der Bundesliga arbeitet.

SPOX: Waren Sie überhaupt schon bereit, diesen großen Schritt zu gehen oder hätte der ruhig noch etwas auf sich warten lassen können?

Ismael: Es ist nicht so, als hätte ich mich monatelang auf diese Aufgabe vorbereitet. Das ging jetzt alles sehr schnell. Es ist aber nicht das erste Mal, dass ich als Trainer in den Profi-Bereich rücke.

SPOX: Haben Sie Ihre Lehren aus der damaligen Zeit beim 1. FC Nürnberg gezogen?

Ismael: Damals ist vieles zusammengekommen. Der Verein befand sich in einem Umbruch, der Zeit braucht. Aber die hat man im Fussball nicht. Aber es war eine wichtige Erfahrung für mich, von der ich sicherlich auch jetzt profitieren kann.

SPOX: Empfinden Sie den Trainerposten also auch als Risiko, sollte sich nicht der gewünschte Erfolg einstellen?

Ismael: Es gibt in der Öffentlichkeit sicher viele, die mir diese Aufgabe als Risiko auslegen, und wenige, die sie als Chance begreifen. Ich sehe es vor allem aber auch als Möglichkeit, mit dem gesamten Team wieder Schritte nach vorne zu machen. Nach den ersten Wochen habe ich das Gefühl, dass wir bereits einige Dinge angestoßen haben, um die Mannschaft wieder in die richtige Richtung zu lenken.

SPOX: Sie haben gesagt, als Sie die Mannschaft übernahmen, brauchte das Team erst einmal viel Vertrauen und Lösungen.

Ismael: Die Mannschaft war sehr verunsichert, was der Situation geschuldet war. Wenn der Erfolg ausbleibt, nagt das am Selbstvertrauen - selbst bei Spielern, die über große internationale Erfahrung verfügen. Wir haben in den letzten Wochen viele Einzelgespräche geführt und versucht, den Spielern das Vertrauen in die eigene Leistung zurückzugeben.

SPOX: Fehlte in den vergangenen Monaten also ein klares Konzept?

Ismael: So drastisch würde ich das nicht formulieren. Es gab zu Beginn der Saison auch Spiele, die richtig gut waren. Der erste Sieg in Augsburg zum Beispiel. Oder das Spiel in Hoffenheim: Das hätte der VfL gemäß dem Spielverlauf eigentlich gewinnen müssen. Hätte man da drei Punkte geholt, wäre man heute vielleicht in einer ganz anderen Situation. Der Fußball ist abhängig von einzelnen Momenten. Mal geht es in die eine Richtung, mal in die andere. Da braucht es manchmal auch das Quäntchen Glück.

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SPOX: Von außen war aber nicht immer eine Spielphilosophie zu erkennen. Sehen Sie das anders?

Ismael: Ich möchte mich lieber auf das konzentrieren, was wir jetzt machen. Wer die erste Stunde gegen Leverkusen oder das Spiel in Freiburg gesehen hat, weiß, was von mir verlangt wird. Wir wollen aggressiv und aktiv sein, aber immer aus der Kompaktheit heraus. Das Spielerische kommt automatisch wieder, wenn die Ergebnisse stimmen und sich die Mannschaft wieder mehr zutraut. Momentan geht es aber nur darum, dass wir die Punkte einfahren.

SPOX: Wird Ihre Spielidee beim VfL eigentlich durchgängig von den Profis bis hin zu den Jugendmannschaften gelehrt?

Ismael: Beim VfL Wolfsburg gibt es ein Leitbild, wie wir auftreten möchten. Das gilt vor allem für den Bereich der Profis bis hin zur U17. Darin ist unsere Philosophie verankert. Dennoch haben die einzelnen Trainer bei der Art ihrer Umsetzung ein Stück weit freie Hand. Der Austausch zwischen den Mannschaften ist beim VfL immer sehr gut.

SPOX: Neben den millionenschweren Transfers geht diese Nachwuchsarbeit öffentlich ein bisschen unter.

Ismael: Was ich nicht verstehen kann, denn in den letzten Jahren haben es beim VfL auch einige Jugendspieler in den Profikader geschafft. Maxi Arnold, Robin Knoche und auch Paul Seguin sind die besten Beispiele. Mit Justin Möbius und Hendrik Hansen haben die nächsten beiden Talente schon bewiesen, dass sie bereit sind. Ich hatte als Trainer der U23 immer viel Kontakt zu Dieter Hecking und so wird es jetzt auch weiterhin sein, denn der Nachwuchs ist ein wesentlicher Aspekt unseres Vereins.

SPOX: Ihr Vorteil ist, dass Sie die Spieler der U23 bestens kennen.

Ismael: Die jungen Spieler kennen meine Philosophie. Sie wissen genau, wie sie sich taktisch zu verhalten haben. Das macht es für mich einfacher, einen Jugendspieler in die erste Mannschaft zu integrieren.

SPOX: In der aktuellen Situation ist aber vor allem Erfahrung gefragt. Sie haben Diego Benaglio als Kapitän wieder ins Tor zurückberufen.

Ismael: Zusammen mit meinem Trainerteam musste ich mir in kurzer Zeit ein Bild von der Mannschaft machen und ich hatte das Gefühl, dass es schnell wieder eine klare Hierarchie mit einem Orientierungspunkt auf dem Platz brauchte. Deswegen haben wir entschieden, in unserer Situation auf Spieler zu setzen, die nicht nur einen sportlichen, sondern vor allem auch einen psychologischen Mehrwert für das Team haben. Als Kapitän leitet Diego auch den Rest der Mannschaft auf dem Feld an. Es war keine Entscheidung gegen Koen Casteels, sondern eine Entscheidung für die Mannschaft.

SPOX: Hat so ein Führungsspieler zuletzt gefehlt?

Ismael: Das war zumindest mein Bauchgefühl, als ich so entschieden habe. Wenn man so eine Säule im Team hat, an der sich die Anderen orientieren können, gibt das auf jeden Fall Sicherheit.

SPOX: Koen Casteels zeigte sich sehr enttäuscht von der Entscheidung. Haben Sie damit neue Spannungen im Team geschaffen - vielleicht auch bewusst?

Ismael: Ich verstehe seine Enttäuschung vollkommen. Dass er nicht glücklich ist, wenn er nicht spielt, ist normal. Jeder muss gewillt sein, sich einen Platz in der Startelf zu erarbeiten. Es geht aber nicht um Einzelschicksale, sondern um die Mannschaft und den Verein. Wir müssen gemeinsam aus der Situation herauskommen und individuelle Interessen derzeit hinten anstellen.

SPOX: Sie haben es als "unschön" bezeichnet, dass im Sommer öffentlich Wechselabsichten bekundet wurden. Das dürfe es in Zukunft nicht mehr geben... SPOXspox

Ismael: So etwas bringt immer Unruhe in einen Verein. Grundsätzlich gilt: Wenn man sich auf eine Aufgabe konzentriert, sollte man mit dem Herzen dabei sein. Da sind wir in Zukunft als Verantwortliche auch gefragt, herauszufinden, ob ein Spieler den Weg dauerhaft mit uns gehen will.

SPOX: Vor allem Julian Draxler hatte mit seinem "Ich-will-weg-Interview" für Aufsehen gesorgt. Wie erleben Sie ihn seither in der Mannschaft?

Ismael: Seitdem ich bei den Profis bin, war Julian leider immer angeschlagen. Er hatte noch gar nicht die Chance, bei 100 Prozent zu sein. Er kann ein sehr entscheidender Spieler sein. Solange er immer wieder kleinere Blessuren mit sich herumschleppt, wird es für ihn schwer, seine Topleistung abzurufen.

SPOX: Haben Sie das Gefühl, ihn im kommenden Sommer doch halten zu können oder ist unter dem Thema längst ein Strich drunter?

Ismael: Ich denke nur an das Jetzt mit der gesamten Mannschaft und noch nicht an die Verträge im kommenden Jahr. Wir werden in den nächsten Wochen sehen, wer bereit ist, unsere Philosophie zu verinnerlichen und den Weg mit uns zu gehen. Dann können wir entscheiden.

SPOX: Keine zwei Jahre ist es her, da war der VfL so etwas wie der neue BVB - Bayern-Jäger Nummer eins. Was ist aus diesen Zielen geworden?

Ismael: Grundsätzlich sollte man seine Ziele nicht aus den Augen verlieren, egal, wie schwer die Situation ist. Wichtig für uns ist aber erst einmal, dass wir uns wieder stabilisieren. Mit dem Sieg in Freiburg haben wir einen Schritt nach vorne gemacht. Darauf müssen wir aufbauen, um wieder in die Spur zu kommen. Solange wir keine Serie gestartet haben, verbietet es sich, über Platzierungen und höhere Ziele zu sprechen.

SPOX: Der VfL hat durch die jüngsten Entwicklungen einen Knacks erlitten. Wie nehmen Sie das aktuelle Bild des Vereins in der Öffentlichkeit wahr?

Ismael: Dass man uns derzeit auch mal kritischer beäugt, kommt nicht von ungefähr. Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Dennoch ist es auch die Chance, einen neuen Anlauf zu starten und das zu korrigieren. Wir müssen uns sportlich neu erfinden. Das braucht aber auch Zeit.

Valerien Ismael im Steckbrief