Wen interessiert schon Alter?

Julian Nagelsmann übernahm die TSG 1899 Hoffenheim von Huub Stevens
© getty

Julian Nagelsmann hat aus der TSG 1899 Hoffenheim eine interessante und erfolgreiche Mannschaft geformt. Anpassungsfähigkeit ist ihm genauso wichtig wie immer gültige Prinzipien.

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Inzwischen dürfte jeder mitbekommen haben, dass Julian Nagelsmann der jüngste Trainer der Bundesligahistorie ist. Hätten wir das also frühzeitig abgehakt und können uns dem wirklich wichtigen Teil widmen. Die TSG 1899 Hoffenheim hat er aus dem Abstiegskampf unter die besten Mannschaft der Liga geführt und ist ganz nebenbei nach 13 Spieltagen noch immer ungeschlagen.

Es steht das Duell mit Eintracht Frankfurt bevor. Einem Team, das eine ähnliche Vorgeschichte mitbringt, sich dann aber doch in einigen Punkten unterscheidet. Zeit also, einen Blick darauf zu werfen, was der junge Mann in wenigen Monaten aus der verunsicherten Elf von Huub Stevens gemacht hat.

Als großer Taktiker wurde er begrüßt und das ist er auch. Gleichwohl er doch sagt, dass 70 Prozent seiner Arbeit auf Menschenführung zurückgehen, überrascht Nagelsmann doch Gegner wie Unterstützer immer wieder mit neuen Ideen, Anpassungen und kleinen Eingriffen.

Taktiker und Stratege

Bei all dem wird eines gerne übersehen: Nagelsmann ist nicht nur Taktiker, sondern auch Stratege. Oder mit seinen eigenen Worten: "Wichtig ist, dass meine Spieler die Prinzipien, die wir haben, am Wochenende gut auf den Rasen bekommen." All die Ideen, Anpassungen und kleinen Eingriffe sind nichts anderes als Mittel, um die eigenen Prinzipien umsetzen zu können.

Bleibt die Frage, welche das sind. Taktische Flexibilität schreiben wir uns mal ganz oben auf den Bogen und gehen tiefer. Der 29-Jährige betont immer wieder gerne, dass seine Mannschaft einen ruhigen, aber zielgerichteten Ballbesitz auf den Platz bringen konnte. Zirkulieren, locken, öffnen, spielen - wenn man so will.

Verschiedene Szenen dieser Saison beweisen vor allem, dass Hoffenheim gerne flach aufbaut und dann versucht, über vorstoßende Innenverteidiger einen diagonalen Ball auf einen der Stürmer zu spielen. Dafür bewegen sich die Achter im System entgegengesetzt diagonal und öffnen damit Passwege.

Training fordert immer neu

Durch schnelles Nachrücken der unterstützenden Mitspieler wird der Ball dann in höheren Zonen gesichert und der Durchbruch versucht. Soweit die Strategie. Die Taktik ist dafür da, diese Situationen zu ermöglichen. Der Gegner spielt mit zwei pressenden Stürmern? Nagelsmann stellt drei Mann in die erste Aufbaulinie.

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Das wird auch im Training bewusst eingebaut. Spielformen stellen genau diese Verhaltensweise unter Beobachtung. In einem Feld wird der Ball laufen gelassen, bei passender Chance darf ein Team Richtung wartende Stürmer spielen und zur Attacke nachrücken.

Verschiedene Situationen erfordern für den Trainer verschiedene Lösungen. Automatismen ist so ein Wort, bei dem es ihm eiskalt den Rücken herunterlaufen muss, deshalb wird unter stets veränderten Bedingungen gespielt, gespielt und gespielt. Etwa in einem Feld mit Form eines Diamanten.

Das Zentrum geht vor

Womit wir beim nächsten Punkt auf unserer Liste wären. Nagelsmann setzt stets auf ein gut bestücktes Zentrum, sei es defensiv oder offensiv. Das wird mit der Diamantform provoziert, müssen die Spieler im Training doch den Weg durchs Zentrum suchen und können nicht den einfacheren Weg über die Flügel nehmen.

Gegen den Ball wird dieses verdichtet und der Gegner auf die Flügel gezwungen. Das funktioniert mit aktivem Verhalten gegen den Ball, dessen Höhe aber stets anpassbar ist. Es wird angelaufen und das von innen nach außen, die Fragen nach Wer und Wo sind allerdings wieder eine Frage des Gegners.

Im Spiel gegen den Ball vertraut Nagelsmann zudem vermehrt auf Mannorientierung. Schlüsselspieler werden von eigenen Leuten verfolgt, das kann überall auf dem Feld geschehen und ist ein typisches Stilmittel der diesjährigen TSG. Wieder ein Punkt auf der Liste.

Akribie in jeder Sekunde

Obendrein kommt eine ausgemachte Stärke bei Standards und hohe individuelle Qualität auf einzelnen Positionen, fertig ist das Hoffenheim 2016/17. Zugegeben, so einfach ist es dann auch nicht, steckt doch viel Arbeit und ein Auge fürs Detail hinter dem anhaltenden Erfolg. Hört man Nagelsmann zu, benutzt dieser gerne das Wort "Tick." Hier ein Tick mehr, dort ein Tick weniger. Ein Indiz für seine Akribie in der Trainingsarbeit, ohne die auf höchstem Niveau keine derartigen Erfolge möglich sind.

Das Leistungsprinzip betont der Trainer immer wieder und damit sind wir wieder bei seiner Einschätzung der 70 Prozent Menschenführung. Der TSG-Kader ist groß und vielseitig, dazu kommen die nach oben drängenden Nachwuchsspieler. Ohne genaue Moderation und hohe Empathie würde im Team schnell Unruhe ausbrechen. Gleichwohl hat die Mannschaft noch ihre Schwächen, die letztlich sicher auch auf hohe Ansprüche Nagelmanns zurückzuführen sind.

16 Fouls pro 90 Minuten werden derzeit nur von Hamburg, Wolfsburg und Ingolstadt überboten. Es sind nur kleine Vergehen, doch machen sie klar, dass Hoffenheim eben nicht immer perfekt steht. Individuelle Patzer oder kleine Mängel im Gegenpressing müssen ausgebessert werden. Das Problem: Fouls brechen Pressing und Zugriff. Die Bayern machen es mit neun Stück pro Partie vor, dass eine hohe Abwehrkette auch eine sehr gute Ausbildung der wenigen Defensivspieler erfordert.

Meister der Unentschieden

Gleichwohl ist Hoffenheim angreifbar, wenn der Gegner die Brechstange auspackt. Das Team ist schwach in der Luft und kann so überrumpelt werden. Ebenso zeigten sich zuletzt Schwächen, wenn der Gegner mannorientiert agiert. Da Nagelsmann ein Zwei-Kontakt-Spiel in Sicherheit bedürfenden Zonen sehen will, tun sich vor allem die eigenen Mittelfeldspieler schwer, werden sie direkt mit Ballannahme unter Druck gesetzt.

Der Hamburger SV unter Markus Gisdol etwa konnte mit dieser Methode einen Punkt einsammeln. Gladbach spielt bekanntlich mit einer ähnlichen Herangehensweise, wieder Remis. Dies und die eingangs erwähnte Angreifbarkeit im defensiven Umschalten kosteten schon einige Punkte im Verlauf der Saison. Sieben Unentschieden bei sechs Siegen sind somit sowohl Zeichen der enormen Anpassungsfähigkeit der Mannschaft, die schon zahlreiche Rückstand aufholte, gleichwohl aber auch Zeichen für einige Schwächen.

So oder so wird sich in Sinsheim niemand beschweren. Der Abstiegskampf ist weit entfernt, Hoffenheim spielt attraktiv, schnell und offensiv mit jungen Spielern und holte zuletzt auch immer wieder Talente in die erste Mannschaft. Der jüngste Trainer der Bundesliga ist eben auch einer der Besten. Das Lob der Kollegen kennt oft kaum eine Grenze. So schließen wir mit Christian Streich, der Nagelsmann einst fragte: "Was machst du eigentlich mit 45?"

Die TSG 1899 Hoffenheim im Überblick

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