"Plötzlich kamen Sitzschalen geflogen"

Jochen Rabe
23. März 201713:56
Markus Pröll hatte immer wieder mit Verletzungen zu kämpfengetty
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Markus Pröll galt in seiner Zeit bei Eintracht Frankfurt als einer der besten deutschen Torhüter, mittlerweile arbeitet er als Taschendesigner und Spielerberater. Im Interview spricht der 37-Jährige über Qualitäten als Elfmeterkiller, seine verletzungsgeprägte Karriere und die Erfahrung in Griechenland.

SPOX: Herr Pröll, Sie designen mit Ihrer Firma DvsB Sports Luxus-Kulturtaschen für Profisportler. Wie ist diese Idee entstanden?

Markus Pröll: Ein Freund von mir hatte die Idee, auf dicken Stoff oder Lederstücke Reifenburnouts zu machen, also den Reifen durchdrehen zu lassen und aus dem wegfliegenden Stück hochwertige Handtaschen, Weekender, Laptoptaschen oder Rucksäcke zu fertigen. Somit hat jede Tasche eine einzigartige Signatur und ist optimal für motorsportaffine Leute. Diese Taschen sah ich bei ihm im Kofferraum und war von der Qualität begeistert. Ich brauchte eine Kulturtasche, er hatte aber keine. Also habe ich eine Tasche entworfen, wie ich sie als Profi gerne gehabt hätte.

SPOX: Worauf haben Sie wertgelegt?

Pröll: Im Prinzip auf alle Details. Da gehört ein Autogrammkartenfach dazu, sie sollte dicht und gut auswaschbar sein, ein gutes Handling haben und nicht zu vergessen: absolut hochwertig sein. Ich habe von Anfang an gesagt, wir sparen an nichts, an keinem Reißverschluss, an keinem Metall und vor allen Dingen nicht an der Herstellung. Unsere Taschen werden als Einzelstücke in Deutschland auf höchstem Standard in Handarbeit produziert.

SPOX: Der Preis ist entsprechend stattlich.

Pröll: Ich bin keinem böse, der sagt, ihm ist das zu teuer. Ich kann aber nicht teuer produzieren und billig verkaufen. Der Zweck wird von einer anderen Tasche genauso erfüllt. Eine Swatch zeigt die gleiche Uhrzeit an wie eine Rolex. Ein Fiat bringt Dich genauso weit wie ein Ferrari. Dennoch ist es nicht dasselbe. Wichtig ist bei uns die Individualität, damit heben wir uns von anderen Designer-Produkten ab. Bei uns ist alles möglich. Wenn jemand gerne auf der einen Seite den Strampler seines Sohnes hätte, verarbeiten wir den auch.

SPOX: Ihre Vermarktung ist gezielt auf Profisportler ausgerichtet. Könnte sich aber grundsätzlich jeder eine Tasche bestellen?

Pröll: Auf jeden Fall. Wir wissen auch, dass wir ein Nischenprodukt haben, das nicht jedermanns Budget entspricht. Nur weil es ein Autogrammkartenfach gibt, schließt das nicht aus, dass sich nicht auch beispielsweise ein viel reisender Geschäftsmann eine Tasche personalisieren kann. Die Grundidee zielt zwar auf erfolgreiche Sportler ab, aber warum sollte sich nicht auch jemand anders etwas Einzigartiges leisten?

SPOX-Redakteur Jochen Rabe traf Markus Pröll in Köln zum Interviewspox

SPOX: Sind Sie mit der Entwicklung des Business zufrieden?

Pröll: Wir arbeiten stetig daran, dass es mehr Bestellungen werden. In vielen Topmannschaften sind wir schon ordentlich vertreten. Aber die Hoffnung, dass aus jeder Mannschaft drei, vier Leute sagen, sie hätten gerne ihr Hochzeitsdatum und den Handabdruck ihrer Tochter auf der Tasche, ist noch nicht eingetreten. Wir haben nichts neu erfunden und sind noch nicht so lange auf dem Markt, dass es ein Selbstläufer ist. Wichtig ist, dass gemessen an Individualität, Material und Verarbeitung keine Tasche das Niveau unserer erreicht. Es wächst langsam.

SPOX: Ihre Karriere nahm seinerzeit alles andere als langsam Fahrt auf. Im Gegenteil: Sie sind erst in der C-Jugend ins Tor gekommen, hatten aber zwei Jahre später bereits ein Angebot des 1. FC Köln vorliegen. Wie kam es dazu?

Pröll: Das stimmt. Es ist eigentlich verrückt. Heutzutage wären da die anderen Jungs schon so weit, dass Du keine Chance mehr hättest. Ich war lange noch Stürmer und bin durch einen Zufall im Tor gelandet, war aber so talentiert, dass ich bald in einer Kreisauswahl gespielt habe. Da wurde der FC auf mich aufmerksam und hat mich zum Probetraining eingeladen. Sie wollten mich auch haben, aber es hat nicht geklappt.

SPOX: Warum?

Pröll: Sie konnten mich nicht abholen. Mein Vater hatte als Schlosser nicht die Zeit, um mich zum Training zu fahren. Also musste ich absagen. Es war kurios, denn wenn ein Verein wie Köln anruft, kommst Du notfalls mit dem Fahrrad.

SPOX: Wie ging es weiter?

Pröll: Sie haben mich ein Jahr später noch einmal kontaktiert und dann ergab sich die Möglichkeit, mit zwei Jungs aus der A-Jugend mitzufahren. Deswegen hat es diesmal zum Glück geklappt.

SPOX: Können Sie sich noch an Ihr erstes Profispiel für den FC erinnern?

Pröll: Ja, das war eine lustige Geschichte.

SPOX: Erzählen Sie.

Pröll: Ich wusste bis Mittwoch nichts von meinem Einsatz. Bernd Schuster hat generell weniger gesprochen. Für einen jungen Spieler wie mich war es nicht leicht, weil ich nie wusste, woran ich bin. Es lief damals nicht gut beim FC, die beiden Torhüter spielten mit mäßigem Erfolg. Irgendwann kamen morgens in der Schule die Jungs zu mir und haben mich beglückwünscht. Die wussten vor mir, dass ich spielen werde, weil es sich in den Zeitungen anbahnte. Dann habe ich mir erst einmal selbst freigenommen, habe mir alle Zeitungen gekauft und riesige Augen bekommen. (lacht)

SPOX: Wie haben Sie es offiziell erfahren?

Pröll: Walter Junghans sagte am Mittwochnachmittag zu mir, ich möchte bitte mal zum Coach gehen. Der fragte mich, ob ich mir das zutraue. Ich war überrascht und aufgeregt, aber natürlich habe ich ja gesagt. Es war riskant, auf mich zu setzen. Er hätte sich auch einen neuen Torwart holen können. Stattdessen hat er mir bis zum Ende der Saison das Vertrauen geschenkt. Das war sehr mutig von ihm und dafür bin ich ihm dankbar. Gerade in diesem Alter Verantwortung für so einen großen Verein zu übernehmen, ist nicht einfach. Aber ich habe mich aufs Wesentliche konzentriert und an meinen Schwächen gearbeitet.

SPOX: Welches waren denn im Rückblick Ihre Schwächen?

Pröll: Ich war sehr ungeduldig. Das war eine große Schwäche, die mich aber auf der anderen Seite auch ausgemacht hat.

SPOX: Wie hat sich das geäußert?

Pröll: Mir ging es zum Beispiel nicht schnell genug, den schwachen Fuß zu trainieren. Wenn der Torwarttrainer mich korrigiert hat, war ich sofort unzufrieden mit mir selbst. Ich war zu perfektionistisch. Außerdem war ich immer ungeduldig, wenn ich verletzt war. Dabei wäre es manchmal sinnvoller gewesen, drei Tage länger zu pausieren, statt wieder zu früh anzufangen. Ich habe meinen Körper behandelt wie eine Maschine. Mein Hang zum Besessenen hat mich auf Dauer ausgesaugt.

SPOX: Sie haben einige schwerwiegende Verletzungen erlitten. Rippenbruch, Schultereckgelenkssprengung, Syndesmosebandriss...

Pröll: Da habe ich leider von allem ein bisschen was mitgenommen, egal welche Körperpartie. Genau da war meine Besessenheit ein Fluch. Viele Dinge sind im Training passiert, weil ich immer Vollgas gegeben habe.

SPOX: Dieser bedingungslose Einsatz hat Sie aber auch ausgezeichnet. Welches waren darüber hinaus Ihre Stärken?

Pröll: Ich war dynamisch, sehr schnell auf den Beinen, mutig, hatte eine hohe Konzentrationsfähigkeit und eine niedrige Fehlerquote. Ich hatte sehr lange Phasen, in denen ich kein fettes Ding gebracht habe.

SPOX: Sie galten eine Zeitlang als größter Elfmeterkiller Deutschlands. Was macht die Stärke eines Torhüters bei Elfmetern aus?

Markus Pröll galt in seiner Zeit bei Eintracht Frankfurt als einer der besten Keeper der BundesligagettyPröll: Ich kann das Geheimnis jetzt ja lüften. (lacht) Mein Bruder hat mir Elfmeter zusammengeschnitten und archiviert. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Schütze eine Lieblingsecke hat. Das habe ich analysiert. Ein Beispiel: Wir haben 2001 mit dem FC gegen den HSV gespielt. Jörg Butt hatte etwa 20 Elfmeter davor verwandelt. Ich wusste schon in der Trainingswoche, dass ich einen Plan brauche, falls Butt schießt. Er war ein Schütze, der geguckt hat, was der Torwart macht. Normalerweise machst Du eine Täuschung in die eine Ecke und gehst dann in die andere. Also habe ich eine Ecke angetäuscht und bin auch in die Ecke gesprungen. So habe ich ihn gehalten. Du kannst der Mannschaft mit einem gehaltenen Elfmeter einen wichtigen Impuls geben. Mit meiner Technik, mich auf jeden Schützen individuell vorzubereiten, hatte ich eine ganz gute Quote.

SPOX: In der Hinrunde der Saison 2006/2007 hat Sie der kicker als besten Torhüter geführt.

Pröll: In diesem halben Jahr lief es mit der Eintracht richtig erfolgreich. Wir haben selbst die schwachen Spiele häufig nicht verloren. Es gab Bälle, bei denen ich dachte: 'Alter, wie hast Du den gehalten?' Aber immer wenn es bei mir bergauf ging, habe ich mich verletzt. Das steht als großes Manko über meiner Karriere.

SPOX: So ist es Ihnen auch in der angesprochenen Saison passiert, als Sie einen Rippenbruch erlitten, der zunächst nicht entdeckt wurde.

Pröll: Das war die schwierigste Zeit meiner Karriere.

SPOX: Was war los?

Pröll: Der Bruch war kein glatter, sondern die Rippe war haarförmig durchbaut und die Teile standen zueinander. Das war, als wenn man einen Bleistift bricht und wieder zusammensetzt. Ich habe alle Untersuchungen gemacht, die man machen kann, von Röntgen über CT über MRT - alles Mögliche. Weil die Rippe auf den Bildern ganz war, hat man das nicht erkannt.

SPOX: Aber Sie hatten trotzdem Schmerzen.

Pröll: Es war unerträglich. Wenn ich mit der Handfläche außen gedrückt habe, ist hinten an der Wirbelsäule eine Art Schmerzballon aufgegangen. Ich habe mein Schmerzbild erklärt, aber man hat nichts gesehen. Jedenfalls war es so, dass ich immer zwei Wochen pausiert habe. Dann bin ich wieder ins Training eingestiegen, nach einem Ball gesprungen, habe keine Luft mehr bekommen und hatte das Gefühl, dass mir jemand ein Messer in die Brust rammt. Also habe ich wieder pausiert. Jemand hat mir gesagt, meine Wirbelsäule sei nicht gerade. Jemand anderes hat vermutet, es sei ein Tumor.

SPOX: Wie sehr hat diese Ungewissheit an Ihnen genagt?

Pröll: Ich habe angefangen, an mir zu zweifeln. Wenn ich nachts über die Stelle gerollt bin, saß ich senkrecht im Bett, weil ich dachte, ich rolle über ein Messer. Ich bin hart im Nehmen, aber mit diesem Schmerz konnte ich nicht umgehen. Schließlich bekam ich den Tipp, eine Szintigrafie zu machen.

SPOX: Was ist das?

Pröll: Es wird ein Mittel gespritzt, das sich überall dort im Körper festsetzt, wo Heilungsprozesse ablaufen. Danach kreist ein Automat um Dich herum, der die entsprechenden Areale anzeigt.

SPOX: Und dabei ist die gebrochene Rippe aufgefallen?

Pröll: Der Arzt sagte, meine zehnte Rippe sei nicht in Ordnung. Er hat sie genauer untersucht und den Bruch festgestellt.

SPOX: Wird man durch so eine Erfahrung demütiger?

Pröll: Ich blicke sowieso mit viel Demut zurück. Ich hätte gerne länger gespielt, aber ich bin in keiner Weise undankbar. Der liebe Gott hat mir die Kraft gegeben, ganz oben zu spielen. Ich sitze heute hier und sage ganz ehrlich: Für höher hätte es nicht gereicht. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Selbst ohne die vielen Verletzungen?

Pröll: Wenn mein Charakter ein anderer gewesen und ich nicht so besessen gewesen wäre, hätte ich vielleicht gar nicht so hoch gespielt. Mir war völlig egal, ob da ein Stollen kommt, ich habe mich überall reingeschmissen. Das hat mich dahin gebracht. Wenn ich in der einen oder anderen Situation etwas vorsichtiger gewesen wäre, hätte ich vielleicht mal ans Tor zur A-Nationalmannschaft geklopft. Ich hatte gute Phasen, in denen ich mich über eine Einladung gefreut hätte, aber ich bin hochzufrieden damit, wie alles gelaufen ist.

SPOX: Ihre sportlich erfolgreichste Zeit hatten Sie bei Eintracht Frankfurt. Mit den Fans dort verband Sie ein besonderes Verhältnis. Bei Ihrem Abschied wurden Sie frenetisch gefeiert.

Pröll: Das war sehr emotional. Sie wussten, dass ich immer Vollgas gegeben und mich für die Eintracht zerrissen habe. In diesem Moment habe ich es genossen, dass das von den Fans auch zurückkam. So eine Verbindung gibt es nicht oft.

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SPOX: Zum Abschluss Ihrer Karriere sind Sie noch einmal kurz nach Griechenland gewechselt. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Pröll: Das war insofern eine wichtige Erfahrung, dass man die Bedingungen in Deutschland wieder neu zu schätzen gelernt hat. Organisation, Pünktlichkeit in Gehaltszahlungen, Strukturen, Fans - es war ein ganz anderes Leben dort. Vor allem musstest Du mit sehr viel Gewalt in den Stadien klarkommen.

SPOX: Was haben Sie diesbezüglich erlebt?

Pröll: Während des Spiels gab es Situationen, in denen es fünf Minuten dauerte, bis ein Eckball gespielt werden konnte. Plötzlich kamen Sitzschalen geflogen, dann Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper. Wenn man in Deutschland mitbekommt, weswegen im Stadion Durchsagen gemacht werden, denkt man sich: 'Fahr mal zwei Wochen nach Griechenland, dann siehst Du das ganz anders.' Ich hätte noch ein Jahr in Griechenland bleiben können, aber ich war an dem Punkt, dass es mir die körperlichen Strapazen nicht mehr wert war. Ich habe jahrelang Raubbau an meinem Körper betrieben und es war Zeit für einen Schlussstrich.

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SPOX: Bereits seit 2009 haben Sie Fußballmanagement studiert. Haben Sie während dieser Zeit bereits an Ihr Karriereende gedacht, obwohl Sie erst Ende 20 waren?

Pröll: Mir war immer wichtig, nicht nur als Fußballer abgestempelt zu werden. In mir schlummerte mehr. Ich hatte zuvor ein Fernstudium an der Uni Hagen begonnen, für das ich allerdings nie die nötigen Kapazitäten hatte. Mir fällt nichts in den Schoß. Wenn ich etwas lerne, ist das für mich Arbeit und ich knie mich voll rein. Das war nicht mit dem Fußball zu vereinbaren. Also habe ich Ausschau gehalten, wie ich mich anderweitig weiterbilden kann. Darauf habe ich am IST-Institut in Düsseldorf den Fußballmanager gemacht und sehr ordentlich abgeschlossen.

SPOX: Nach Ihrer Karriere haben Sie sich die Spielerberaterlizenz geholt und Ihre Firma gegründet.

Pröll: Genau. Aber diese Lizenz ist mittlerweile ja gekickt worden. Jetzt kann das jeder machen. Das macht den Markt nicht unbedingt einfacher. Die Beraterbranche steht nicht unbedingt im besten Licht. Aber es muss auch Berater geben, die es seriös machen.