"Er ist ein großartiger Trainer und dem Verein, bei dem er irgendwann wieder anfangen wird, muss man leider gratulieren."
Max Eberl muss es wissen. Der Sportdirektor hat mit Lucien Favre bei Borussia Mönchengladbach einiges durchgemacht. Er kennt den Schweizer mit all seinen Stärken und all seinen Schwächen.
Die Aussage Eberls aus dem Januar 2016 ist ein Ritterschlag für den jahrelangen Gladbacher Erfolgstrainer. Nicht wenige Verantwortliche hätten diesem nämlich die Art und Weise nachgetragen, wie die gemeinsame Zusammenarbeit endete. Mit einem Rücktritt, dem der Verein eigentlich nicht zugestimmt, sondern sein Veto eingelegt und den der Trainer dennoch ohne Rücksicht durchgesetzt hatte.
Doch Eberl wusste genau, was er Favre zu verdanken hatte und lobte diesen wenige Monate nach dem überraschenden Rücktritt noch immer in höchsten Tönen.
Bald könnten Eberl und Favre in der Bundesliga wieder aufeinander treffen. Dann allerdings als Kontrahenten.
Lucien Favre gilt als Wunschtrainer bei Borussia Dortmund
Der Schweizer galt bereits seit Wochen als Wunschkandidat auf den Trainerposten bei Borussia Dortmund. Noch lange bevor die Trennung des Vereins von Thomas Tuchel offiziell war.
Am Dienstag machte der BVB das Ende der Ära Tuchel nach zwei erfolgreichen Jahren schließlich amtlich. Noch im gleichen Atemzug häuften sich verschiedene Meldungen, die sich teils widersprachen. Französischen Medien zufolge habe Dortmund kaum Chancen. Währenddessen vermeldete der kicker eine weitgehende Einigung mit Favre über die Nachfolge. Lediglich die Verhandlungen mit dessen aktuellem Arbeitgeber OGC Nizza stünden demnach noch bevor.
"Weil Favres Vertrag dort noch bis 2019 läuft, kommt Dortmund nicht umhin, für ihn eine Ablöse zu zahlen. Die Rede ist von bis zu fünf Millionen Euro", berichtete das Fachmagazin.
Fünf Millionen Euro sind in Zeiten von Spielertransfers im deutlich zweistelligen Bereich keine Unsumme, erst recht nicht für die sportlich wohl wichtigste Position in einem Fußballverein. Wenn der absolute Wunschkandidat für dieses Geld zu haben ist, wäre eine Ablöse von fünf Millionen Euro geradezu ein Schnäppchen.
Ist Favre der Richtige?
Stellt sich nur die Frage: Ist Lucien Favre der absolute Wunschkandidat für den Trainerposten beim BVB? Und wenn ja, auch zu Recht?
Aus sportlicher Sicht passt der Schweizer ins Anforderungsprofil des BVB. Seine Trainer-Vita liest sich beeindruckend. In der Schweiz arbeitete er sich von erfolgreichen Stationen als Jugendtrainer über den Pokalsieg mit Genf bis hin zu einem Pokalsieg und zwei Meisterschaften beim FC Zürich, den Titel als Schweizer Trainer des Jahres gab es zweimal obendrauf.
Anschließend wies er auch in der Bundesliga seine Fähigkeiten nach. Zuerst führte er die graue Maus Hertha BSC auf Rang vier, später rettete er Borussia Mönchengladbach vor dem eigentlich sicheren Abstieg und entwickelte ein Spitzenteam - mit der Krönung der Champions-League-Teilnahme.
Und als er zur vergangenen Saison schließlich den OGC Nizza übernahm, führte er diesen auf Rang drei in der französischen Ligue 1.
Doch nicht nur die nackten Zahlen sind es, die Favre ins Beuteschema des BVB befördern.
Pressing, Gegenpressing, Umschaltspiel, Tempo
Vor allem der Fußball, für den der 59-Jährige steht, passt wie die Faust aufs Auge zum Standort Dortmund. Und zur spielerischen Weiterentwicklung des Kaders, die Tuchel in den letzten Jahren vorangetrieben hat.
Favres Mannschaften überzeugen durch ein starkes Pressing und Gegenpressing sowie durch kluges Umschaltspiel in hohem Tempo. Der damalige FC-Bayern-Trainer Pep Guardiola sagte einst über Gladbach unter Favre: "Sie sind die beste Kontermannschaft der Welt."
Außerdem bringt der Fußball-Philosoph eine hohe taktische Flexibilität mit. Er ist in der Lage, sein Team auf die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Gegners anzupassen. Alleine in dieser Saison spielte Nizza wahlweise ein 4-3-3, ein 3-5-2, ein 3-4-3 oder ein 4-2-3-1, manchmal mit fließenden Übergängen innerhalb einer Partie.
Der fehlende Plan B war einer der wenigen Kritikpunkte, die aus dem BVB-Lager einst gegen den verehrten Trainergott Jürgen Klopp vorgebracht wurden. Ein Kritikpunkt, der bei Taktiktüftler Tuchel nie aufkam.
Favre kann mit jungen Spielern arbeiten
Darüber hinaus hat Favre in der Vergangenheit gezeigt, dass er in der Lage ist, junge Spieler und deren Stärken zu fördern. Eine wichtige Anforderung beim entwicklungsfähigen Kader der Borussen.
"Er hat mich geschliffen. Lucien Favre ist für mich Gold wert gewesen", sagte Christoph Kramer. Er war einer derjenigen, der unter dem Schweizer einen entscheidenden Schritt - sogar zum Nationalspieler - machte.
Bei seiner aktuellen Station in Nizza hat Favre unter anderem den Youngsters Malang Sarr und Vincent Koziello vertraut und sie zu wichtigen Stützen entwickelt.
Doch auch andere Beispiele sprechen für die Förderqualitäten. Das prominenteste: Marco Reus.
Unter Favre entwickelte sich das Talent zum Star. Im Offensivverbund mit Patrick Herrmann, Juan Arango, vor allem aber mit Sturmpartner Mike Hanke glänzte Reus als hängende Spitze, erzielte in der Saison 2011/2012 18 Tore und bereitete elf weitere vor.
Im Anschluss an die Durchbruch-Spielzeit wechselte Reus für 18 Millionen Euro zum BVB. Dort könnte er nun wieder auf seinen einstigen Förderer treffen.