Bei einem Turnier wie der U21-EM gehört es zum guten Ton, dass jeder Klub einige Scouts platziert. Verständlich, nicht umsonst ist es das wohl am besten besetzte Jugendturnier der Welt. Die stärksten zwölf Nationen Europas spielen die Jugendkrone aus. Wer dort glänzt, gerät beinahe automatisch in den Fokus der großen Klubs.
Das deutsche Sieger-Team von 2009 dient dabei als gutes Beispiel. Heutige Megastars wie Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels oder Mesut Özil dominierten den Wettbewerb und bildeten schließlich fünf Jahre später das Grundgerüst für den WM-Titel in Brasilien.
Nun wiederholte sich im Sommer zumindest der erste Teil der Geschichte, auch wenn das Team von Stefan Kuntz vermeintlich weniger Talent vorzuweisen hatte und nur als Außenseiter ins Turnier startete. Es mag altbacken klingen, doch auch die so häufig zitierten klassischen "deutschen Tugenden" verhalfen den Youngstern zum Triumph über das hochfavorisierte Spanien.
Toljan: DFB als Empfehlungsschreiben
Hoffenheims Jeremy Toljan verkörperte diese Attribute wohl besser als jeder andere. Mit einer unglaublichen Lunge ausgestattet, pflügte der Kraichgauer auf seiner rechten Abwehrseite hoch und runter. Im Finale hatte er seinen großen Auftritt, als er Spaniens Flügelstars Marco Asensio von Real Madrid oder Gerard Deulofeu kaltstellte und gleichzeitig das entscheidende Tor mit einer Sahneflanke auf Mitchell Weiser vorbereitete.
Dabei war diese Leistung keine Eintagsfliege bei der U21-EM. Das deutsche Team, sonst auf den defensiven Außen traditionell schwach besetzt, konnte auf den Hoffenheimer zählen. Toljan stand nach den Wochen von Polen im Team des Turniers und wenn man den Gerüchten glauben mag, in zahlreichen Notizbüchern europäischer Topklubs. Real Madrid, Barcelona, der FC Bayern, RB Leipzig, Chelsea, Tottenham, Napoli sollen die Fühler ausgestreckt haben.
Toljan: Der Fluch der Flexibilität
Allerdings verlief das Jahr in Hoffenheim nicht immer wie gewünscht. Seine Flexibilität wurde ihm nicht nur ein Mal zum Verhängnis. Während Toljan sich beim DFB (auch bei Olympia, als Deutschland Silber holte) auf seiner Lieblingsposition austoben konnte, führte unter Julian Nagelsmann kaum ein Weg am ebenfalls nimmermüden Pavel Kaderabek vorbei.
20 Einsätze in der Bundesliga standen zu Buche, aber lediglich drei Mal rechts hinten. Da Toljan beidfüßig ist, wurde der Sohn eines US-Amerikaners und einer Kroatin munter von links hinten, ins rechte Mittelfeld und zurück auf die linke Außenbahn geschoben. Ein Murren war nicht zu vernehmen, aber eben auch kein Bekenntnis zur TSG.
Denn Toljans Vertrag läuft 2018 aus. Im Interview mit der Bild vor dem Turnier in Polen wich er vor der Frage einer möglichen Verlängerung aus. "Ich habe noch ein Jahr Vertrag. Was darüber hinaus passiert, wird man sehen", ließ er verlauten. Klar ist auch: Seine überzeugende U21-EM hat seine Verhandlungsposition nicht unbedingt geschwächt.
Ein Verbleib erscheint immer unwahrscheinlicher. Zwar beteuerte TSG-Manager Alexander Rosen vor einigen Wochen im kicker, dass er sich "sehr sicher" sei, den Allrounder halten zu können. Doch jeden Tag findet ein neues Gerücht den Weg in die Medien, zuletzt Meldungen, wonach die Bayern den Hoffenheimer zum Ersatz für den verletzten Bernat auserkoren haben sollen.
Nagelsmann fordert mehr
Ursprünglich stammt der gebürtige Stuttgarter aus der Jugend des VfB, doch schon mit 16 Jahren folgte der Wechsel in den Kraichgau, weil laut Toljan "bessere Bedingungen" im Hopp-Klub herrschten und das Paket stimmte. Nebenbei: Hoffenheim überwies für ihn schon damals eine halbe Millionen Euro.
Jede Menge Geld für einen Teenager, zum absoluten Stammspieler auf einer festen Position entwickelte sich Toljan aber nie. In vier Spielzeiten als vollständiges Kadermitglied brachte er es auf gerade einmal 59 Bundesligaspiele. Matthias Ginter ist der gleiche Jahrgang wie der 22-Jährige und kommt bereits auf 137 Einsätze in Deutschlands Beletage - wenngleich Toljan 2014 einige Monate wegen hartnäckiger Adduktorenbeschwerden aussetzte. "Eine Seuchen-Saison", wie er sie selbst bezeichnete.
Auch bei seinen Einsätzen in der Liga konnte Toljan allerdings nicht immer überzeugen und brachte seine starken Leistungen wie zuletzt bei der U21-EM oder auch bei Olympia nicht im Klubdress. Während der vergangenen Saison forderte Nagelsmann von seinem Schützling bereits, dass "er selbst mehr Tore macht und auch mehr vorbereitet". Seine Bilanz in 2016/17? Ein Tor und eine Vorlage. Ausbaufähig.
Toljan: Potenzial auf dem Papier
Dennoch scheint dies die großen Klubs nicht abzuschrecken. Viel mehr überwiegt die Überlegung, dass Toljan ein flexibler Kaderspieler sein kann. Der Markt für Außenverteidiger ist stets hart umkämpft, da schlicht und einfach nicht viele Spieler die große Menge an Qualitäten auf sich vereinen können, die erforderlich sind, um die Position zufriedenstellend auszufüllen. Flink, technisch begabt, gut im Zweikampf, punktgenaue Flanken. Ein seltener Mix.
All diese Attribute vereinte Toljan mit Abstrichen bei der U21-EM in Polen, sodass der Spiegel den Dauerläufer als "Energieriesen" feierte. Nur: Über 34 Spiele war dies noch nicht zu sehen. In der Bundesliga warten fast jede Woche gestandene Gegenspieler. Das sollte bei dem Hype um die Person des Schwaben nicht vergessen werden.
Die Interessenten sehen das Potenzial, das zweifelsohne in dem 22-Jährigen schlummert - nur abgerufen hat er es bislang zu selten. Nagelsmann gehört sicher nicht zu den Trainern, die jungen Spielen keine Chance geben oder ihnen keine Fehler zugestehen. Warum kam Toljan dann an einem guten, aber nicht überragenden Spieler wie Kaderabek nicht vorbei?
Toljan: Was passiert bis Ende August?
Als dies gerät im Moment aber etwas in den Hintergrund, nicht untypisch für das schnelllebige Geschäft: Der jüngere Eindruck überwiegt. Für Toljan ist das eine glänzende Situation, auch im Hinblick auf mögliche Vertragsverhandlungen mit der TSG oder jedem anderen interessierten Verein.
Für die Creme de la Creme Europas ist es die Möglichkeit, einen variablen Spieler in den Kader zu holen, der die großen Stars entlasten könnte - natürlich mit der Option, dass Toljan sein vorhandenes Potenzial doch voll ausschöpft. Ein solider Backup wäre der Umworbene definitiv. Will dafür jemand tatsächlich die kolportierten 20 Millionen Euro hinlegen? Es gab schon abgedrehtere Dinge auf dem Transfermarkt in den vergangenen Jahren.
In Hoffenheim hat sich seine Situation dagegen kaum geändert. Seine Konkurrenten auf den Flügeln sind mit Kaderabek, Nadiem Amiri oder Steven Zuber noch immer da. Durch die EM steigt Toljan auch noch später ins Training ein. Leichter wird es für ihn jedenfalls nicht im Kraichgau.
Zumindest einen Traum wird sich Toljan in naher Zukunft verwirklichen. "Ich will auf jeden Fall mal irgendwann international spielen", kündigte er vor knapp zwei Jahren im Interview mit Goal an. Egal, ob er bleibt oder nicht: In der anstehenden Spielzeit wird er dieses Ziel auf jeden Fall erreichen.