"Ich bin wie ein Schwamm"

Andreas Lehner
26. Juli 201715:34
Rene Adler wechselte im Sommer nach fünf Jahren beim HSV zum 1. FSV Mainz 05getty
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Nach fünf Jahren beim Hamburger SV ist Rene Adler zum 1. FSV Mainz 05 gewechselt. Nebenbei treibt der 32-jährige Torhüter aber seine zweite Karriere voran und überraschte in der Vorbereitung mit unkonventionellen Handschuhen. Im Interview spricht Adler über sein neues Standbein als Unternehmer, einschneidende Erlebnisse in seiner Laufbahn als Fußballer und seine Ziele.

Rene Adler kommt in den Trainingsklamotten seines neuen Arbeitgebers Mainz 05 zum Termin im Teamhotel in Grassau. Er will nach fünf Jahren Hamburger SV im ruhigeren Mainz nochmal angreifen und in den letzten Jahren seiner Karriere den Fußball genießen, wie er später im Interview erzählt. Aber seine Zeit ist begrenzt, er hat einen Anschlusstermin, der seine zweite Karriere betrifft. Adler muss zu einer Telefonkonferenz.

SPOX: Telkos während der freien Minuten im Trainingslager sind nicht der gewöhnliche Zeitvertreib eines Fußballprofis.

Rene Adler: Ja, das kann sein. Mein Fokus liegt auch weiterhin auf dem Fußball. Ich bin aber in einem Alter, in dem ich mir über meine zweite Karriere Gedanken mache. Ich habe ein Ziel: Ich will ein Berufsfeld finden, in dem ich ähnlich viel Leidenschaft entwickeln kann wie im Fußball. Ich suche nach Themen, für die ich brenne.

SPOX: Worum geht's in der Telko?

Adler: Das ist eine Sache mit meinem Bruder, die hat auch mit Fußball zu tun, ist aber noch nicht spruchreif.

SPOX: Ihr Engagement bei der Firma T1TAN, die Ihre neuen Torwarthandschuhe herstellt, dagegen schon.

Adler: Ja, mir macht es viel Spaß, unternehmerisch zu denken. Ich bin jetzt seit einigen Tagen offiziell Teilhaber und Gesellschafter der Firma. Für mich ist das aber mehr als Investment. T1TAN ist für mich eine tolle Chance etwas Großes aufzubauen.

SPOX: Wie kam es zu der Beteiligung?

Adler: Das ist eine witzige Geschichte. Mir ist bei Facebook T1TAN vorgeschlagen worden und die Firma hat damit geworben, Torwarthandschuhe in Profi-Qualität für unter 60 Euro zu bieten. Ich habe mir inkognito ein paar Dinger bestellt und war geflasht von dem Produkt zu diesem Preis.

Rene Adler mit T1TAN-Gründer Matthias Leibitzethos

SPOX: Und dann wollten Sie gleich Teil dieses Produkts und dieser Firma werden?

Adler: Ich war schon länger auf der Suche und hatte mit meiner Agentur Ethos besprochen, dass ich nur noch in Projekte und Unternehmen investieren möchte, von denen ich Ahnung habe. Torwarthandschuhe habe ich seit meinem sechsten Lebensjahr an, da kenne ich mich aus, deshalb hat mich das brennend interessiert. Wir haben mit den Jungs von T1TAN Kontakt aufgenommen, waren uns sofort sympathisch und haben schnell gemerkt, dass wir uns gegenseitig befruchten können.

SPOX: Wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus?

Adler: Mir war total wichtig, Teil von einem Projekt zu sein, das von allen Beteiligten gelebt wird. Das ist bei T1TAN der Fall, es steckt brutal viel Herzblut drin. Ich bin im operativen Bereich dabei, bin aktiv bei der Produktentwicklung beteiligt, bringe mein komplettes Knowhow und meine Marketingleistung ein. Unser Ansatz ist es, Amateuren eine Profi-Qualität zu bezahlbaren Preisen anzubieten. Ich finde das spannend und mir macht das sehr viel Spaß.

SPOX: Sie haben gerade ein neues Modell auf den Markt gebracht. Mit Ihren Erlkönig-Handschuhen haben Sie in den letzten Wochen im Bereich Marketing auf jeden Fall gut gearbeitet. Wie kam es zu der Idee?

Adler: Es ist nicht neu, dass Torhüter an der Entwicklung der Handschuhe mitwirken, die neuen Dinger waren sonst aber nur weiß. Wir wollten etwas Cooleres machen und sind schnell bei der Autoindustrie gelandet, die auch vom langweiligen Grau weggegangen ist und die Erlkönige eingeführt hat.

SPOX: Wie kamen die Prototypen an?

Adler: Das Feedback hat uns umgehauen. Obwohl wir die Zusammenarbeit noch nicht bekannt gegeben hatten, haben wir viele Anfragen von Leuten bekommen, die Handschuhe im Erlkönig-Design haben wollen. Wir überlegen gerade, ob wir mit T1TAN eine Limited Edition mit den Prototypen auflegen.

SPOX-Fußballchef Andreas Lehner traf Rene Adler im Trainingslager in Grassau zum Interviewspox

SPOX: Im vergangenen Jahr haben Sie auch ein Online-Studium an der European Sportsmanagement Academy abgeschlossen. Sie scheinen einen klaren Plan von ihrer Zeit nach der Profikarriere zu haben.

Adler: Ich habe früh gemerkt, dass es mit meinem Job als Fußballprofi nicht getan ist. Ich muss meinem Kopf Futter geben und wenn ich das mache, spiele ich besser, weil ich meinen Fokus streue. Mir hat es extrem viel Spaß gemacht, einen Berg vor mir zu haben, bei dem ich gesagt habe: Wie soll ich die Hausarbeit eigentlich schaffen? Aber ich habe mich voll reingehängt und hatte Spaß daran, etwas Produktives abseits des Fußballs zu leisten. Das hat mir Glücksgefühle gegeben.

SPOX: Wie ließ sich das Studium mit dem Job als Fußballprofi vereinbaren?

Adler: Es war ein komprimiertes Ein-Jahres-Studium, das rein online stattfand. Ich wäre gerne auf den Campus gegangen, aber das hat die Zeit nicht zugelassen. Selbst wenn die Prüfungen am Samstag stattfanden, hatte ich im besten Fall etwas anderes zu tun. Es war ein schönes, anstrengendes Jahr und ich habe dann auch sofort mit dem Bachelor weitergemacht, aber den musste ich erst einmal auf Eis legen, weil das letzte halbe Jahr mit dem Abstiegskampf beim HSV, dem Vereinswechsel und Hochzeitsvorbereitungen sehr intensiv war.

SPOX: Hatten Sie schon immer den Drang, sich abseits des Fußballs weiterzubilden, oder brauchte es wie bei vielen anderen Fußballern auch erst den Weckruf einer schweren Verletzung?

Adler: Sowohl als auch. Ich liebe es, mich mit Leuten zu unterhalten, die aus mir fremden Branchen kommen und mich für neue Themenfelder begeistern. Ich lese sehr viel, bin wissbegierig und frage nach, das ist mein Naturell. Ich bin wie ein Schwamm, ich sauge alles auf. Ich habe schnell gemerkt, dass ich verkrampfe und mir der alleinige Fokus auf den Fußball zu eindimensional ist. Ich brauche Hobbys und eine Mischung aus Anspannung und Entspannung, um gute Leistungen im Job zu bringen.

SPOX: Aber?

Adler: Mit den Verletzungen wurde mir die Thematik noch klarer. Nach der Patellasehnen-OP 2012 habe ich gemerkt, dass mein Leben zu krass auf einer Säule aufgebaut ist. Das ist sehr gefährlich, weil gerade im Fußball diese eine Säule schnell wegbrechen kann. Ich habe auch gelitten, weil es nicht so weiterging, wie ich wollte. Ich bin in ein Loch gefallen.

SPOX: Wie sind Sie aus diesem Loch wieder rausgekommen?

Adler: Ich musste einsehen, dass der Weg, der mich bisher vorangebracht hat, bald zu Ende ist und ich etwas verändern muss. Eine Entwicklung ist nie linear und man kommt immer an einen Punkt, an dem man sich neu erfinden muss, um voranzukommen.

SPOX: Fehlt dieses Bewusstsein allgemein im Profi-Fußball?

Adler: Jeder Fußballer sollte sich im Klaren darüber sein, dass die Karriere endlich ist. Bei dem einen früher, bei dem anderen später, aber sie geht definitiv zu Ende. Ich kann mir nichts davon kaufen, wenn ich vor zehn Jahren mal ein toller Hecht war. Die wenigsten Spieler können ihr ganzes Leben von dieser sportlichen Leistung leben. Dafür musst du schon eine Legende sein. Ich kenne genügend Spieler, die mit ihrem Leben nach dem Fußball unglücklich sind.

SPOX: Wie sieht Ihr Ziel aus?

Adler: Ich will irgendwann sagen: Das war damals eine gute Zeit und ich war ein guter Torhüter, aber darüber brauchen wir nicht mehr reden. Das Leben nach dem Fußball ist bei weitem länger. Ich will nicht als total gezeichneter Ex-Profi durch den Park humpeln, weil ich zu viel Lust auf das neue Leben habe. Ich arbeite gerne.

SPOX: Noch ist Ihr Hauptberuf auch Torhüter in der Bundesliga bei Mainz 05. Warum haben Sie sich für einen Wechsel entschieden?

Adler: Ich fühle mich gut, ich will spielen und Spaß haben. Wenn dem nicht so wäre, hätte ich mich für die andere Variante entschieden und irgendwo als Backup angeheuert. Da hätte ich zwar mehr Gehalt bekommen, aber weniger Spielzeit. Das war mir aber nicht wichtig.

SPOX: Ihr Vertrag in Mainz läuft zwei Jahre, ist danach Schluss?

Adler: Ab einem gewissen Punkt kann man nicht mehr so langfristig planen, aber ich will selbstbestimmt agieren. Ich bin so lange im Geschäft und will die Momente, das Training und die Spiele genießen. Die Zeit als Profi ist die schönste. Es hilft, sich das während der Karriere vor Augen zu führen.

SPOX: Das Hamburger Abendblatt schrieb nach Ihrer Entscheidung pro Mainz, Sie hätten sich verzockt. Haben Sie generell das Gefühl, dass es zwischen der öffentlichen Wahrnehmung Ihrer Karriere und Ihrer eigenen einen drastischen Unterschied gibt?

Adler: Klar kann man sagen: Hätte er 2010 die WM gespielt, wäre er vielleicht anschließend zu Manchester United gewechselt, dann hätte er vielleicht eine Weltkarriere gemacht und so weiter. Und ich kann auch sagen, dass vom Potenzial her mehr drin gewesen wäre. Aber meine körperliche Situation hat das damals leider nicht zugelassen. Das gehört auch zur Wahrheit. Es geht nur darum, wie man damit umgeht. Hadere ich damit oder gehe ich jeden Tag in den Kraftraum und mache etwas dagegen. Es ist meine Stärke, dass ich nach Verletzungen immer wieder zurückgekommen bin und wieder auf Top-Niveau gespielt habe. Das ist eine Frage von Einstellung und Wille.

SPOX: Wie würden Sie Ihre Karriere ohne alle Was-wäre-wenn-Aspekte beschreiben?

Adler: Ich sehe es als Privileg an, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Das ist das höchste Gut. Viele Leute gehen nur zur Arbeit, weil sie ihre Miete bezahlen oder ihre Familie ernähren müssen. Ich kann jeden Morgen aufstehen, zum Training gehen, das machen, was ich schon als Kind am liebsten gemacht habe. Dass das Ganze auch negative Seiten hat, ist klar. Wir Fußballer müssen auf viel verzichten, stehen in der Öffentlichkeit, haben eine Vorbildfunktion, aber das war mir immer alles recht, weil ich das Geschenk zu schätzen weiß. Ich konnte mir mit meiner Fußballkarriere etwas aufbauen, was mir die Möglichkeit auf eine neue Karriere gibt. Mein Ziel ist es, in meinem neuen Beruf noch einmal erfolgreich zu werden. Und wer weiß, vielleicht sprechen wir uns in 25 Jahren nochmal und der Unternehmer Rene Adler hat dem Fußballer Rene Adler Konkurrenz gemacht...