SPOX: Herr Kral, Wie sind Sie dazu gekommen, eine neue Note zu entwickeln?
Sven Kral: Wir als Team fanden es sehr frustrierend, dass klassische Managerspiele sehr durchschaubar waren. Viele Managerspieler haben sich beispielsweise einfach nur Spieler gekauft, die eine hohe Passquote haben. Dass sich manche Spieler die Bälle allerdings irgendwo im Mittelfeld nur hin- und herschieben, wird nicht berücksichtigt. Einen Querpass ohne Gegnerdruck am Mittelkreis bekomme ich auch hin. Ein entscheidender Ball im vorderen Drittel ist da eine ganz andere Hausnummer, taucht aber in der Statistik zunächst gleich auf.
SPOX: Wie sind seid ihr ein solches Mammutprojekt angegangen?
Kral: Wir haben einen Testlauf mit zehn unterschiedlichen Personen durchgeführt und ihnen das gleiche Spiel gezeigt. Da kamen teilweise komplett unterschiedliche Noten mit einer irren Bandbreite heraus. Einer hat eine 4 vergeben, der andere eine 2. Falsch lag eigentlich keiner, denn beide haben vertretbare Argumente für ihre Note gefunden. Das hängt ganz einfach davon ab, welche Werte herangezogen und aus welchem Blickwinkel Spiele betrachtet werden.
SPOX: Ist die subjektive Bewertung veraltet?
Kral: Die Bewertung eines Menschen ist sehr fehleranfällig. Es ist ja unmöglich, 22 Spieler genau zu beobachten und das Spiel dann im Anschluss noch in den Gesamtkontext des Spieltags und der Saison einzuordnen. Das geht schlichtweg nicht. Man könnte ja zum Beispiel zu dem Schluss kommen, dass der zentrale Spieler, der von Haus aus einen größeren Einfluss auf das Spiel hat, auch eine bessere Note verdient hat. Ein Außenverteidiger hingegen ist oft deutlich weniger in das Spiel eingebunden, aber trotzdem nicht unwichtig.
SPOX: Sind beide deshalb überhaupt zu vergleichen?
Kral: Auf den ersten Blick nicht, sie haben unterschiedliche Aufgaben. Deswegen stellen wir einen Erwartungshorizont für alle Spieler auf. Wir messen die Leistung des Spielers im Vergleich zu der Anforderung an seine Position. Das kann dazu führen, dass ein Außenverteidiger eine deutlich bessere Note hat als ein Mittelfeldspieler, obwohl er gar nicht so ins Auge gestochen ist.
SPOX: Erklären Sie uns das anhand eines Beispiels, bitte.
Kral: Nehmen wir einmal an, Aubameyang macht bei einem 1:0-Sieg des BVB das Tor, fällt sonst aber kaum auf und ist nicht ins Spiel integriert. Dembele hingegen kreiert zahlreiche gute Chancen, liefert allerdings keine Torvorlage. Dann würde bei unserem System Dembele sicher die bessere Note bekommen, da er seinen Erwartungshorizont besser erfüllt hat. Natürlich: Wenn ein Spieler drei Tore schießt, dann muss er ansonsten schon wenig zum Spiel beitragen, um keine eins zu bekommen. Wobei, ich glaube, Aubameyang hat das im letzten Jahr einmal geschafft. (lacht)
SPOX: Wo liegt der größte Vorteil Ihrer Note?
Kral: Bei klassischen Fantasy-Managern wissen die Experten schon, dass man gewisse Formationen spielen muss, um Erfolg zu haben. Die bringen die meisten Punkte. Aber das ist ja nicht Sinn der Sache. Das ist bei unserem System anders. Egal welche Position ich wähle, es ist immer die gleiche Wahrscheinlichkeit, eine gewisse Punktzahl zu holen. 4-4-2 oder 3-6-1? Das ist egal.
SPOX: Sie haben den Erwartungshorizont angesprochen, wie sieht der konkret aus?
Kral: Die aktuelle Note ist letztlich auch ein Vergleich der aktuellen Leistung mit der Leistung aller anderen Bundesligaspieler auf dieser Position der letzten drei Jahre. Wir haben von unseren Usern nach mancher Begegnung auch das Feedback bekommen, dass ein Spieler doch eine bessere Note bekommen müsse, weil er der beste Spieler auf dem Feld war. Dabei war seine Leistung im Vergleich mit anderen Spielern auf seiner Position in den letzten Jahren nur etwas besserer Durchschnitt.
SPOX: Das hört sich alles schön und gut an, doch können die Daten die Komplexität des Spiels überhaupt abfangen?
Kral: Wenn wir den Spielern eine Note geben wollen, sind die blanken Statistiken nicht ausreichend. Angenommen ein Spieler geht in ein Dribbling und holt einen Eckball heraus. Obwohl die Ecke für seine Mannschaft eine erfolgsversprechende Situation ist, taucht die Aktion in der Statistik als verlorenes Dribbling auf. Das ist natürlich nicht unser Anspruch. Wir wollen qualitativer messen.
SPOX: Wie funktioniert das?
Kral: Wir gehen in die Rohdaten der Statistik und haben gewisse Aktionen mit einem Faktor versehen, der angibt, ob und in welchem Maße eine Aktion zum Erfolg beigetragen hat. Alleine im Bereich 'Pässe' gibt es 30 verschiedene Werte, die wir qualitativ auswerten.
SPOX: Es geht also um die technische Ausführung eines Passes, in welche Richtung er geht und wie präzise er gespielt wurde?
Kral: Genau, wir nehmen die Rohdaten von Opta und basteln uns daraus eigene Werte. Ein Beispiel aus der letzten Saison beim Spiel von Hoffenheim in Berlin: Auf der einen Seite spielte Kevin Vogt und auf der anderen Seite John Anthony Brooks. Brooks hat die Bälle gemäß Herthas Spielanlage lang und hoch auf Ibisevic gespielt. Dieser musste dann oft ins Kopfballduell und konnte die Bälle nur schwer verarbeiten.
SPOX: Und Vogt?
Kral: Nagelsmann verfolgte einen anderen Spielplan. Deshalb spielte Vogt die Bälle scharf in den Fuß. Der Stürmer, in diesem Fall Sandro Wagner, konnte den Ball viel besser verwerten. So haben wir das auch klassifiziert. Angenommen ich spiele einen hohen Ball nach vorne, der Stürmer kann nur zum Kopfball hochgehen und es folgt ein Fehlpass, dann wäre der Pass auf den ersten Blick in den Rohdaten gleich gut. Aber wenn ich berücksichtige, dass der Pass in den Fuß gespielt wurde und der Stürmer mehr damit anfangen kann, ist das viel, viel besser. Diese Passschablone ist für uns sehr wichtig. Thiago war bei unserem System in dieser Hinsicht der mit Abstand beste Spieler. Er hat alles völlig dominiert.
SPOX: Aber Hertha hat eine ganz andere Spielanlage. Sind beide Spieler trotzdem vergleichbar?
Kral: Klar, ich muss natürlich unterlegen, dass jemand eine bestimmte Aufgabe hat. Wenn er lange Bälle spielen soll, dann ist das so. Aber das ist in der Note eingepreist. In der Note steckt auch ein gewisser Anteil Trainer- beziehungsweise Taktiknote. Bei Darmstadt gegen Ingolstadt flogen die weiten Bälle nur hin und her. Das kann man sich nicht ansehen. Im Gegensatz ein Spiel mit flachen und schönen Pässen nimmt man positiver wahr.
SPOX: Wenn gewisse Spieler den Schnitt nach oben treiben wie beispielsweise Xabi Alonso und Julian Weigl im zentralen Mittelfeld in der Passstatistik und bei den Ballaktionen, hat dann Daniel Baier Probleme, auf eine gute Note zu kommen oder gibt es eine mannschaftsspezifische Schablone?
Kral: Die brauchen wir gar nicht. Wir bilden alle möglichen Spielszenarien ab. Alle Spieler haben über fünf unterschiedliche Faktoren die Möglichkeit, Punkte zu holen. Baier wäre in diesem Fall viel mehr im defensiven Zweikampf oder im Umschaltspiel gefordert. Klar hat er weniger Ballaktionen und mehr Fehlpässe, weil er durch Augsburgs tiefere Staffelung weniger Anspielstationen hat. Wenn Weigl viele Ballaktionen hat, ist das also nur ein Teil seiner Gesamtbewertung.
SPOX: Also kann man seine Punkte in anderen Bereichen sammeln und fehlende Ballaktionen beispielsweise ausgleichen?
Kral: Ja. Mats Hummels hat im Zweikampf oft nicht viel zu tun, hat aber enormen Einfluss über seine Pässe. David Abraham auf der anderen Seite wird defensiv viel mehr gefordert. Er kann über den anderen Weg zum Erfolg kommen. Deshalb kann ich beide Spieler je nach Anforderungsprofil fair miteinander vergleichen.
SPOX: Beim Audi Cup wurde letztens Javi Martinez vom FC Bayern trotz der 0:3-Niederlage gegen den FC Liverpool zum Man of the Match gewählt, weil ihn der Audi Index als besten Spieler ausspuckte. Kann das mit Ihrem System auch passieren?
Kral: Auf die konkrete Frage, ob Javi bei uns im System der beste Spieler des Spiels war, kann ich klar mit nein antworten. Ich kenne aber den Audi-Index auch nicht und weiß daher nicht, auf welche Spieldaten sich dieser bezieht, daher kann ich nur für unser System sprechen. Wir messen den Einfluss eines jeden Spielers auf den Erfolg der eigenen Mannschaft und da ist es sehr unwahrscheinlich, dass man den besten Spieler des Spiels nicht auf Seiten der Mannschaft findet, die 3:0 gewonnen hat. Sadio Mane hat zum Beispiel das 1:0 selbst gemacht und das 2:0 eingeleitet...
SPOX: A propos, wie verhält es sich mit diesem berühmten vorletzten Pass, der nicht als Assist in der Statistik auftaucht?
Kral: Wir wollen nicht nur den Torschützen und den Vorlagengeber honorieren, sondern auch den Spieler, der die Situation eingeleitet hat. Der FC Bayern hat beispielsweise sehr oft ganze Ballstafetten vor Toren. Oft tun sich dann Lücken auf und es ist klar, wohin der Ball kommen muss und wie sich die Szene entwickelt. Ein Innenverteidiger kann in so einem Fall auch einen gewissen Anteil an einem Tor haben, weil er das Spiel gut verlagert hat.
SPOX: Können Sie uns dazu noch ein Beispiel geben?
Kral: Nehmen wir das Spiel des BVB in Wolfsburg. Da hat Götze an der linken Außenlinie Vieirinha getunnelt und dann auf Guerreiro in die Mitte gespielt. Mit diesem Pass hat Götze dem Portugiesen förmlich mitgeteilt, dass er den Ball weiter auf Castro spielen soll und Dembele in der Folge völlig frei vor dem Tor stehen würde. Das fängt unser Modell ab. Auch wenn beispielsweise eine Balleroberung erst nach einigen Pässen zu einem Torerfolg führt. Thiago hat in der letzten Saison zehn Mal eingeleitet, daran erkennt man ganz einfach seine Spielintelligenz. Er weiß genau, wo er den Ball hinspielen muss. Teilweise müssen die Mitspieler den Ball nur noch mal querlegen und dann klingelt es. In der Statistik taucht der Spanier nicht als Vorlagengeber auf, bei uns fließt das aber positiv in die Note ein.