Bei der Bekanntgabe seines Wechsels von der TSG Hoffenheim zum FC Bayern München haben nur wenige Sebastian Rudy den Durchbruch zugetraut. Ein halbes Jahr später gilt der 27-Jährige als Gewinner des Sommers: Seine starken Leistungen beim Confed-Cup-Sieg der deutschen Nationalmannschaft und der vielversprechende Auftakt beim Deutschen Meister fördern prominente Vergleiche mit Toni Kroos oder Xabi Alonso zutage, plötzlich gilt eine tragende Rolle beim FC Bayern als greifbar. Ein verfrühter Hype oder eine echte Chance?
Gerade einmal acht Minuten ist die neue Saison der Bundesliga alt. Und schon haben die beiden langjährigen Hoffenheimer ihre erste Torbeteiligung auf dem Konto. Gefühlvoller Freistoß-Chip von Sebastian Rudy vom linken Strafraumeck an den Fünfer, Kopfball von Niklas Süle ins lange Eck - 1:0 für den FC Bayern im Eröffnungsspiel gegen Bayer Leverkusen.
Acht Minuten hat es gedauert, länger nicht, bis die beiden Neulinge etwas Zählbares auf den Videowürfel der Allianz Arena gebracht haben.
Acht Monate hat es gedauert, kürzer nicht, bis die teilweise belächelten Transfers der Hoffenheimer Leistungsträger an die Isar großflächig als mögliche Treffer ins Schwarze gewertet wurden.
Hoeneß: Süle und Rudy gingen "total unter"
"In der Berichterstattung vor der Saison hatte man das Gefühl, dass der FC Bayern gar keine Neuzugänge hat. Süle und Rudy sind da total untergegangen", rügte Präsident Uli Hoeneß nach der starken Leistung seiner Neuzugänge im ersten Ligaspiel gegen die Werkself.
Tatsächlich war die Verkündung des Doppeltransfers im Januar nicht gerade ein Paukenschlag. Kein Beben wie einst der Götze-Coup 2013. Kein international schillernder Deal wie die Verpflichtung von Xabi Alonso vor drei Jahren. Kein Social-Media-Gewitter wie die Vorstellung von James Rodriguez in diesem Sommer.
Nein, die breite Bewertung fiel deutlich verhaltener aus. Und unterschiedlich. Der Süle-Wechsel wirkte logisch. 21 Jahre alt, Nationalspieler, Olympia-Silbermedaillen-Gewinner, einer der besten Zweikämpfer der Liga, ein Typ, den viele Klubs auf dem Zettel hatten. Klar, dass die Bayern da zugreifen.
Die Wahrnehmung des Rudy-Transfers in der Öffentlichkeit
Einen unauffälligen Leisetreter wie Rudy zu verpflichten, stieß dagegen auf Stirnrunzeln. Ein solider, zuverlässiger, defensiv flexibel einsetzbarer Spieler, auf den auch Bundestrainer Joachim Löw große Stücke hält, klar. Aber reicht das für die Bayern? Besonders im zentralen Mittelfeld ist dort doch ohnehin kein Platz. Daran hatten sich zuletzt unter anderem Sebastian Rode, Pierre-Emile Höjbjerg und sogar Joshua Kimmich die Zähne ausgebissen. Das kann ja nichts werden.
"Wenn ich nicht total überzeugt wäre", entgegnete Rudy selbst im Mai dieser Einschätzung in der Süddeutschen Zeitung, "hätte ich den Schritt nicht gemacht. Ich gehe nicht als Talent nach München, sondern als Nationalspieler und Kapitän eines Champions-League-Kandidaten." An Selbstbewusstsein mangelte es ihm nicht: "Als das Bayern-Angebot kam, war ich selbstbewusst genug zu sagen: Das passt. Die haben sich da nicht geirrt." Eine Ansage. Von wegen Leisetreter.
Michael Reschke bezeichnete Rudy als "am meisten unterschätzten deutschen Topspieler". Nach dem eingetüteten Deal lobte der damalige Kaderplaner: "Sebastian hat in dieser Saison noch mal einen Riesenschritt gemacht und wird unseren Kader deutlich bereichern."
Wohlgemerkt sprach Reschke dabei nicht von "ergänzen", "auffüllen" oder "verbreitern", sondern von "deutlich bereichern". Eine gezielte Wortwahl, die damals konträr zur weit verbreiteten Wahrnehmung lief.
Acht Monate nach der Verkündung des Wechsels hat sich diese gedreht. Plötzlich gilt Rudy als Alonsos Kronprinz im Bayern-Mittelfeld, als Kroos-Klon im DFB-Team. Und als potentieller Stammspieler.
Rudy empfiehlt sich in drei Trikots
Doch was hat sich seit Januar geändert? An Rudys Leistungen nicht wirklich viel. Auch zuvor hatte der Kapitän das Mittelfeld der Hoffenheimer stark dirigiert und strukturiert.
Seit der Bekanntgabe des Wechsels zur größtmöglichen Adresse im deutschen Fußball stand er jedoch deutlich mehr unter dem Brennglas. Und seitdem empfahl er sich in drei verschiedenen Trikots für höhere Aufgaben.
Zunächst ließ er die Dinge in der Rückrunde bei der TSG nicht etwa schleifen, sondern ging voran, war einer der stärksten Sechser in der Liga und half entscheidend am ersten Europapokaleinzug Hoffenheims mit.
Confed-Cup-Sieg steigert Standing
Das größte Ausrufezeichen setzte er dann im Sommer. Beim Confed-Cup-Sieg in Russland spielte Rudy in Abwesenheit der geschonten Stars wie Kroos, Khedira und Co. auf der Sechs ein bärenstarkes Turnier. Insgesamt verpasste er nur 16 Minuten, nach Kimmich brachte er es auf die zweithöchste Einsatzzeit.
Und seine Spielweise erinnerte tatsächlich an die von Toni Kroos, von dem er sich in den Jahren beim DFB-Team nach eigener Aussage einiges abgeschaut hatte. Er war Ruhepol im Mittelfeld, bestimmte als Ballverteiler den Rhythmus und war konsequent im Defensivzweikampf.
Unter dem Strich war Rudy einer der großen Gewinner des Turniers. Innerhalb weniger Tage steigerte er sein Standing bei Bundestrainer Joachim Löw enorm. Vor allem aber das in der Öffentlichkeit.
Zwar spielt Rudy selbst die Bedeutung, mit einem Titel im Rücken loszulegen, herunter: "Auch ohne diesen Erfolg wäre ich nicht hierhergekommen und hätte mich klein gemacht. Man muss mit Selbstvertrauen auftreten." Klar ist aber auch, dass solch eine Referenz gerade bei einem Klub wie dem FC Bayern nicht schaden kann.
Vermarktbarkeit beim FC Bayern ein Faktor
Rudy ist keine Marke, hat keine verrückte Frisur, nie beim FC Barcelona gespielt und keine 41,5 Millionen Euro gekostet. Stattdessen war er ablösefrei. Fußball ist ein Leistungssport, aber in einem international orientierten Weltverein ist die Vermarktbarkeit der Mannschaft ein Teil der Wahrheit. Wenn vielleicht auch nur ein kleiner.
Womöglich muss sich einer wie Rudy seinen Status umso härter durch Leistungen erarbeiten. Dafür war der Confed Cup eine wichtige Vorleistung.
Und die ersten Eindrücke im Bayern-Dress bestärkten die positive Entwicklung seines öffentlichen Standings.
Beim Supercup gegen Borussia Dortmund war der 27-Jährige direkt Chef im zentralen Mittelfeld. Er brachte Ruhe ins Spiel, wirkte nicht nervös, sondern spielintelligent, defensiv wie offensiv. Er war an beiden Toren beteiligt und verwandelte, passend zu seinem abgeklärten Auftritt, im Elfmeterschießen souverän.
Auch die Spiele im Pokal und zum Bundesliga-Auftakt zeigten, warum Reschke Rudy nicht als Auffüllmasse für den Kader bezeichnet hatte.
Sammer: Rudy braucht Konstanz
Die Loblieder nehmen seit Wochen stetig zu, sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. Denn bislang hat die Nummer 19 für die Bayern gerade einmal vier Pflichtspiele absolviert. Seine internationale Erfahrung beschränkt sich darüber hinaus auf acht Europapokalspiele für den VfB Stuttgart, zehn Pflicht- und zehn Freundschaftsländerspiele.
Wichtig ist nun, analysierte Bayerns ehemaliger Sportvorstand Matthias Sammer bei Eurosport, dass er "Konstanz in seine Leistungen" bringe, dann könne er ein Stabilitätsfaktor werden: "Nicht nur beim FC Bayern München, sondern auch bei der Nationalmannschaft." Die Anlagen sind da, aber der deutsche Rekordmeister ist noch einmal eine andere Stufe als Hoffenheim.
Thiago-Rückkehr: Erstmals Bank für Rudy
Auch in Sachen Konkurrenz. Am Wochenende saß er nach Thiagos Rückkehr erstmals zu Beginn auf der Bank, als Carlo Ancelotti im Dreier-Mittelfeld auf Vidal, Thiago und Tolisso setzte. Ein Mittelfeld, das sich sehen lassen kann und sicherlich nicht das letzte Mal in dieser Konstellation in der Startelf stand. Erster Kontakt mit dem harten Boden der Realität?
Einen "Wettbewerbsvorteil" um einen Startelfplatz hat Rudy auf seiner Seite. Sollte Ancelotti mit Javi Martinez weiter in der Innenverteidigung planen, ist er die einzige echt defensive Alternative für die Sechs. Er ist zudem von seiner Spielanlage derjenige, der die Rolle des Xabi Alonso am ehesten emulieren kann.
Und da ist er wieder, dieser Alonso-Vergleich, der Rudy bei Überstrapazierung nicht unbedingt einen Gefallen tut. Er selbst lässt sich davon nicht unter Druck setzen: "Wenn ich mit ihm in einem Satz genannt werde, ist das eine Ehre."
Noch vor acht Monaten hätte ihn kaum einer in einem Atemzug mit dem Welt- und Europameister genannt. Mittlerweile geschieht es. So schnell kann sich die Wahrnehmung ändern. Und plötzlich ist man Prinz.