Seit 2013 spielt Yussuf Poulsen für RB Leipzig. Der Däne ist zu einem der Gesichter der Roten Bullen geworden. Poulsen im Interview über den Tod seines Vaters, das Interesse des VfB Stuttgart, die Geschichte mit seinem Wecker und den Umgang mit Timo Werner.
SPOX: Herr Poulsen, Sie schlossen sich in Dänemark im Alter von fünf Jahren Ihrem ersten Klub namens BK Skjold an. Wie sind Sie als Kind zum Fußball gekommen?
Yussuf Poulsen: Eigentlich habe ich bereits mit vier Jahren im Verein angefangen. Ein halbes Jahr später hörte ich aber schon wieder auf. Ich fand meine Mitspieler zu schlecht, so hat es mir jedenfalls meine Mutter erzählt. (lacht) In der ersten Schulklasse bin ich dann wieder eingetreten, weil wir rund zehn Jungs waren, die alle Lust auf Kicken hatten. Der Vater einer meiner Kumpels war unser Trainer.
SPOX: Haben Sie damals noch andere Sportarten ausgeübt?
Poulsen: In der 2. Klasse habe ich mit Basketball angefangen. Das spielte ich aber fast nur im Verein und nicht permanent privat wie das beim Fußball der Fall war. Bis zwölf war ich im Basketball-Verein, das war neben dem Fußball meine große Leidenschaft. Gymnastik habe ich auch probiert, aber das hat nicht lange gehalten.
SPOX: Wieso hat sich der Fußball letztlich durchgesetzt?
Poulsen: Das hat mir mehr Spaß gemacht und war lustiger. Mit elf, zwölf Jahren musste ich mich entscheiden, weil wir im Fußballverein anfingen, drei Mal pro Woche zu trainieren. Ich war da auch einfach besser als beim Basketball.
SPOX: Waren Sie auch Fan einer bestimmten Mannschaft?
Poulsen: In Dänemark wurde häufig die Primera Division und die Premier League gezeigt. Ich habe viel LaLiga geguckt, auch wenn das erst um 22 Uhr im Fernsehen lief und ich eigentlich hätte schlafen sollen. Barcelona hat es mir besonders angetan, die fand ich schon immer sehr cool.
spoxSPOX: Als Sie bei Skjold spielten, waren Sie noch Abwehrspieler. Hat es Ihnen früher in der Defensive mehr Spaß gemacht?
Poulsen: Die haben mich einfach dort hingestellt. Ich war als Kind technisch auch nicht gerade der Beste. Die fußballerisch stärkeren Spieler haben die Offensive gebildet, dadurch waren Tore bei uns garantiert. Meine Stärke war die Schnelligkeit, ich konnte viele Stürmer ablaufen. Ich würde sagen, man sieht bis heute an meinem Spielstil, dass ich bis zu meinem 13. Lebensjahr Verteidiger war.
SPOX: Wie kam die Versetzung in den Sturm zustande?
Poulsen: Es ging langsam nach vorne. Zunächst als Links- oder Rechtsaußen, später als Zehner und Stürmer. Wir hatten bei Skjold eine sehr gute Mannschaft beisammen, von 16 Spielern sind zehn Profis geworden. Das ist für eine U12-Mannschaft ziemlich ungewöhnlich. Bröndby IF und der FC Kopenhagen haben damals sechs oder sieben Spieler unseres Teams abgeworben, vor allem die Offensivspieler. Daher sind dann vorne ein paar Plätze frei geworden.
SPOX: Sie sind durch Ihren 1999 an Krebs verstorbenen Vater Shihe zum Fußball gekommen. Er stammte aus Tansania und arbeitete einige Jahre auf einem Containerschiff, das zwischen Afrika und Dänemark pendelte. Als er starb, waren Sie gerade einmal sechs Jahre alt. Wie haben Sie das verarbeitet?
Poulsen: Ich erinnere mich an den Moment, als er kurz vor seinem Tod im Krankenhaus lag. Ich habe es anfangs nicht vollständig begriffen, aber mit der Zeit ist mir bewusst geworden, dass ich meinen Vater nie mehr wiedersehen würde. Meine Mutter hat anschließend wieder geheiratet und mein Stiefvater brachte zwei Töchter aus seiner vorherigen Ehe in die Familie ein. Er hatte aber einen Job, bei dem er nachts arbeiten und am Tag schlafen musste. Deshalb habe ich mich oft als einziger Mann im Haus gefühlt. Ich hatte dann immer wieder mal schlechte Phasen, in denen das Thema wieder aufkam und ich mich nach meinem Vater als Vorbild gesehnt habe. Dank der guten Unterstützung meiner großen Familie habe ich dieses Gefühl aber nicht zu lange mit mir herum getragen.
SPOX: Sie waren erst im Juni bei Ihren Familienangehörigen in Tansania zu Besuch. Wie oft sind Sie dort?
Poulsen: Es war in diesem Sommer das erste Mal seit sechs Jahren, dass ich genug Urlaub hatte, um mal wieder dorthin zu reisen. Früher waren wir jedes Jahr da, für mich dürfte es jetzt insgesamt das neunte oder zehnte Mal gewesen sein. Anschließend bin ich noch eine Woche auf Sansibar gewesen. Das war dann mehr der Genießer-Urlaub. (lacht)
SPOX: In welchen Verhältnissen lebt Ihre Verwandtschaft dort?
Poulsen: In Europa würde man es ärmlich nennen. Alle wohnen in einem größeren Dorf und sehr nah beieinander. Sie haben in ihren Häusern erst seit 2008 Elektrizität. Es gibt keine richtigen Toiletten und aus den Leitungen kommt nur kaltes Wasser. Das ist eine ganz andere Welt.
SPOX: Was haben Sie davon mitgenommen?
Poulsen: Afrika würde vielen Leuten guttun. Viele Europäer könnten dort einiges lernen, denn die dortigen Zustände zu sehen und zu erleben ist eindrucksvoll und beklemmend zugleich. Es ist deshalb umso erstaunlicher, die Lebensfreude der Menschen mitzuerleben. Man weiß dann seinen eigenen Wohlstand ganz anders zu schätzen.
SPOX: Als Sie 14 waren, sind Sie in die Jugendabteilung von Lyngby BK gewechselt. Nebenbei mussten Sie die Schule regeln, erst in Leipzig hatten Sie in dieser Hinsicht keine Doppelbelastung mehr. Wie schwierig war es damals, Schule und Fußball unter einen Hut zu kriegen?
Poulsen: Einfach war es nicht. Es ging nur, indem ich jeden Tag 14 Stunden von zu Hause weg war. Ich ging auf ein Gymnasium, das in der Nähe des Trainingsgeländes von Lyngby lag. Um acht Uhr ging die Schule los, um 9 ging ich ins morgendliche Training. Es gab da eine Vereinbarung zwischen Klub und Schule, aber ich habe dadurch natürlich immer wieder Unterricht verpasst und musste den Stoff dann irgendwie nachholen. Danach wieder zurück in die Schule bis zum Nachmittagstraining. Manchmal war vor dem zweiten Training noch zusätzlicher Unterricht für Nachzügler wie mich. Abends um 20, 21 Uhr war ich erst wieder zu Hause. Es war eine echte Befreiung, als ich in Leipzig erstmals ausschließlich Fußball spielen konnte.
SPOX: Sie haben sich schon früh das Ziel gesetzt, spätestens mit 21 Jahren ins Ausland zu wechseln. Woher kam denn dieser Wunsch?
Poulsen: Ich hatte einfach die Vorstellung in mir, dass ich niemals ein Champions-League-Spieler werden kann, wenn ich mit 21 Jahren noch in Dänemark spiele. Ein bestimmtes Land hatte ich dabei gar nicht im Blick. So wie es jetzt lief, war das auch nicht ganz verkehrt.
SPOX: Sie haben fünf Jahre für Lyngby gespielt, die meisten Partien davon in der 2. dänischen Liga. 2013 ging es zu RB Leipzig, doch Sie wären zuvor beinahe beim VfB Stuttgart gelandet.
Poulsen: Das stimmt, das war im Jahr vor meinem Wechsel nach Leipzig. Beim VfB hat man sich dann doch gegen mich entschieden, weil sie mit einem jungen Stürmer verlängert haben. Daran ist es dann letztlich gescheitert.
SPOX: Wie kamen die ersten Kontakte zu RBL zustande?
Poulsen: Wenig später spielte ich mit der dänischen U19 ein Qualifikationsturnier in Zypern. Dort habe ich fünf Tore in drei Spielen geschossen und Vertreter aus Leipzig saßen damals auf der Tribüne. Daraufhin haben sie ein paar Scouts nach Dänemark geschickt, um meine Spiele bei Lyngby zu beobachten. Bei einem Qualifikationsspiel in Portugal führte ich dann die ersten Gespräche mit Ralf Rangnick. Die haben mir gleich sehr gut gefallen, der Wechsel ging dann recht schnell.
SPOX: Sie sollen Rangnick bei Ihrer ersten Begegnung gleich wie im Dänischen üblich geduzt haben.
Poulsen: Wir Dänen sind halt entspannter. Nur die Königin duzt man nicht, aber mit der hatte ich auch noch nicht so viel zu tun. (lacht) Es macht mir bis heute Schwierigkeiten, in Deutschland die Menschen zu siezen. Ich war es so gewohnt und das hat mir nie Probleme bereitet. Ralf Rangnick hat das damals auch nicht großartig gestört, denn er konnte sich wohl denken, dass das in Dänemark nicht verbreitet ist.
SPOX: Als der Transfer zu Leipzig publik wurde, gab es bei Emil Forsberg in seiner schwedischen Heimat kritische Stimmen, weil er in die zweite deutsche Liga wechselte, wie er im SPOX-Interview verriet. Wie war das bei Ihnen?
Poulsen: Genauso. Ich war damals der einzige Zweitligaspieler in der U21-Nationalelf und alle sagten, ich werde in ein paar Jahren in der A-Nationalmannschaft spielen. Daher hieß es: Wieso wechselt er dann in die deutsche 3. Liga? Für mich war das aber natürlich kein Rückschritt, auch wenn das die Medien so verkauft haben. Die Mentalitäten in Schweden und Dänemark ähneln sich ein bisschen: Da glauben viele, sie seien die Weltbesten. Man muss auch realistisch bleiben - für die Bundesliga war ich einfach noch zu schlecht. Und in Deutschlands 3. Liga gibt es genug Vereine, die in der 1. Liga in Dänemark mithalten könnten. Nach 15 Monaten in Leipzig habe ich dann mein Debüt in der A-Nationalelf gegeben. Von daher war der Wechsel offensichtlich nicht so verkehrt.
SPOX: In Leipzig haben Sie mit Joshua Kimmich eine Wohngemeinschaft gegründet. Das war Rangnicks Idee, oder?
Poulsen: Ja. Das war im Nachhinein gesehen eine der besten Entscheidungen in dieser Anfangszeit, denn das hat mir sehr geholfen. Ich war zum ersten Mal weg von zu Hause und Jo hatte in Stuttgart ausschließlich in der Akademie gewohnt. Ich war 19, er 18, da hat das schon Sinn ergeben. Wir hatten auch schon zwischenzeitlich Zimmer an Zimmer im Hotel gewohnt. Wir verstanden uns einfach auf Anhieb und dazu sprach er gut Englisch.
SPOX: Nach ein paar Monaten in Leipzig haben Sie vor einem Spiel in Chemnitz das Abschlusstraining um 14 Uhr verschlafen und wurden daher aus dem Kader gestrichen. Wie haben Sie das denn eigentlich hingekriegt?
Poulsen: Ich bin an diesem Tag ganz normal aufgestanden und habe zusammen mit Jo gefrühstückt. Danach bin ich zurück in mein Zimmer und habe mich nochmal ins Bett gelegt. Ich schlafe einfach sehr gerne. (lacht) Erst habe ich eine Serie geschaut und nebenher meinen Handy-Wecker gestellt. Irgendwann bin ich eingeschlafen. Das Problem war, dass mein Handy dann ein automatisches Software-Update gestartet und sich dadurch ausgeschalten hat.
SPOX: Und die Wecker-Funktion war dahin.
Poulsen: Genau, das Ding hat einfach nicht mehr geklingelt.
SPOX: Wieso hat Kimmich Sie nicht geweckt?
Poulsen: Er war zu dieser Zeit verletzt und musste früher als ich am Trainingsgelände sein. Ich bin erst aufgewacht, als unser Teammanager plötzlich in meinem Zimmer stand. Er hatte sich den Schlüssel von Jo besorgt.
SPOX: Diese Episode ist bald vier Jahre her. In dieser Zeit sind Sie eines der Gesichter bei RBL geworden und genießen ein riesiges Standing. Sie sind mit dem Klub zwei Mal aufgestiegen, Vizemeister geworden und spielen künftig in der Champions League. Reizt es Sie, langfristig zu bleiben und damit sozusagen zur ersten Leipziger Vereinslegende der Neuzeit zu werden?
Poulsen: Im Fußball ist nichts vorgegeben. Es kann sein, dass ich in dieser Saison das Tor nicht mehr treffe oder auf einmal 30 Buden mache. Ich habe keine Ahnung, daher sind Prognosen immer schwierig. Wenn sich der Verein und ich gleichermaßen und kontinuierlich entwickeln, ohne dass ein größerer Qualitätsunterschied besteht, ist das eine Möglichkeit. Ausschließen möchte ich das auf jeden Fall nicht.
SPOX: Auch Timo Werner wird in Leipzig gefeiert, seit seiner Schwalbe gegen Schalke hat sein Ruf in Deutschland allerdings schwer gelitten. In vielen Stadion ist er persönlich angefeindet worden. Wie blicken Sie auf solche Entwicklungen?
Poulsen: Solche schon fast absurden Entwicklungen sind ja leider in der gesamten Gesellschaft zu beobachten. Sehr vieles wird unglaublich dramatisiert, bekommt eine entsprechende Dynamik und Hysterie, jeder hat zu Dutzenden Themen eine Meinung. Das Ganze ist durch die globale Digitalisierung und die dazugehörige Anonymität natürlich noch weiter verschärft worden.
SPOX: Was sagt das für Sie aus?
Poulsen: Für mich war der Umgang mit Timo vollkommen unverständlich. Selbstverständlich ist der Fußball emotional, das wird er hoffentlich auch bleiben. Timo hat einen Fehler gemacht, den hat er eingesehen und sich dafür entschuldigt. Natürlich muss man als Mensch in der Öffentlichkeit damit klarkommen, aber immer gleich den Holzhammer auszupacken und draufzuhauen, kann doch auch nicht die Lösung sein. Man wird doch mit 20 Jahren auch einmal einen Fehler machen dürfen, schließlich ist kein einziger Mensch auf der Welt fehlerfrei. Was mich beeindruckt hat, ist wie Timo direkt danach gezeigt hat, wie man sich aus einer solchen Phase befreien kann - mit Toren und starken Leistungen.
SPOX: Seine Tore wird RBL auch in der kommenden Saison benötigen. Durch die erstmalige Teilnahme am internationalen Wettbewerb wird vor allem das Thema Doppelbelastung ein großes sein. Was wird sich verändern, um diese Herausforderung zu meistern?
Poulsen: Es steht fest, dass wir deutlich mehr rotieren werden als im Vorjahr. Anders geht es bei dieser Belastung auch fast gar nicht. Damit müssen wir im ersten Schritt erst einmal klarkommen. Es wird auch Ansätze in unserer Spielweise geben, um sie ökonomischer zu gestalten. Wir werden anders als in der letzten Saison auch mal gleich von Beginn an deutlich mehr Ballbesitz haben. Den müssen wir so gestalten, dass er effizient ist, aber wir auch Spielphasen haben, in denen wir uns erholen können, ohne den Ball zu verlieren. Genau diesen Entwicklungsschritt müssen wir machen. In der letzten Rückrunde ist uns das schon gut gelungen, jetzt gilt es, weiter daran zu arbeiten und es auszubauen.