Vielleicht war das Spiel gegen den SC Freiburg nicht der ultimative Härtetest. Ein Indikator, um erste Rückschlüsse auf den Einfluss des neuen Trainers auf die angeschlagene Bayern-Mannschaft zu ziehen, war es allemal. Nicht unerwartet prägte "Heynckes-Spieler" Javi Martinez das erste Kapitel der ewig jungen Zusammenarbeit - zurück in der Triple-Rolle.
"Javi weiß genau, dass er sich weiter steigern muss, er kann viel mehr", sagte Heynckes, räumte aber ein, dass der Prozess der Umstellung eben noch nicht abgeschlossen sei.
Aber - und da ließ er sich seinen Wunschspieler nicht madig machen - man habe "qualitativ ganz andere Möglichkeiten durch diesen Einkauf." Und Heynckes weiter: "Das ist immer das, was ich haben wollte: defensive Mittelfeldspieler, die auch Innenverteidiger spielen können."
Das war im Herbst 2012. Im Sommer hatten die Bayern den nicht nur von Heynckes, sondern auch von Sportchef Matthias Sammer für "sehr, sehr gut" befundenen Martinez für die Rekordablöse von 40 Millionen Euro nach langem Ringen mit Athletic Bilbao nach München geholt.
Und Martinez sollte sich steigern. Sechs Monate nach der Kritik des Trainers war er der stille Architekt für den Champions-League-Titel in Wembley als unbarmherziger Abfangjäger, Eroberer, Raumbesetzer und schier unfehlbarer Taktgeber im Spiel mit Ball.
Viereinhalb Jahre später war der Anlass freilich nicht ganz so groß und Martinez auch nicht ganz so brillant, doch deutete er an, weshalb ihn Heynckes gleich bei der ersten Gelegenheit genau in die Rolle steckte, die er im gemeinsamen Triple-Jahr vorzugsweise spielte: zentral vor der Abwehr, wo es zuletzt jede Menge Raum für Verbesserungen gegeben hatte.
Dort hatte ihn zuletzt bereits Interimstrainer Willy Sagnol gegen Hertha BSC hinbeordert - mit deutlich weniger Erfolg. Martinez offenbarte Schwächen im Stellungsspiel. Er fremdelte mit seiner einstigen Paradeposition. Kein Wunder, hatte er doch zuvor letztmals im Dezember 2015, also vor beinahe zwei Jahren, dort begonnen.
Martinez hat Anteil an der größeren Stabilität
Unter Heynckes war Martinez wie ausgewechselt. Er war plötzlich wieder ein Sechser, als hätte er nie woanders gespielt. Martinez brachte die Stabilität und Struktur ins Bayern-Spiel, die Heynckes als eines seiner vordringlichsten Ziele, neben der gebetsmühlenartig angesprochenen Mannschaftshierarchie, benannt hatte. Die Rückholaktion des Mannes, der ihn einst nach München geholt hatte, schien ihm gut zu tun.
Von leichten Wacklern zu Beginn abgesehen, die Freiburg durchaus zur Führung hätte nutzen können, stand das Bayernkonstrukt merklich stabiler. Großen Anteil daran hatte Javi Martinez, der spielte, wie jemand spielt, dessen Stärken auf den zentralen Positionen in der Abwehrkette und im defensiven Mittelfeld liegen.
Gewünscht konservativ machte Martinez dabei das Zentrum 25 Meter rechts und links der Mittellinie zu seinem absoluten Hoheitsgebiet. Spielerisch hielt er sich in einer insgesamt sehr agilen Mannschaft vornehm zurück, doch dafür brillierte er in seinen Kernkompetenzen: Er war zweikampfstärkster Spieler der Partie mit einer Quote von nahezu 90 Prozent und gerade in der Luft furchteinflößend dominant. Dreimal nahm er das Freiburger Gehäuse ins Visier, dreimal tat er dies per Kopf.
Auswechslung wegen Schulterverletzung
Ärgerlich war nur, dass er nach 70 Minuten vom Platz musste. Der Grund: eine Verletzung des rechten Schultergelenks.
"Wenn Javi sich auswechseln lässt, dann ist es bedenklich, er ist nicht nur ein Baske, sondern ein robuster Typ und großer Kämpfer", sagte Heynckes hinterher mit Sorgenfalten auf der Stirn. Zwar teilte Martinez später bei Instagram mit: "Nur ein paar Tage, dann bin ich zurück." Mindestens für die anstehende Champions-League-Partie gegen Celtic dürfte es allerdings eng werden, laut kicker-Informationen sogar gegen den HSV.
Für Heynckes wäre ein Ausfall seines Schlüsselspielers ein harter Schlag - lobte er die Balance seiner Doppelsechs nach dem Sieg gegen Freiburg doch ausdrücklich: "Javi und Thiago haben im Mittelfeld eine beeindruckende Leistung gezeigt. Javi mit seinen Charakteristiken im defensiven Mittelfeld und Thiago mit viel Kreativität, guter Ballbehandlung und Übersicht. Das war außergewöhnlich."
Insgesamt trat der 72-Jährige jedoch auf die Euphoriebremse: "Das ist ein positiver Anfang nach den letzten Wochen, aber es liegt sicher noch einiges an Arbeit vor uns, das ist mir bewusst. Es ist nicht alles wunderbar", analysierte Heynckes den Auftakt seiner vierten Amtszeit in München. "Es kommen schwerere Gegner, dann müssen wir viel souveräner agieren."
Martinez sorgt für Ordnung im Spiel des FC Bayern
Wie souverän das sein kann, das hat gerade Javi Martinez angedeutet. Knüpft er an die Leistungen aus dem Frühjahr 2013 an, dann könnte tatsächlich alles wunderbar sein. Doch Zeit für kühne Träume ist nicht, das hat Heynckes bei seiner Vorstellung vor einer Woche klargemacht.
"Zunächst ist meine Aufgabe, wieder Ordnung zu schaffen. Das heißt Ordnung im Spiel. Und nicht über große Ziele zu philosophieren."
Gemessen daran war Spiel 1 nach der Unruhe ein voller Erfolg, der noch den hübschen Nebeneffekt brachte, den Rückstand auf Dortmund von fünf auf zwei Zähler zu verkürzen.
Klar ist aber: Es war nur ein Anfang, und Freiburg nicht der Maßstab. Das soll die Leistung von Javi Martinez nicht schmälern, allerdings ein wenig relativieren. Auch der Ordnungshüter kann noch viel mehr - und keiner wüsste das besser als sein neuer und alter Trainer.