Grau gibt's nicht beim HSV

Julian Pollersbeck vom Hamburger SV steht schwer in der Kritik
© getty

Julian Pollersbeck steht nach seinem Wechsel zum Hamburger SV in der Kritik. Der Torhüter rutschte zuletzt in der internen Rangliste noch weiter nach hinten und wird nun Opfer eines alten HSV-Syndroms.

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Der Begriff Vorschusslorbeeren wird dem gar nicht gerecht, was Julian Pollersbeck nach seinem Wechsel vom 1. FC Kaiserslautern zum Hamburger SV entgegen schwirrte. Der junge Torhüter kam als frisch gebackener U21-Europameister, als 3,5-Millionen-Euro-Transfer, als potentieller Nachfolger von Ex-Nationalspieler Rene Adler.

Einige Monate später scheint das alles verschütt gegangen zu sein. Pollersbeck war zwischenzeitlich sogar die Nummer drei beim HSV hinter Christian Mathenia und Tom Mickel, gegen Hoffenheim saß er wieder als Stellvertreter Mathenias auf der Bank. Zu Buche stehen bisher neben ein paar Einsätzen in Freundschaftsspielen vor allem zwei Partien in der Regionalliga Nord.

Nach der Vorbereitung entschied sich Trainer Markus Gisdol dazu, mit Mathenia "als Nummer eins in die Saison zu gehen", vor einigen Wochen schließlich auch dazu, lieber Mickel auf die Bank zu setzen als Pollersbeck. Seitdem sitzt der 23-Jährige auf der Tribüne - von der Anfangseuphorie ist nicht mehr viel übrig.

Julian Pollersbeck, das Feierbiest

Der Grund dafür scheint schnell gefunden. Gerry Ehrmann, Torwarttrainer von Pollersbeck in Lautern, meldete sich medienwirksam bei Sport1 zu Wort: "Er denkt, er habe es nicht nötig. Er ist zu bequem und hat sehr wenig Eigenantrieb. Julian fehlt es an Selbstkritik. Du musst ihn zu seinem Glück zwingen."

Pollersbeck wird seitdem das Image des Feierbiests nicht mehr los. "Ich habe gehört, dass er in Hamburg um die Häuser ziehen soll", brachte Ehrmann den Stein ins Rollen, mehrere Medienberichte schlossen sich diesem Tenor an. Direkt nach dem EM-Gewinn hatte Pollersbeck mit diesem Image noch für Lacher gesorgt.

Mit kultigen Sprüchen schien der junge Torhüter auf dem Weg zum Publikumsliebling zu sein. Endlich wieder ein Profi, der frei Schnauze spricht. Der "neue Podolski" schien gefunden, U21-Trainer Stefan Kuntz sprach von einer "Stimmungskanone", nachdem Pollersbeck im Anschluss an den Titelgewinn zu Mallorca-Hits aus der Mixed-Zone getanzt war.

Bessere Leistungen der Konkurrenz

Eben dieser Kuntz musste seinem Torhüter nun zu Hilfe eilen. In der MOPO sagte der DFB-Trainer: "Die Vorwürfe, die es gerade gegen Julian gibt, kann ich nicht bestätigen. Letztlich kann ich nur die Zeit von ihm bei der Nationalmannschaft beurteilen. Da war er ehrgeizig, wissbegierig und trainingsfleißig. Er war immer für das Team da."

Auch Sportdirektor Jens Todt merkte im Abendblatt an: "Es gibt von uns keinen Tadel, dass sich Julian unprofessionell verhalten würde." Der Bild erklärte er: "Julian arbeitet an seiner Physis. Grundsätzlich ist er auf einem guten Weg." Der gute Weg verrät aber auch: Das war noch nicht immer so.

Gisdol, der mit der Degradierung Pollersbecks zur Nummer drei für den öffentlichen Aufschrei sorgte, hatte immer wieder betont, nur nach dem Leistungsprinzip aufzustellen. Das bedeutet: Mathenia und auch Mickel haben in seinen Augen bessere (Trainings-)Leistungen gebracht als der 23-Jährige.

Pollersbeck ergreift Maßnahmen

Und wenn Todt anspricht, dass Pollersbeck an seiner Physis arbeitet, dann gab es dort wohl noch Verbesserungspotenzial. Dem Neuzugang scheint dies deutlich geworden zu sein. Angeblich hat er seine Ernährung umgestellt und absolviert Extra-Schichten im Box-Studio und mit Torwart-Trainer Stefan Wächter.

Sollten diese Maßnahmen greifen, das erkennt selbst Ehrmann an, hat der HSV einen sehr guten Torhüter: "Wenn Julian richtig hart trainiert, dann ist das alles in Ordnung, von der Körpergröße her und fußballerisch. Aber man muss ihm zwei Mal die Woche den Arsch aufreißen, weil er von sich aus nichts macht."

Berater Roman Rummenigge sah sich bereits dazu gezwungen, sich vor seinen Schützling zu stellen: "Klar ist, dass ein Klub seinen eigenen Spieler schützen muss, wenn über ihn Dinge verbreitet werden, die nicht der Wahrheit entsprechen. Wir werden uns sehr genau anschauen, wie es in den kommenden Wochen mit Julian weitergeht."

Talent unter Beobachtung

Damit wird Rummenigge nicht der einzige sein. Pollersbeck steht unter Beobachtung - von Trainer, Sportdirektor, Fans, Medien, Beratern und ehemaligen Trainern. Das macht es dem jungen Mann nicht einfacher, seine Leistungen wieder auf das gewohnte Niveau aus Kaiserslautern und dem DFB-Team zu heben.

Hier greifen alte Mechanismen des HSV. Entweder ein Talent ist überragend (Jan-Fiete Arp) oder furchtbar (Julian Pollersbeck). Etwas dazwischen gibt es in der Hansestadt eigentlich nicht. Schwarz oder weiß, aber nur kein grau, könnte das Motto der Jugendförderung beim Bundesliga-Dino heißen.

Das liegt nicht allein am Verein, auch das Umfeld macht es seinen Talenten nicht einfach. In der Vergangenheit mussten das bereits einige Spieler am eigenen Leib erfahren. Alen Halilovic ist ein gutes Beispiel für den Absturz vom nächsten Messi hin zum rebellischen und überbewerteten Kicker.

Experimente im Abstiegskampf?

"Sie sagten mir, dass ich ein Projekt sei. Ich habe Hamburg ausgewählt, und ich war sehr glücklich, als ich kam. Aber dann haben wir die Saison schlecht begonnen, viele Spiele verloren, und dann wurde das Denken geändert: weniger kreieren, mehr verteidigen, keinen Fußball mehr spielen", sagte der Kroate nach seinem Abschied per Leihe.

Das Denken beim HSV hat sich seitdem nicht wirklich geändert. Das verwundert aber auch nicht. Jugendförderung bedeutet Experimente - und Experimente kann man sich im Abstiegskampf eigentlich nicht leisten. Gleichwohl zeigen die Einsätze von Arp oder auch Tatsuyao Ito, dass Gisdol offen für junge Spieler ist.

Es ist eben grau und nicht schwarz-weiß. Der Verein muss einem jungen Torwart wie Pollersbeck durch eine schwere Phase helfen. Auf der anderen Seite liegt es aber auch in der Verantwortung eines Talents, sich die Worte seiner Kritiker zu Herzen zu nehmen und eine Schippe draufzupacken.

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