Peter Fischer ist bald der Präsident mit der längsten Amtszeit in der Geschichte von Eintracht Frankfurt. Der 61-Jährige führte vor seiner Zeit bei der SGE ein bewegtes Leben. Im Interview spricht Fischer über den Start als Präsident, sein ungewöhnliches Aufwachsen, die Probleme zwischen Fans und DFB sowie sein Vor-Ort-Erlebnis beim Tsunami 2004 in Thailand.
SPOX: Herr Fischer, einen Wikipedia-Eintrag findet man zu Ihnen nicht, dafür aber reichlich Beschreibungen wie "Phänomen" oder "schrill-schräger Präsident". Können Sie sich damit anfreunden?
Peter Fischer: Wenn Menschen extrovertiert sind, polarisieren sie in unserer Gesellschaft. Das trifft sicherlich auch ein Stück weit auf mich zu. Ich stehe aber einerseits zu meinem Stil und akzeptiere gleichzeitig andere Meinungen, sodass ich mich grundsätzlich nicht gegen subjektive Darstellungen über mich und mein Image aus früheren Zeiten wehre.
SPOX: Mit früher meinen Sie die Zeit, bevor Sie im Jahr 2000 Präsident von Eintracht Frankfurt geworden sind?
Fischer: In etwa. Ich hatte zu Beginn meiner Amtszeit noch längere Haare, war braungebrannt, hatte meinen Zweitwohnsitz auf Ibiza und trug farbige Anzüge. Zu jener Zeit entstand das von Ihnen erwähnte Bild von mir. Mir wurde durchaus Sympathie zuteil, aber ich passte nicht ins Präsidenten-Klischee und lag damit nicht im Mainstream. Mittlerweile habe ich meine mediale Präsenz deutlich zurückgefahren, erfinde mich aber auch nicht neu, sondern bleibe, wie ich bin.
SPOX: Stand jetzt bleiben Sie Präsident bis mindestens 2018 und wären dann so lange im Amt wie keiner Ihrer Vorgänger. Sie sagten einmal, es sei eine "idiotische Entscheidung" gewesen, diesen Job anzunehmen.
Fischer: Das Ganze hat eine Vorgeschichte. Ich gehörte schon einmal Ende der 1990er Jahre zum Kreise der Kandidaten für das Präsidentenamt. Letztlich wurde Rolf Heller gewählt. Zuvor lud mich damals ein großer Unternehmer, mit dem ich erfolgreich zusammenarbeitete, in sein Büro nach Bad Homburg ein. Er stellte mir Rolf Heller vor. Wir kamen über unsere Eintracht-Affinität ins Gespräch. Nach zwei Stunden meinte er: Wenn ich mir das alles so anhöre, was du sagst und wie du die Zukunft des Klubs strukturieren würdest - warum machst denn du das nicht? Damals habe ich nur darüber gelacht und keine Sekunde auch nur einen Gedanken daran verschwendet.
spoxSPOX: Wie konnte man Sie dann ein paar Jahre später also dazu überreden?
Fischer: Man hatte mich zusammen mit zwei, drei anderen Leuten angesprochen, einen Präsidenten für die Eintracht zu suchen. Ich war Unternehmensberater und hatte ein großes Netzwerk. Die Suche verlief aber bei uns allen im Nichts. Als wir dann erneut zusammensaßen und uns beratschlagten, schlugen meine Mitstreiter unvermittelt vor, dass ich das doch machen könne. Das wäre kein großes Problem. Einmal pro Woche eine Sitzung, einen besseren Parkplatz am Stadion - um Karten müsse ich mich auch nicht mehr kümmern. Also versuchte ich es mal. (lacht)
SPOX: Ganz so unproblematisch war es dann aber nicht, oder?
Fischer: Selbstverständlich nicht. Wir hatten kaum Mitglieder, es gab vier Mitarbeiter, die Infrastruktur lag komplett brach und unter 60 Stunden Arbeit in der Woche ging für mich nichts.
SPOX: Haben diese Umstände Ihren Ehrgeiz erweckt, künftig als Präsident so erfolgreich sein zu wollen wie in Ihrem vorherigen Berufsleben?
Fischer: Zunächst einmal wurde ich bei einer Pressekonferenz vorgestellt. Ich kam gerade von einem zweitägigen Besuch bei einem Freund auf Mallorca zurück. Mit ihm hatte ich mich zu der Situation und Position ausgetauscht. Nun wurde ich zu meinen Vorstellungen als Präsident gefragt. Ich formulierte drei Ziele: Der Verein solle 10.000 Mitglieder haben, es müsse ein neues Trainingszentrum am Riederwald entstehen und ich möchte eine starke Verzahnung vieler Sportarten hin zu einem Mehrspartenverein, weil ich uns auch als Bürgerinitiative sehe. Am nächsten Tag stand in der Presse: Der naive, blauäugige Blonde soll lieber wieder surfen gehen. Ich hielt diese Vorhaben aber nicht für naiv, sondern für richtig und logisch. Ich hätte allerdings nie gedacht, dass die Aufgaben in meiner Amtszeit so komplex und vielfältig werden.
SPOX: Aktuell streben Sie die Marke von 50.000 Mitgliedern an, der Riederwald erstrahlt schon längst wieder in neuem Glanz. Gab es zwischenzeitlich auch mal Phasen, in denen Sie am liebsten hinwerfen wollten?
Fischer: Es gab vor einigen Jahren eine kurze Wackelzeit. Ich wurde damals aus dem Eintracht-Umfeld persönlich angriffen und es wurde versucht, mich mit unwahren Behauptungen aus dem Amt zu treiben. Doch letztlich war mein Ehrgeiz größer und diese Zeit ein Ansporn für mich, es meinen Gegnern zu zeigen. Es hat funktioniert. Ich verspüre bis zum heutigen Tage eine unheimlich große Solidarität der Abteilungsleiter und Vereinsmitglieder, die mich zum Weitermachen bewegt haben.
SPOX: Im vergangenen Jahr sind Sie 60 Jahre alt geworden. Wie lange wollen Sie noch im Fußball arbeiten oder ist für Sie ein Leben ohne die SGE mittlerweile unvorstellbar geworden?
Fischer: Ich brauche Inhalte oder Aufgaben, die mich reizen, beanspruchen und bei denen ich aktiv etwas vorantreiben und verbessern kann. Dies ist bei der Eintracht der Fall. Deshalb werde ich mich am 28. Januar 2018 bei der Mitgliederversammlung erneut als Präsident für die kommenden vier Jahre zur Wahl stellen.
SPOX: Wie gehen Sie grundsätzlich mit dem Thema Alter um?
Fischer: Auch wenn ich mittlerweile mehr Wehwehchen habe, fühle ich mich noch jung. Dafür sorgen meine jüngere Partnerin, mein achtjähriger Sohn und mein privates Umfeld, das aus vielen jüngeren Menschen besteht. Auch bei Eintracht Frankfurt sind die Angestellten und Sportler jung, sodass ich immer das Gefühl habe, einer von ihnen zu sein.
SPOX: Sie wurden auf einem Bauernhof in Lich bei Gießen groß, Ihr Vater ist früh verstorben und mit 13 Jahren brachen Sie die Schule für eine Lehre beim Kaufhof in Frankfurt ab. Was für ein Kerl waren Sie in Ihrer Jugend?
Fischer: Mein Onkel brachte mich damals zum Kaufhof. In mir schlummerte schon immer die Sehnsucht nach der großen Stadt. Ich habe in WGs gelebt, abends gejobbt und musste zusehen, wie ich meinen Lebensunterhalt finanziere. Dazu war ich sehr früh sehr politisch interessiert.
SPOX: Inwiefern?
Fischer: Ich war gegen Schule und das Establishment. Ich habe Bücher gelesen und Veranstaltungen besucht, die für mein Alter unüblich waren. Ich führe das vor allem auf die Stadt Frankfurt zurück. Das war eine linke Universitätsstadt mit einer starken Studentenbewegung, die sich vom vorherrschenden Schwarz-Weiß-Denken abgrenzte und gegen Ungleichheit protestierte. Diese Themen habe ich aufgesaugt und sie ließen mich umtriebig werden.
SPOX: Bestand die Gefahr, auf die schiefe Bahn zu geraten?
Fischer: Nein. Ich habe früh angefangen, eigenständig und unabhängig zu sein. Ich probierte beruflich viele Dinge aus und hatte damals beispielsweise ein Geschäft für Tennisartikel und eine kleine Boutique. Darauf wollte ich zwar nicht mein Leben aufbauen, aber ich unterlag eben dem klassischen wirtschaftlichen Zwang, mich finanziell durchschlagen zu müssen. Dass ich dabei meinen eigenen, nicht immer normalen Lebensweg gegangen bin, erfüllt mich bis heute mit Stolz.
SPOX: In den 1970er Jahren waren Sie an einer Diskothek und Clubs auf Mallorca und Ibiza beteiligt und stiegen letztlich erfolgreich in die Werbebranche ein. Das brachte Sie am Ende zu Ihrer aktuellen Funktion bei der Eintracht. Haben Sie sich gegenüber der damaligen Zeit als Person großartig verändert?
Fischer: Nein. Ich würde mich als kritischen Zeitgeist und querdenkenden Demokrat bezeichnen. Ich distanziere mich auch in meiner Funktion als Präsident sehr eindeutig von allem, was rassistisch, diskriminierend, nationalsozialistisch und anti-demokratisch ist. Ich bin der Meinung, dass Sport in dieser Hinsicht auch politisch sein muss. Meine Ecken sind aber durch viele Informationen und die Lebenserfahrung runder geworden. Man erkennt mit den Jahren durchaus, dass man mit seiner Meinung vielleicht auch nicht immer richtig lag oder man auch mal übers Ziel hinausgeschossen ist.
SPOX: In Ihrem Steckbrief auf der Frankfurter Homepage steht unter Hobbies lediglich ein Begriff: Eintracht Frankfurt. Was sind sonst Ihre größten Laster?
Fischer: Mein größtes Laster ist sicherlich das Rauchen, aber darauf bin ich nicht stolz. (lacht) Was ich lieber erwähnen möchte, ist mein Drang nach Verständnis und Bildung. Ich stelle mir schon mal mitten in der Nacht den Wecker und schaue bewusst eine Dokumentation im Fernsehen, weil ich dadurch relativ schnell und komprimiert über ein interessantes Thema informiert werde. Das geht auch mit Hilfe von Büchern. Kürzlich habe ich ein Buch über die Entstehung der Kastensituation in Indien gelesen. Dieses Wissen werde ich vermutlich in meinem ganzen Leben nicht unbedingt brauchen, aber mich interessieren diese Dinge einfach. Dafür muss es nicht immer einen plausiblen Grund geben.
SPOX: Dass die Eintracht als Ihr einziges Hobby angegeben ist, liegt auch am Umstand, dass Sie Anfang der 1970er Jahre Ihre erste Dauerkarte im berühmten G-Block des Waldstadions kauften. Wie sah Ihr Fandasein genau aus?
Fischer: Auslöser war mein Vater, der Eintracht-Fan und 1959 sogar beim Endspiel um die deutsche Meisterschaft zwischen der Eintracht und Kickers Offenbach im Berliner Olympiastadion dabei war. Zehn Jahre später unternahm ich ohne Geld einen Ausflug nach Stuttgart zum Spiel der Eintracht gegen den VfB. Dort kaufte ich mir für drei Mark eine Eintracht-Fahne und stand inmitten von VfB-Fans. Wir haben hoch verloren und mit jedem Gegentor rollte ich die Fahne weiter ein. Das war aber mein Eintracht-Erlebnis schlechthin. Es war der Anfang meiner großen Leidenschaft und Begeisterung. Dazu gehört auch, dass ich einen Kumpel beim Kaufhof hatte, der wusste, wie wir ins Stadion kamen, ohne ein Ticket zu kaufen - und immer wenn ich konnte, war ich mit ihm unterwegs bei den Heimspielen. Mit der Zeit kamen dann auch Auswärtsfahrten in gemieteten Kleinbussen dazu, die Gemeinschaft innerhalb dieser Clique faszinierte mich. Es war ein klassisches Leben als Fan.
SPOX: Aktuell rebellieren die deutschen Fanszenen gegen den DFB, der nun nicht nur zu Gesprächen bereit ist, sondern auch schon ein Umschwenken bei Themen wie Kollektivstrafen ankündigte. Können Sie die Unzufriedenheit in Deutschlands Kurven verstehen?
Fischer: Grundsätzlich schon. Die Kommerzialisierung hat längst gewisse Auswüchse und ja, da gibt es Dinge, die man einfach nicht tun sollte.
SPOX: Heißt?
Fischer: Wenn man so sehr fußballromantisch veranlagt und gegen die Kommerzialisierung ist, dann bleibt heutzutage - und das kann man durchaus bedauern - nur noch der unterklassige Fußball. Im Profifußball wird es nicht mehr die große Fußballromantik geben können. Wir werden in den lukrativen Wettbewerben noch ganz andere Dinge erleben als bisher - und es ist klar, dass darüber natürlich nicht alle glücklich sind.
SPOX: Wie meinen Sie das?
Fischer: Es gibt in Deutschland drei Gruppen von Vereinen, die wirtschaftlich in einer anderen Liga spielen: Eine bezahlte Gruppe von internationalen Konzernen, eine von reichen Mäzenen und eine von Investoren. Das allein sind schon völlig unterschiedliche Voraussetzungen. Die Kommerzialisierung hat in diesem Wettbewerb einen Raum eingenommen, der so groß ist, dass man gezwungen ist ihn zu füllen, wenn man sich nicht vom Profifußball abmelden möchte.
SPOX: Das sind Beispiele, die auch die Fans vorbringen. Sie laufen Sturm gegen die Argumentation, man solle sich dem Amateurfußball zuwenden, wenn man die Schnauze voll habe.
Fischer: Man muss Verständnis für die Gedankenwelt dieser meist jungen Fans haben, sie aber gleichzeitig kommunikativ mitnehmen, also ihnen die aktuelle Entwicklung und die Zwänge für die handelnden Personen in einem Verein erklären. Sie müssen verstehen, dass man mittlerweile nur noch unter bestimmten Voraussetzungen gegen die Bayern spielen kann. Das ist natürlich ein längerer Prozess, der Geduld erfordert. Wir müssen aber auch aufpassen, dass der Profifußball nicht zum Event mit Feiercharakter gemacht wird.
SPOX: Wie stehen Sie denn als unmittelbar Betroffener zum Auftritt von Helene Fischer im DFB-Pokalfinale? Ihr Sportvorstand Fredi Bobic hat diesen mit klaren Worten gegeißelt.
Fischer: Es gibt bestimmt Menschen, die solche Events für eine gelungene Idee halten und Gefallen daran finden. Dieses Bild widerspricht jedoch der Idee des ursprünglichen Fußballspiels, dem positiven Fanatismus und dem außergewöhnlichen Engagement, wenn Menschen kreuz und quer durch die Republik fahren und ihr letztes Geld für eine Eintrittskarte hergeben.
SPOX: Dass aber dennoch ein musikalischer Auftritt in der Halbzeitpause eines Fußballspiels durchgewunken wird, empfinden viele Fanszenen nicht nur als Provokation, sondern vor allem als Zeichen des Unverständnisses von Faninteressen. Das erscheint auch nachvollziehbar, oder nicht?
Fischer: Der DFB muss sich den Fragen der Fans stellen und überlegen, was er verändern kann - und das auf einer fairen, sauberen Ebene und in einer langen und offenen Diskussion.
SPOX: Zumal es für beide Seiten ohnehin utopisch ist, nach hundertprozentigen Veränderungen zu streben.
Fischer: Ich bin mir sicher, dass es einen breiten Korridor der Begegnung gibt, in dem geklärt werden kann, was künftig versucht wird, was künftig verändert wird und was weiterhin Bestand haben wird. Diesen Korridor sehe ich als vollkommen problemlos moderierbar an. Wenn diese Gespräche seriös und sachlich geführt werden, halte ich sie für eine große Chance.
SPOX: Ein weiteres Problem, in diesen Tagen umso deutlicher gesellschaftlicher Natur, ist der Rechtsextremismus. Wie viel Sorge macht Ihnen dieser grundsätzliche Rechtsruck, der auch im Fußball eine Schnittmenge findet?
Fischer: Ich schäme mich für rund 13 Prozent der Deutschen, die bei der letzten Bundestagswahl den Rechtspopulisten ihre Stimme gegeben haben. Das Problem des Rechtsextremismus gibt es leider auch in vielen Fanszenen. Leider ist Rechtspopulismus kein Phänomen des Fußballs allein, sondern längst wieder in Teilen unserer Gesellschaft präsent.
SPOX: Es ist einem glücklichen Umstand zu verdanken, dass wir dieses Interview überhaupt führen können. Sie erlebten am 26. Dezember 2004 den Tsunami an der Küste Thailands hautnah mit und konnten Ihre Familie und sich in letzter Sekunde retten. Wie erinnern Sie sich an diesen fatalen Tag?
Fischer: Um acht Uhr Ortszeit hat die Erde gewackelt. Davon wurde ich wach. Ich habe gefrühstückt und ging danach viel früher als üblich an den Strand. Der lag in einer Bucht in Bananenform, an die sich eine Art Berg von 80, 90 Metern Höhe anschließt. Das war der Vorteil dieser kleinen Ecke. Der Druck des Wassers war geringer und wir konnten schnell in die Höhe kommen. Als ich sah, wie das Wasser zurückging, war mir klar, dass es wieder zurückkommen würde.
SPOX: Anschließend engagierten Sie sich für die Opfer und arbeiteten in der Hilfsgemeinschaft "help children of phuket".
Fischer: Ich bin vor Ort geblieben, in unserem Umfeld gab es elf Tote. Wir haben viel Geld gesammelt. Der erste Scheck über 25.000 Euro kam aus der Frankfurter Fankurve. Damit ließen wir zum Beispiel Schulen aufbauen, die fast alle in der Nähe des Meeres standen. Die Tragödie ereignete sich an einem Sonntag, so dass kein Schulbetrieb war. Ich will mir gar nicht ausmalen, was das ansonsten für Ausmaße angenommen hätte.
SPOX: Aus der heutigen Warte heraus betrachtet: Was hat dieser Tag mit Ihnen gemacht?
Fischer: Er hat mich nicht total verändert. Die Endlichkeit des Lebens ist mir in dieser Situation jedoch intensiv wie selten bewusst geworden. Solche Tragödien können jeden von uns irgendwann und irgendwo treffen. Die Bilder der toten Menschen, die bekomme ich nicht mehr aus meinem Kopf, aber ich habe auch ein Stück weit von den Buddhisten und ihrem Umgang mit der Tragödie und der Trauer gelernt.