Der BVB nach dem Bosz-Aus und Stögers Übernahme: Das Umdrehen darf nicht aufhören

Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc sind beim BVB in den kommenden Monaten gefordert
© getty

Die Forderung von BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, alle Steine umzudrehen, um der verheerenden sportlichen Krise zu entkommen, ist fehlgeschlagen. Zuletzt haben sich die Baustellen rund um den Klub derart angehäuft, dass Borussia Dortmund verstärkt auf das Gesamtgebilde blicken muss, um im Sommer einen zukunftsfähigen Neustart hinlegen zu können.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Man musste sich am Sonntagvormittag nicht einmal Mühe geben zu erkennen, dass im Presseraum des Signal Iduna Parks keine Aufbruchsstimmung erzeugt wird. Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc, die beiden Hauptverantwortlichen bei Borussia Dortmund, saßen die meiste Zeit mit versteinerten Mienen neben dem neuen Trainer Peter Stöger.

Auch die Mimik des Österreichers ließ kaum Spielraum für andere Interpretationen. Diese Szenen kurz vor Weihnachten sind der vorläufige Höhepunkt einer Fehlentwicklung, die das Jahr 2017 trotz des Triumphs im DFB-Pokal zu einem traurigen Kapitel in der BVB-Vereinschronik werden lässt.

Die Krawalle vor dem Heimspiel gegen Leipzig, die Sperrung der Südtribüne, der Streit mit Ex-Coach Thomas Tuchel, der Umgang mit dem Anschlag auf den Mannschaftsbus, der sportliche Niedergang mit der Entlassung des von Watzke und Zorc zum Aufbruchsstimmungs-Messias stilisierten Peter Bosz, die Verpflichtung des kurz zuvor beurlaubten Stöger: All diese teils ins Groteske ausgearteten Episoden sind in den letzten zwölf Monaten in rastloser Reihenfolge über den Klub hereingebrochen.

Dortmunds Baustellen sind kein Phänomen von 2017

Schleichend begonnen hat die vor allem strukturelle Misere allerdings schon zuvor. Die angehäuften Baustellen rund um den BVB sind kein Phänomen des bald abgeschlossenen Jahres.

Hier muss man zurückgehen bis in die Zeit unter Jürgen Klopp. Der Trainer, der wie Arsch auf Eimer nach Dortmund passte, hievte den Verein sportlich und finanziell auf europäisches Top-Niveau. Dieses Erbe galt es nach Klopps Abgang zu moderieren und zu verfestigen, um sich auf Dauer in der Beletage des Fußballs einzunisten.

In den ersten Momenten schien dieses Unternehmen leichter und automatischer als gedacht zu funktionieren, denn Klopp-Nachfolger Tuchel coachte den aus einer ähnlichen Krise wie heute kommenden Klub in der Saison 2015/16 zum besten Tabellenzweiten der Bundesligageschichte.

BVB mit Problemen beim Klopp-Erbe

Doch anschließend brachen der Borussia die Säulen weg, die den Kader strukturierten und ihm Halt gaben. Namentlich waren das Kapitän Mats Hummels, Stratege Ilkay Gündogan und Scorer Henrikh Mkhitaryan. "Es ist völlig ausgeschlossen, dass alle drei nächstes Jahr nicht für Borussia Dortmund spielen. Das kann ich ausschließen!", verkündete Watzke damals. Falsch gedacht.

Seit diesem Zeitpunkt ging es ein bisschen dahin mit der Regelung des Klopp-Erbes. Dortmunds selbst auferlegte Ziele wurden de facto erreicht. Auf dem Transfermarkt schaffte es der Klub jedoch nicht, das eingenommene Geld so zu investieren, dass sich im Kader wieder eine gesunde Hierarchie bildet.

Dem BVB fehlt es nicht an Talenten, jedoch an Führungspersönlichkeiten, die zugleich konstant auf Champions-League-Level spielen können. Die Mehrzahl der größeren Millionen-Investitionen konnte die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen, die verloren gegangenen Stützen im Kader somit nicht neu aufgebaut werden.

Dass sich die Westfalen trotz der nach Klopp weniger effektiven Transferpolitik und den zahlreichen Erschütterungen in der Vorsaison erneut für die Champions League qualifizierten und den Pokal gewannen, war aller Ehren wert und eine starke Leistung. Der anschließend überfällige Trainerwechsel allerdings nicht. Die Trennung von Tuchel war für die Ausrichtung des Klubs ein nicht einkalkulierter Rückschlag.

Watzkes Forderung darf kein Ende finden

So wird der BVB im kommenden Sommer wieder an jenem Punkt ankommen sein, an dem man sich schon nach dem Ende Klopps wähnte: Der BVB wird unter Stögers Nachfolger, den es nach jetzigem Stand geben wird, erneut das Erbe der Klopp-Ära regeln und vor allem definieren müssen, wie der Klub langfristig die "neu" erklommene Stufe halten kann.

Watzkes auf der Mitgliederversammlung Ende November an Bosz und Zorc formulierte Forderung, alle Steine umzudrehen, um der verheerenden sportlichen Krise zu entkommen, darf kein Ende finden. Bis zum Start in die neue Spielzeit muss klarer werden, wie sich der Klub aufstellen und seine sportliche Philosophie umsetzen möchte.

Wenn es wie kürzlich kolportiert stimmt, dass die Entscheidungsträger beim BVB Bosz' Spielweise weniger radikal erwartet hätten, wäre dies ein schwerwiegender Fehler, der ebenso wenig nicht mehr passieren darf wie die fadenscheinige Duldung des Umgangs mit dem verdienten Kaderplaner Sven Mislintat, bei dessen Abgang auch eine ordentliche Portion Enttäuschung eine Rolle spielte.

Nächste BVB-Transfers müssen sitzen

Ansonsten wird dem BVB ein zukunftsfähiger Neustart für die kommenden Jahre kaum gelingen, wenn die konkurrierenden "Vereine jetzt mit 280 km/h auf der linken Spur an uns vorbeiziehen wollen" (Watzke). Wirtschaftlich glänzt der Klub wie noch nie zuvor, die nächsten Schüsse auf dem Transfermarkt müssen aber sitzen, um eine allem Anschein nach gespaltene und unstrukturierte Mannschaft wieder zu erneuern.

Dort schlummern nämlich Gefahrenherde und Potenziale zugleich. Die Grüppchenbildung innerhalb der Truppe lässt sich noch zu Teilen auf Tuchels Abgang zurückführen, da es sich der Ex-Coach nicht mit jedem einzelnen Spieler verscherzt hat und unterschiedliche Fraktionen entstanden sind.

Es wird darauf ankommen, dieses aus kleinen Mosaiksteinchen zusammengesetzte Gesamtgebilde verstärkt im Blick zu haben und dabei auch unpopuläre Personalentscheidungen zu treffen. Julian Nagelsmann ist auf der Trainerposition der Favorit für diese Aufgabe. Er scheint als Typ auf den ersten Blick ein geeigneterer Klopp-Thronfolger als der knorrige Tuchel und der emotionslose Bosz.

Vereinsphilosophie muss über der des Trainers stehen

Ob Nagelsmann in seinem jungen Alter und mit der geringen Erfahrung bereits mit den Herausforderungen eines Klubs der Größe Dortmunds umgehen kann, vor allem den nicht-sportlichen, steht auf einem anderen Blatt.

Sollten sich die Vereinsoberen bei der Analyse des schleichend eingekehrten Zustandes darauf einigen, dass Nagelsmann für den nächsten Schritt der richtige Trainer sei, wäre es auch richtig, diese Personalie tatsächlich zu forcieren. Doch dessen muss man sich zwingend sicher sein, weil die Philosophie des Vereins über der eines Trainers stehen muss.

Ist dies nicht der Fall, schrumpft ein Klub - so wie es dem BVB des Jahres 2017 trotz Titelgewinn passierte. Dann greift Hilflosigkeit um sich und das Kartenhaus stürzt ähnlich wie zu Beginn von Klopps letzter Saison in Dortmund rasant ein. So ist es im Moment eben schwer, nach innen und außen eine authentische Aufbruchsstimmung zu vermitteln.

Artikel und Videos zum Thema