Michael Zorc nannte es "einen Spezialfall, eine für mich neue Dimension". Der Manager von Borussia Dortmund treibt sich seit bald 40 Jahren in der Bundesliga herum, doch einen Sommer wie den vergangenen hatte er noch nicht erlebt.
Der Streik von Ousmane Dembele, an dessen Ende der Wunsch des Spielers und über 100 Millionen Euro Ablöse für den BVB standen, war für den alten Hasen Zorc tatsächlich noch einmal etwas Neues in dieser Branche. Und siehe da, ein halbes Jahr später konnte er gleich mit Vorerfahrung den nächsten Spezialfall angehen.
Der absurden Posse um den Wechsel von Pierre-Emerick Aubameyang ging zwar kein Streik voraus, in Zorcs Planungen kam diese plötzliche Entwicklung aber trotzdem nicht vor. Jetzt hat der Ur-Dortmunder auch dieses Kapitel geschlossen. Der Deal an sich ist aus der Not geboren, das Leihgeschäft mit Michy Batshuayi wirkt auf den ersten Blick jedoch wie die Lösung in Not.
Stürmer-Nachfolger zuletzt immer schon im BVB-Kader
Man muss schon lange zurückgehen, im Grunde noch in die Zeit vor der Ära Jürgen Klopp, um eine ähnliche Gemengelage wie in diesem Fall vorzufinden. In den letzten Jahren nämlich hatte der BVB im Falle eines Abgangs seines Stürmers Nummer eins den potenziellen Nachfolger bereits immer im Kader.
Bei Klopp musste sich Robert Lewandowski erst eine Weile hinter Lucas Barrios anstellen, ehe der Paraguayer ging und der Pole übernahm. Gleiches Spiel, als Lewandowski zu den Bayern wechselte und Aubameyang das Duell mit den neu verpflichteten Adrian Ramos und Ciro Immobile gewann.
Nun jedoch hat sich Aubameyang schneller als geplant vom Acker gemacht. Aus dem aktuellen Kader wäre Alexander Isak, der kürzlich noch vor einem Leihgeschäft mit Mainz 05 stand, als Spielertyp für die Thronfolge bestimmt. Der junge Schwede macht zwar eine ordentliche Entwicklung durch und ließ sein großes Talent bei seinen Kurzeinsätzen bereits aufblitzen, ist von der nötigen Wettkampfhärte und Robustheit allerdings noch weit entfernt.
Batshuayi-Deal torpediert nicht die bisherigen Planungen
Das war's sonst an echten Mittelstürmern in Dortmunds Mannschaft, potentielle Kandidaten wie Andre Schürrle oder der aktuell verletzte Andrej Yarmolenko konnten bis zum Sommer keine dauerhafte Lösung sein.
Das ist ein echter Stürmer wie Batshuayi schon viel eher, zumal der Belgier kein Unbekannter beim BVB ist. Bereits in den Vorjahren war der 24-Jährige ein Kandidat. Nun kommt Batshuayi zwar mitten in der Saison und somit nicht zum günstigsten aller Zeitpunkte, die Rahmenbedingungen des Geschäfts, eine Leihe bis Saisonende, torpedieren jedoch nicht zwingend die bisherigen Planungen - sie unterstützen sie möglicherweise sogar.
Dortmund hatte sich für den kommenden Sommer auf einen Aubameyang-Abgang vorbereitet. Die Gedankenspiele um seinen Nachfolger haben längst begonnen, da kommt Batshuayi nicht in die Quere. Der BVB kann sich den Nationalspieler ein halbes Jahr lang anschauen und bei Gefallen das Gespräch mit Chelsea suchen, womöglich inklusive der Meinung eines neuen Cheftrainers.
Batshuayi kämpft um WM und Perspektive
Und es sollte ja in Batshuayis Interesse und Motivation liegen, die Rückrunde bei der Borussia bestmöglich zu absolvieren. Er befand sich bei den Blues auf dem absteigenden Ast. Batshuayi muss zwingend zulegen, um zur WM zu fahren und eine aussichtsreiche Perspektive für die kommende Saison zu haben.
Ob Dortmund mit ihm weitermachen würde, hängt einzig von seinen künftigen Leistungen in Schwarzgelb ab. Auch auf Einsätze in der Europa League wird Batshuayi kommen, was im Falle eines Transfers von Olivier Giroud nicht der Fall gewesen wäre.
Batshuayi beim BVB mehr Wandspieler als Aubameyang
Mit Batshuayi im Dortmunder Sturm sollte sich das Angriffsspiel des BVB in gewissen Teilen verändern, da er und Aubameyang die Mittelstürmerposition aufgrund ihrer Stärken unterschiedlich interpretieren. Während der Gabuner großräumig agiert, um sein brachiales Tempo auszunutzen, fühlt sich Batshuayi eher in kleineren Räumen wohl und taugt mit dem Rücken zum Tor als kombinierender Wandspieler.
Offensichtlicher gesprochen: Aubameyang will in die Tiefe geschickt werden, Batshuayi kommt viel eher auch mal einem Ball entgegen. Dann setzt er seinen Körper ein und kann mit seiner Giftigkeit nicht nur gegnerische Abwehrreihen beschäftigen, sondern auch mehr mitspielen und die Kugel verteilen. Seine technischen Fähigkeiten sind absolut vorzeigbar, der Belgier sucht gelegentlich auch selbst das Dribbling.
Batshuayi und der BVB: Fragezeichen bleiben
Selbstverständlich bleiben genügend Fragezeichen. Wie kommt der zuletzt nicht mit Spielpraxis gesegnete Neuzugang aus den Startlöchern? Gibt es im Sommer einen neuen Trainer? Kommt zur neuen Saison ein neuer Stürmer, vielleicht ja auch unabhängig von Batshuayi?
Antworten kann es darauf im Moment nicht geben. Es riecht aber nach baldigen weiteren Spezialfällen, die Zorc im Laufe der Rückrunde und spätestens nach Saisonschluss lösen muss.