Christian Titz schreibt Bücher, betreibt ein Coaching-Online-Portal und reist für einen Vortrag über Fußball schon mal in den Iran. Jetzt soll der 46-Jährige als Trainer den HSV vor dem ersten Abstieg aus der Bundesliga retten. Im Interview spricht Titz über die Chancen auf den Klassenerhalt, seine Spielidee und seinen Schützling Fiete Arp.
Außerdem verrät Titz, warum fünf Spiele in Passau ihn enorm weitergebracht haben, wie er den FC Homburg mit einem Schulprojekt zum Aufstieg führte und warum ihn der HSV vor drei Jahren verpflichtete.
SPOX: Herr Titz, in der Regionalliga Nord war Ihre Mannschaft Tabellenführer, in der Bundesliga steuert der HSV auf den Abstieg zu. Mussten Sie lange überlegen, ob Sie diese Aufgabe angehen und dann vielleicht als der Trainer in den Annalen stehen, mit dem der Dino zum ersten Mal abgestiegen ist?
Christian Titz: Wenn man längere Zeit mit einer Mannschaft arbeitet, herrscht immer Wehmut und der Abschied fällt nicht leicht. Aber ich sehe für den Verein eine Chance und habe die Anfrage deshalb schnell mit Ja beantwortet.
SPOX: Für wie realistisch halten Sie den Klassenerhalt bei sieben Punkten Rückstand auf den Relegations- und Nichtabstiegsplatz?
Titz: Es ist eine schwierige Aufgabe, ich kann die Tabelle lesen. Aber die Tabelle hat keinen Einfluss auf meine Arbeit. Wir haben am Sonnabend ein Spiel, mit dem wir viel rumreißen können. Darauf liegt mein Fokus. Wir wollen unsere ganze Energie einbringen, um Erfolge einzufahren.
SPOX: Welche Impulse braucht die Mannschaft?
Titz: Ich bin ein Trainer mit einer klaren Spielidee. Wir werden am Spiel mit dem Ball arbeiten, um in der Offensive erfolgreicher zu agieren. Wir wollen in den gefährlichen Räumen Fußball spielen, um Möglichkeiten zu generieren. Wir haben aber auch eine klare Idee gegen den Ball und im Umschaltspiel.
SPOX: Reichen für Ihren spielerischen Ansatz die Zeit und die Qualität der Spieler?
Titz: Wir setzen neue Trainingsreize und schauen, wie die Spieler darauf reagieren. Wenn wir merken, gewisse Dinge lassen sich nicht umsetzen, werden wir unsere Arbeit dementsprechend anpassen. Ein wichtiges Element ist auch die psychische Arbeit. Die Spieler bekommen dazu unterschiedliche Ansprechpartner, wie beispielsweise Thomas von Heesen, der dicht an der Mannschaft arbeitet und uns durch seine Erfahrung unterstützt.
SPOX: Gibt es durch Ihre Beförderung auch für weitere Spieler aus dem Nachwuchs die Chance, sich in die erste Mannschaft zu spielen? In Ihrer ersten Einheit haben fünf Spieler aus der U21 bei den Profis trainiert.
Titz: Die Spieler haben Qualität und sie helfen uns, unsere Spielidee einzuführen. Wir wollen den Konkurrenzkampf anheizen, sehen, wer sich durchsetzt und damit Leistung rauskitzeln. Mein erster Eindruck ist sehr positiv. Die Mannschaft zeigt großen Willen, unsere Ideen umzusetzen.
SPOX: Hatten Sie sich nach der Entlassung von Markus Gisdol schon Hoffnungen auf das Amt des Cheftrainers gemacht?
Titz: Ich war sehr zufrieden mit meiner Aufgabe. Es ist nicht selbstverständlich, die U21 eines Bundesligisten zu trainieren. Aber ganz allgemein: Ich strebe nach dem Maximum. Es gilt aber zu beachten, dass das hier und jetzt das Entscheidende ist und da habe ich vor drei Jahren die Aufgabe angenommen, eine Spielidee mitaufzubauen, jetzt ist diese Idee im Profibereich gefragt.
Christian Titz über seine Arbeit mit Fiete Arp
SPOX: Sie gelten als großer Förderer von Fiete Arp. Wird er unter Ihnen wieder mehr zum Einsatz kommen?
Titz: Das hängt wie bei allen anderen Spielern von den Trainingsleistungen ab. Aber Fietes Entwicklung ist ganz normal. Wenn du im Abstiegskampf steckst und dich die Leute als Heilsbringer sehen, ist die Unbekümmertheit nur schwer aufrechtzuerhalten. Dann kamen eine Grippe und die Vorbereitung aufs Abitur dazu. Wir standen auch in den vergangenen Wochen in regelmäßigem Austausch, weil er noch hier im Internat wohnt. Er geht sehr gut mit dieser Situation um.
SPOX: Sollte der HSV absteigen, wäre Arp wohl nur schwer zu halten.
Titz: Natürlich hat der Markt Interesse an so einem Spieler, der Run auf junge Spieler ist im Moment ohnehin enorm hoch. Ich wünsche mir, dass er weiter im Verein spielt, egal, was passiert.
SPOX: Was schätzen Sie besonders an Arp?
Titz: Er ist ein Paradebeispiel für die Arbeit des HSV im Nachwuchsbereich. Dass wir ihn als 15-Jährigen zur U17 hochgezogen haben, war außergewöhnlich. Zumal er in der U15 als Außenstürmer oder offensiver Mittelfeldspieler unterwegs war. Wir haben aber einen klaren Plan aufgestellt, wie wir seine Stärken fördern und die Schwächen dezimieren können.
gettySPOX: Wie sah dieser Plan aus?
Titz: Als ich ihm von meinem Plan erzählte, ihn in die U17 als Mittelstürmer aufzunehmen, war er nicht begeistert. Da es für ihn aber von Beginn an erfolgreich lief, konnte er sich nicht wirklich dagegen wehren. Fiete ist ein enorm lernwilliger Spieler, der schon zum damaligen Zeitpunkt jede Woche die individuellen Videoanalysen und dazugehörigen Trainingseinheiten eingefordert hat. Aber gerade auch in seiner Persönlichkeitsentwicklung sahen wir entscheidende Entwicklungsparameter.
SPOX: Wie meinen Sie das genau?
Titz: Ein Stürmer muss egoistisch sein - wir sahen es aber als wichtig an, dass er sein Ich als Wir ins Team miteinbringt. Wir haben ihn dann in den Mannschaftsrat aufgenommen und ihn in dieser Funktion in die Gedankenspiele des Trainerteams eingeweiht. Da entwickelte er schon eine gewisse Eigenständigkeit. Als wir ihn in der zweiten Saison zum Kapitän machten, fungierte er als verlängerter Arm des Trainers und wurde im Team der Wortführer. Er begann das Team zu führen und schaffte den Spagat, die Spieler für sich und seine Spielweise zu gewinnen. Auch in der Nationalmannschaft wurde er Kapitän. Mit seinen 18 Jahren ist er schon sehr weit, aber besitzt auch noch enormes Entwicklungspotenzial.
SPOX: Ihre eigene Karriere verlief nicht so geradlinig. Sie mussten Ihre Spielerlaufbahn aufgrund eines Zeckenbisses vorzeitig beenden.
Titz: Ich hatte mir aber mit einer Fußballschule parallel ein zweites Standbein aufgebaut. Als Spieler bei Waldhof Mannheim habe ich damals Eugen Hach kennengelernt. Durch ihn kam ich 2000 zu Alemannia Aachen, wo ich die A-Jugend trainierte und Teil des Trainerstabs der Profis war.
SPOX: Nebenbei haben Sie auch noch Bücher geschrieben. Wie kam es dazu?
Titz: Ich habe schon immer gerne konzeptionell gearbeitet und mich mit dem Schreiben und der Dokumentation befasst. Deshalb habe ich meine Ideen der Trainingslehre in Büchern niedergeschrieben und den Fußballlehrer gemacht. Bis zu meiner ersten Station als Trainer in Passau hat es aber ein bisschen gedauert und so hatte ich Zeit für meine Buchprojekte. Ab Passau hat mich der Fußball getragen.
SPOX: Obwohl die Zeit des Engagements in Passau nur fünf Spiele dauerte.
Titz: Die Zeit in Passau war aufgrund von schwierigen Umständen innerhalb des Klubs eine kurze, aber lehrreiche Zeit. Danach habe ich für den US-Fußballverband gearbeitet. Der Kontakt kam über Steven Dooley zustande, damals Trainer der U23 in Aachen und Bruder von Tom Dooley.
SPOX: Was haben Sie da gemacht?
Titz: Der US-Fußballverband wollte, dass ich ein Auswahlprojekt für die USA in Europa aufbaue. Wir haben in Stuttgart und Kaiserslautern-Ramstein Stützpunkte aufgebaut, in denen ich zehn Trainer aus meiner Fußballschule beschäftigen konnte mit jeweils einem Amerikaner als Co-Trainer. Wir haben am Wochenende zwischen 150 und 200 Kinder trainiert, die aus verschiedenen Ländern, in denen die USA Militärstützpunkte unterhalten, zusammenkamen.
SPOX: Warum ging dieses Engagement nach drei Jahren zu Ende?
Titz: Ich stand vor der Entscheidung, entweder fest in die USA zu gehen oder in Europa zu bleiben. Da ich mich als Mannschaftstrainer sehe, blieb ich in Deutschland und bekam das Angebot von Viktoria Köln, die A-Jugend nach dem Aufstieg in die Bundesliga und die erste Mannschaft in der Oberliga zu trainieren. Ich hatte allerdings das Pech, dass der Verein Insolvenz anmelden und fünf Monate später die erste Mannschaft abmelden musste.
SPOX: Nach einem einjährigen Abstecher in die USA zur Dooley Soccer University ging es im Sommer 2011 zurück nach Deutschland zum FC Homburg.
Titz: Das war auch eine Projektarbeit. Wir haben eine junge Mannschaft aufgebaut mit Spielern, die in den Nachwuchsleistungszentren der Bundesligisten nicht übernommen wurden. Gleichzeitig haben wir ein Schulprojekt ins Leben gerufen, zuerst mit einer Fußball-AG und später mit einer Fußballklasse.
SPOX: Wie muss man sich das vorstellen?
Titz: Mit den Spielern haben wir die Schüler trainiert, dadurch konnten wir Mehreinnahmen generieren und den Verein nach und nach semi-professionell aufstellen. Mit Homburg sind war dann auch aufgestiegen, haben im ersten Jahr die Klasse gehalten und uns im zweiten Jahr für den DFB-Pokal qualifiziert.
Die Trainerstationen von Christian Titz
Verein/Verband | Amtsdauer |
Hamburger SV | März 2018 - ? |
Hamburger SV U21 | Juli 2017 - März 2018 |
Hamburger SV U17 | Juli 2015 - Juli 2017 |
FC 08 Homburg | Juli 2011 - April 2014 |
Viktoria Köln (1. Mannschaft & U19) | Juli 2009 - Dezember 2009 |
US-Fußballverband Stützpunkttrainer Europa | Juli 2007 - Juni 2009 |
1. FC Passau | November 2005 - August 2006 |
Alemannia Aachen U19 | Juli 2000 - Juni 2004 |
SPOX: Als es in Homburg zu Ende ging, dauerte es wieder über ein Jahr, bis zur Ihrem Engagement beim HSV. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?
Titz: Durch meine Autorentätigkeit bin ich regelmäßig zu Vorträgen eingeladen worden und durch die Welt gereist. Später, als ich schon beim HSV arbeitete, war ich auch mal im Iran. Eine fantastische Erfahrung.
SPOX: Erzählen Sie.
Titz: Der Kontakt kam über Mehdi Mahdavikia zustande, der im Iran einen eigenen Verein aufgebaut hat und sich sehr in der Nachwuchsarbeit in seiner Heimat engagiert. Ich war vier Tage im Iran und habe mit den Vereins- und Verbandstrainern vor Ort über das Thema Spielsysteme gesprochen und nachmittags auf dem Platz trainiert. Es war sehr spannend, einen Einblick in die Kultur und die Gepflogenheiten dieses Landes zu bekommen.
SPOX: Über Lewis Holtby kamen Sie dann zum HSV.
Titz: Das ist nicht ganz richtig. Ich habe zwar parallel zu meinen anderen Aufgaben auch als Individualtrainer von Lewis und Spielern wie Christoph Moritz oder Elias Kachunga gearbeitet. Aber der HSV hat mich unabhängig davon während der Zeit von Joe Zinnbauer zum Gespräch eingeladen. Daraufhin hat mich der Verein immer wieder für Individualtraining, Vorträge und Fortbildungen gebucht und mir schließlich die U17 angeboten. Nach zwei Jahren wurde ich zum Trainer der U21 befördert.
SPOX: Da war der Schritt zu den Profis jetzt folgerichtig.
Titz: Ich habe mit dem Aufbau der Fußballschule, dem Schreiben, den Vorträgen, der Arbeit in einer Nachwuchsabteilung und im Profibereich so viele Facetten des Fußballs kennengelernt, dass ich die Möglichkeit hatte, mich zu entwickeln. Diese Zeit hat mich geprägt. Ich fühle mich gewappnet für den Job als HSV-Trainer.