Nachdem Marcel Sabitzer seinen Vertrag bei RB Leipzig Mitte April bis 2022 verlängert hatte, erklärte er sein Ziel für die nächsten vier Jahre: "Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass wir den nächsten Schritt machen." Der nächste Schritt also. Diese gerne und oft bediente Floskel. Aber bei Leipzig stellt sich noch mehr als anderswo die Frage: Welchen nächsten Schritt denn bitteschön?
Jahrelang war es so, dass Leipzig keine nächsten Schritte machte, sondern immer gleich übernächste. Der 2009 gegründete Verein hetzte durch die Ligen und dann - ganz oben angekommen - hetzte er einfach weiter und fast bis an die Spitze. In seiner Bundesliga-Premierensaison wurde Leipzig Zweiter.
Und jetzt? Jetzt ist Leipzig erst einmal ausgebremst. Die Saison 2017/18 ist die erste der Vereinsgeschichte, in der der Klub tabellarisch keinen Schritt nach vorne macht, nicht einmal auf der Stelle tritt. Nein, sich sogar zurückbewegt. Offen ist nur noch, wie weit zurück. Am 22. Spieltag war Leipzig Zweiter, gewann in der Folge jedoch lediglich zwei von zehn Bundesligaspielen und ist aktuell nur mehr Sechster. Die neuerliche Champions-League-Qualifikation wird nicht gelingen, womöglich nicht einmal die für die Europa League.
Leipzig wirkt ausgebremst: Weniger Tempo, mehr Ballbesitz
Der Reihe nach wurde Leipzig von den direkten Konkurrenten um die Europapokalplätze ausgebremst. Niederlagen gegen Frankfurt, Leverkusen und Hoffenheim, Remis gegen Dortmund und Stuttgart. Dazu das Aus im Viertelfinale der Europa League gegen Olympique Marseille. Leipzig verlor aber nicht nur Spiele, sondern zeitgleich auch seine Identität. "Das war kein RB-Fußball", sagte Trainer Ralph Hasenhüttl nach dem 1:1 gegen Werder Bremen am 30. Spieltag. Über die meisten anderen Spiele hätte er Ähnliches sagen können.
So schnell der Klub bis zur vergangenen Saison aufstieg, so schnell spielte er auch: rasend schnell. RB-Fußball nannte man es, entweder anerkennend oder abschätzig. In dieser Saison ist davon jedoch zunehmend weniger zu sehen, ob gewollt oder ungewollt. Leipzig emanzipiert sich vom RB-Fußball: weniger Tempo, mehr Ballbesitz.
In der vergangenen Saison gelangen Leipzig elf Kontertore, in dieser erst vier. Im Vergleich zur vergangenen Saison erhöhten sich der Ballbesitzanteil (um 2,5 Prozent), die Passgenauigkeit (um 4,5 Prozent) und die Anzahl kurzer Pässe (um drei Prozent), während der Anteil langer Pässe naturgemäß zurückging. Die Mannschaft hat offenbar Bedarf an Entschleunigung.
RB Leipzig | Saison 2016/17 | Saison 2017/18 |
Tore pro Spiel | 1,9 | 1,5 |
Gegentore pro Spiel | 1,1 | 1,6 |
Kontertore | 11 | 4 |
Ballbesitz | 52,7 Prozent | 55,3 Prozent |
Passgenauigkeit (insgesamt) | 74,8 Prozent | 79,3 Prozent |
Passgenauigkeit (gegnerische Hälfte) | 66,5 Prozent | 71,9 Prozent |
Anteil kurzer Pässe | 85,9 Prozent | 89 Prozent |
Anteil langer Pässe | 14,1 Prozent | 11 Prozent |
Leipzig wirkt ausgelaugt: Zinsen zahlen, Tribut zollen
"Es fühlt sich an, als ob wir in den letzten beiden Wochen die Zinsen für die letzten zwei Jahre zahlen", sagte Hasenhüttl zuletzt. All das Gehetze, all die übersprungenen Schritte machen sich bemerkbar. "Wir haben im Moment einfach nicht die Kraft, nach Rückschlägen mental dagegenzuhalten. Da ist einfach die Luft raus", erklärte Hasenhüttl.
"Man sieht es nicht nur bei mir, sondern auch bei vielen anderen Spielern, dass wir gerade ein bisschen Tribut zollen müssen für diese vielen Spiele", sagte Stürmer Timo Werner im kicker. "Nicht so sehr körperlich, aber mental." Leipzig wirkt ausgelaugt.
Und so entstanden durchaus kuriose Ergebnisse: erst jeweils trotz zwischenzeitlicher Führung ein 1:4 gegen Bayer Leverkusen und ein 2:5 gegen Olympique Marseille. Dann gelang nicht einmal mehr ein eigenes 1:0. Von der TSG Hoffenheim (2:5) und dem 1. FSV Mainz 05 (0:3) wurde Leipzig vorgeführt. Defensiv fehlte zuletzt jegliche Gegenwehr, das Zurücklaufen fiel schwer. Mittlerweile hat Leipzig sogar mehr Gegentore kassiert als der Hamburger SV. Ja, wirklich: mehr Gegentore als der HSV!
Hasenhüttl sprengte im Sommer das Innenverteidiger-Duo bestehend aus Willi Orban und Marvin Compper, der zunächst kaum mehr spielte und im Winter schließlich zu Celtic wechselte. Hasenhüttl probierte mit voranschreitender Saison immer mehr, rotierte personell und taktisch immer wilder - stabiler machte das die Mannschaft nicht.
Leipzig wirkt ausgedünnt: Forsberg, Keita und Orban fehlen gesperrt
Zuletzt funktionierte nicht einmal mehr der Spieler, der eigentlich immer und trotz aller Pfiffe, Widerstände und sonstigen schlechten Witterungsverhältnissen funktioniert. Seit Ende Januar schoss Werner in der Bundesliga lediglich ein Tor. Anders als so mancher Kollege geht er mit dem Frust immerhin anständig um. Emil Forsberg etwa ließ sich gegen Hoffenheim provozieren, sah daraufhin die Rote Karte und wurde für drei Spiele gesperrt.
Da half es auch nichts mehr, dass sein Berater Hasan Cetinkaya dies als "Skandal" einstufte und sagte: "Das Urteil ist ein Angriff auf RB und Emil. So etwas hätte man einem Spieler von Bayern München nicht angetan." Womöglich muss sich das Forsberg ab nächster Saison nicht mehr antun lassen, angeblich strebt er einen Vereinswechsel zu einem etablierten Top-Klub an.
In dieser Saison wird er wegen seiner Sperre nicht mehr zum Einsatz kommen. Im anstehenden Spiel gegen Wolfsburg sind auch Willi Orban (5. Gelbe Karte) und Naby Keita, der sich gegen Mainz zu zwei Frustfouls hinreißen ließ und Gelb-Rot sah, verhindert. Verletzt fehlen mit Marcel Halstenberg, Konrad Laimer und Sabitzer drei weitere potenzielle Stammspieler. Leipzig wirkt ausgedünnt.
Spannender Saisonendspurt, spannender Sommer
Die eigenen Ansprüche wurden den Umständen entsprechend angepasst. "Wenn wir als Bundesligasechster und Viertelfinalist der Europa League über die Ziellinie gehen, dann unterschreibe ich das ohne Umschweife als Erfolg", sagte Hasenhüttl der SportBild.
Wie das sein Vorgesetzter Ralf Rangnick wohl sieht? Rangnick ist ein Mann der nächsten Schritte. Ein Rastloser. Womöglich vollzieht er nach den Eindrücken der vergangenen Wochen im Sommer den nächsten Schritt auch auf dem Trainerposten. Nach der Niederlage gegen Hoffenheim verschob er alle Vertragsgespräche auf nach Saisonende. Auch die mit Hasenhüttl, der zwar noch bis 2019 gebunden ist, jedoch nicht mehr so unantastbar wirkt wie einst.
Womöglich geht Rangnick aber auch persönlich den nächsten Schritt. In Form eines eigenen Vereinswechsels, angeblich ist der FC Arsenal an einer Verpflichtung interessiert. Leipzig steht nicht nur ein spannender Saisonendspurt bevor, sondern auch ein spannender Sommer.
Das Restprogramm von RB Leipzig
Spieltag | Spielort | Gegner |
33. | Heim | VfL Wolfsburg |
34. | Auswärts | Hertha BSC |