Hoffenheims Coach Julian Nagelsmann wurde im Laufe dieser Saison erstmals in seiner Trainerkarriere mit ernsthaften Rückschlägen konfrontiert. Am Ende gelang erstaunlicherweise trotzdem die Qualifikation für die Champions League.
"Es ist unfassbar, dass wir Dritter geworden sind", sagte Julian Nagelsmann nach Hoffenheims 3:1-Sieg gegen Borussia Dortmund und der geschafften Champions-League-Qualifikation gegenüber Sky. Er sagte es mit Tränen in den Augen, aber eigentlich viel berichtenswerter: Er sagte es in einem grauen Polo-T-Shirt.
Knapp ein Jahr ist es her, dass Nagelsmann beim DFB-Pokal-Halbfinale in der Münchner Allianz Arena zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund in einem roten Mantel gesichtet wurde. Rot, das wusste sicherlich auch er, ist ja bekanntlich die Farbe der Bayern. Will Nagelsmann damit also andeuten, dass er sich ihnen anschließen will, fragten sich alle.
Im September befeuerte er diese Annahme, indem er bei Eurosport verkündete: "Ich bin sehr, sehr glücklich, aber der FC Bayern würde mich vielleicht noch ein Stück glücklicher machen." Bald suchte der FC Bayern auch tatsächlich einen neuen Trainer und es wurde immer wilder spekuliert. Wenig später hatte auch Borussia Dortmund Bedarf, vielleicht also doch gelb statt rot? Bei seinem aktuellen blau jedenfalls lief es gleichzeitig immer schlechter und schlechter.
Hoffenheim verliert drei Leistungsträger und scheitert in der EL
Im Sommer verlor Hoffenheim mit Sebastian Rudy und Niklas Süle zwei Leistungsträger, im Winter mit Sandro Wagner einen dritten. In der Champions-League-Qualifikation scheiterte Hoffenheim am berühmten FC Liverpool und dann in der Europa League an den weniger berühmten Sporting Braga, Ludogorez Rasgrad und Basaksehir Istanbul. In der Bundesliga rutschte Hoffenheim bis auf Platz neun ab.
Der DPA bestätigte Nagelsmann Anfang Februar, er hätte sich mit Anfragen anderer Vereine (vermutlich berühmten) auseinandergesetzt. Aber auch, dass er letztlich entschieden hätte, mindestens bis 2019 in Hoffenheim zu bleiben. Vielleicht um das auch kleidungstechnisch zu bekräftigen, gab er seinen roten Mantel zeitgleich auf eBay zur Auktion frei. "Hallo, ich biete meinen relativ berühmten roten Mantel an", warb er. Für 1.560 Euro wechselte er schließlich den Besitzer und Hoffenheim begann zu siegen. Seitdem verlor Nagelsmanns Mannschaft nur zwei von 13 Bundesligaspielen.
Hoffenheims Leistungsdaten seit der Mantel-Versteigerung
Spieltag | Gegner | Ergbenis |
22. | FSV Mainz 05 (H) | 4:2 |
23. | FC Schalke 04 (A) | 1:2 |
24. | SC Freiburg (H) | 1:1 |
25. | FC Augsburg (A) | 2:0 |
26. | VfL Wolfsburg (H) | 3:0 |
27. | Borussia Mönchengladbach (A) | 3:3 |
28. | 1. FC Köln (H) | 6:0 |
29. | Eintracht Frankfurt (A) | 1:1 |
30. | Hamburger SV (H) | 2:0 |
31. | RB Leipzig (A) | 5:2 |
32. | Hannover 96 (H) | 3:1 |
33. | VfB Stuttgart (A) | 0:2 |
34. | Borussia Dortmund (H) | 3:1 |
Mehr Kraft, weniger Gegentore, brachiale Formanstiege
Womöglich lag der Aufschwung an der Trennung vom roten Mantel, womöglich aber auch an anderen Faktoren. Da wäre die weggefallene Dreifachbelastung. Hoffenheim hatte durch das Aus in der Europa League weniger Spiele und somit mehr Kraft. Bis zur Mantel-Versteigerung verspielte Hoffenheim in der Bundesliga 22 Punkte nach Führung, seitdem lediglich vier.
Gleichzeitig blieb wieder mehr Zeit für Trainingseinheiten, bei denen Nagelsmann offensichtliche Missstände bearbeiten konnte. Zum Beispiel die fahrigen Defensivleistungen: Bis zur Mantel-Versteigerung kassierte Hoffenheim im Schnitt 1,6 Gegentore pro Spiel, seitdem nur 1,2. Hoffenheim pirschte sich von Platz neun erst Richtung Europa League und schließlich bis in die Champions League.
Unterbrochen wurde der Aufschwung zunächst aber von einer Niederlage gegen Schalke, bei der sich Nagelsmann mit dem Schiedsrichter-Assistenten Robert Schröder anlegte. Und einem Remis gegen den SC Freiburg, bei dem die Fans die eigene Mannschaft auspfiffen. "Wir wären gerne besser", sagte Nagelsmann, "aber dennoch waren wir in dieser Saison noch nie schlechter als Neunter."
Dass es dabei blieb, lag auch an einigen Schlüsselspielern, die nach und nach immer brachialer in Form fanden. Andrej Kramaric? 14 Scorerpunkte in 13 Spielen. Serge Gnabry? Elf Scorerpunkte in zehn Spielen. Mark Uth? Neun Scorerpunkte in zwölf Spielen. Sie führten Hoffenheim in die Champions League, aber zumindest die beiden Letzteren werden dann nicht mehr dabei sein. Es ist das ewige Dilemma eines Vereins wie Hoffenheim: die besten Spieler sind entweder nicht wirklich die besten, oder schnell weg. Gnabry wird nach Ablauf seines Leihgeschäfts zum FC Bayern wechseln, Uth ablösefrei zu Schalke, die Zukunft von Kramaric ist ungeklärt.
Julian Nagelsmanns Meisterprüfung
Davor aber sorgten sie gemeinsam für das "fünfte Wunder von Hoffenheim", wie es Vereinsboss Dietmar Hopp nannte. Oder laut Nagelsmann wahlweise einen "brutalen Moment" oder eine "absolut historische Leistung für einen Klub von unserer Größe". Er erinnerte aber auch an die Zeit vor der Mantel-Versteigerung. "Die Saison war sehr kompliziert für uns", erklärte Nagelsmann. "Ich bin sehr stolz auf meine Mannschaft und diesen Klub, der gutes Arbeiten möglich macht."
Bei der Pressekonferenz nach dem Spiel gegen Dortmund machte ihm seine Mannschaft gutes Arbeiten jedoch unmöglich. Während Nagelsmann sprach, stürmten seine Spieler in den Raum, übergossen ihn mit Bier und rüttelten wild an seinem Kopf. Das graue Polo-T-Shirt hatte er in der Zwischenzeit übrigens ausgetauscht. Mittlerweile stand auf seiner Brust in weißen Buchstaben auf blauem Grund: "Meine TSG ist Königsklasse."
Nagelsmann wurde im Laufe dieser Saison erstmals in seiner Trainerlaufbahn mit ernsthaften Rückschlägen konfrontiert - und führte Hoffenheim trotzdem zur besten Platzierung seiner Vereinsgeschichte sowie erstmals in die Champions League. Lange galt Nagelsmann nur als der aufstrebende Trainer-Novize. Mit dieser Saison hat er aber seine Meisterprüfung bestanden, zumindest die vorläufige.