Die erste Episode sorgte gleich einmal für ein paar Irritationen. Daran trug Borussia Dortmund allerdings keine Schuld. Dass nämlich Jadon Sancho im vergangenen Oktober nach der Gruppenphase der U17-WM in Indien wieder zum BVB zurückkehren sollte, das machten die Dortmunder Verantwortlichen bereits im Vorfeld des Turniers mit dem englischen Verband aus.
Nachvollziehbar, dass sich dieser dann doch etwas ärgerte und Unverständnis zeigte, als der Kopf der Mannschaft nach drei Siegen in drei Spielen mit drei Sancho-Toren und zwei Vorlagen wieder vom Team abgezogen wurde.
"Ich kann mir nur vorstellen, dass Dortmund ihn zurückwollte, damit er am Wochenende in der ersten Mannschaft spielen kann, und nehme an, dass er von Beginn an spielen wird", meinte Englands Trainer Steve Cooper damals.
Jadon Sancho brachte sich unter Stöger beim BVB in Position
Damit lag Cooper einerseits falsch, andererseits richtig. Sancho durfte samstags darauf tatsächlich seine ersten Profi-Minuten im BVB-Dress absolvieren, Ex-Coach Peter Bosz wechselte ihn beim 2:2 in Frankfurt aber erst in Minute 84 ein.
Dies zeigte bereits Dortmunds Wertschätzung für den Youngster, der während der folgenden Krise zwar nicht mit anpacken durfte, dem Bosz aber kurz darauf noch einmal zehn Minuten gegen den FC Bayern schenkte.
Es dauerte dann bis zur Rückrunde, bis ihn Bosz-Nachfolger Peter Stöger nach einem "ordentlichen Trainingslager" wirklich in die Startformation einbaute. Drei Spiele über 90 Minuten ließ ihn der Österreicher Anfang 2018 ran. Und wie später am Saisonende zeigte Sancho in diesen Partien, was er drauf hat.
Lucien Favre lobt: "Jadon ist ein sehr guter Spieler"
Er hauchte einer maroden Mannschaft Leben ein und trumpfte bisweilen regelrecht auf. Der 4:0-Heimsieg gegen Leverkusen am 31. Spieltag, der für die Champions-League-Qualifikation des BVB letztlich entscheidend war (es war Stögers letzter Sieg mit der Borussia) und bei dem die Schwarzgelben plötzlich wieder Fußball aus einem Guss spielten, ging nicht nur wegen Sanchos Premierentreffer zu Großteilen auf seine Kappe.
Sancho brachte in diesen Partien seine Stärken eindrucksvoll ein: hohes Tempo, ein niedriger Körperschwerpunkt, enge Ballführung, blitzschnelle Drehungen und technisch starke Finten. Diese Eigenschaften sind der Grund, weshalb Sancho nun als vollwertiges Kadermitglied in die neue Saison geht.
Jadon Sancho: Seine Leistungsdaten beim BVB
Wettbewerb | Einsätze | Tore | Vorlagen |
Bundesliga | 12 | 1 | 4 |
Regionalliga West | 3 | - | - |
UEFA Youth League | 5 | 3 | 1 |
A-Junioren-Bundesliga West | 1 | 1 | 1 |
Gesamt | 18 | 6 | 6 |
Dass der 18-Jährige künftig ein Wörtchen im Kampf um die Startelf mitreden wird, belegt auch Favres frühzeitiges Lob: "Jadon ist ein sehr guter Spieler. Das habe ich im ersten Training sofort gesehen. Ich habe es gerne, wenn wir mit Ball am Fuß ins Risiko gehen", sagte der Schweizer.
Sancho könnte den Hype um Pulisic umverteilen
Sanchos Entwicklung erinnert in Teilen an jene von Christian Pulisic, der in seinem ersten Profijahr unter Thomas Tuchel zunächst nur als Reservespieler zum Zug kam und sich dabei mit dynamischen Läufen und großer Torgefahr in Stellung brachte. In der folgenden Spielzeit ließ Tuchel den US-Amerikaner dann gleich in 43 Pflichtspielen ran.
Auf Sicht, vielleicht ja schon in Favres Debütsaison beim BVB, bringt Sancho mit seinen Anlagen jedenfalls das Potential mit, den Hype um Pulisic etwas umzuverteilen, damit dieser den nächsten Schritt gehen und den Übergang zum erwachsenen Spieler vollenden kann.
Denn erwachsen, das ist Sancho auf dem Feld noch lange nicht. "Noch etwas verspielt und zu wenig auf den Endzweck aus" bilanzierte Ex-Coach Stöger, der Sanchos Talent anerkannte, ihn aber auch einen "ungestümen Burschen" nannte.
Sancho tunnelt Kompany und Schmelzer im Training
Damit hatte Stöger Recht, denn Sanchos großes Selbstbewusstsein beeinträchtigt bisweilen seine Entscheidungsfindung auf dem Platz. Dann agiert der Engländer zu wenig klar in seinen Aktionen, ist zu verspielt und sucht in den Eins-gegen-eins-Situationen das Besondere. Das erinnerte bereits an anatomisch ähnliche Spieler wie Kylian Mbappe oder Ex-Dortmunder Ousmane Dembele, die immer wieder die Grenze überschreiten und ihre Gegenspieler zu veralbern versuchen.
"Manchmal sagt der Trainer: Trenne dich früher vom Ball", verriet Sancho nach ein paar Tagen unter Favre. "Dann bin ich ihm zu verspielt, das muss ich lassen und mehr mit den Mitspielern kombinieren." Favre goutiert zwar Sanchos Mut zu vielen Dribblings, sagt aber auch, dass "einige Korrekturen in seinem Spielstil" vonnöten wären. "Da gibt es noch Details zu korrigieren", so Favre.
Eine ähnliche Ansage bekam Sancho auch schon von Vincent Kompany und Marcel Schmelzer: "Im Training habe ich die Mannschaftskapitäne von Dortmund und Manchester City getunnelt. Beide meinten danach, dass sie das nicht wollten und ich das keinesfalls nochmal machen sollte", so der Engländer im Interview mit JD Football.
BVB-Boss Watzke nennt Sancho in einem Atemzug mit Dembele
Favres Aussagen sowie der nahende Abgang von Sancho-Konkurrent Andre Schürrle belegen jedoch, dass der 18-Jährige hier schon die Nase vorne hat und Dortmunds neuer Coach auf ihn bauen wird.
Favre ist bekannt dafür, junge Spieler zu fördern und in seinen bisherigen Statements fand sich häufig der Hinweis, dass die Entwicklung der Spieler für ihn am wichtigsten sei.
Doch noch einmal zurück zu Dembele: Der Franzose kam 2016 nach 26 Ligue-1-Spielen zum BVB und avancierte dort gleich in seinem ersten Profijahr zum Stammspieler und X-Faktor, den die Gegenspieler nie in den Griff bekamen. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nannte Sancho erst kürzlich in einem Atemzug mit Dembele, als er von großartigen Scouting-Ergebnissen sprach.
Dortmund hat mit Sancho ein Schnäppchen gemacht
Nicht nur deshalb würde es nicht verwundern, sollte Sancho ähnlich schnell wie Dembele und mit Favres Hilfe der Durchbruch gelingen. Er bringt jetzt schon enorm viel dafür mit, arbeitet unter einem Trainer, der ihn fördern und fordern wird und ist im Offensivbereich flexibel einsetzbar.
Hört man Sancho zu, scheint auch er eine gewisse Vorahnung zu besitzen: "Ich möchte eine großartige Saison spielen. Tore schießen, Vorlagen geben, der Mannschaft helfen und sie auch mal tragen", sagte er während der Dortmunder USA-Reise.
Wie auch immer es letztlich kommen mag, eines steht schon zum jetzigen Zeitpunkt fest: Der BVB hat mit dem knapp acht Millionen Euro teuren Jadon Sancho mal wieder ein echtes Schnäppchen gemacht.