Dem VfB gelang eine nahezu perfekte Vorbereitung. Acht Spiele, keine Niederlage, darunter ein 1:1 gegen UEFA-Supercup-Sieger Atletico Madrid. Stuttgart schaffte es doch tatsächlich, die Euphorie der Rückrunde über den Sommer hinweg zu halten.
Und dann das: Der VfB schied zum Auftakt in die Pflichtspielsaison mit 0:2 bei Drittligist Hansa Rostock aus dem DFB-Pokal aus. Ein herber Dämpfer. Trotz der unangenehmen Überraschung vor dem Bundesligastart gegen Mainz (So., 15.30 Uhr im LIVETICKER) ist die Stimmung in Stuttgart vergleichsweise gut.
VfB-Verantwortliche nehmen Pokalniederlage relativ gelassen
"Diese Niederlage wird uns nicht aus der Bahn werfen", sagte Trainer Tayfun Korkut. Entgegen der teils undifferenzierten Kritik aus dem Fanlager bewahren die VfB-Bosse kühlen Kopf - wohlwissend um das eigentliche Leistungsvermögen der Mannschaft, das gegen Rostock freilich nicht zum Vorschein kam.
Die Rostocker seien aufgrund des früheren Saisonstarts schon länger im Wettkampfmodus, erklärte sich Sportvorstand Michael Reschke das Pokal-Aus nüchtern. Der VfB agierte nach einer verkorksten Anfangsphase dominant, aber zu harmlos.
Einzig Castro stach aus der Stuttgarter Elf heraus. 122 Ballkontakte, 80 Prozent gewonnene Zweikämpfe, sechs Torschussvorlagen: Der 31-Jährige zeigte, warum der VfB ihn geholt hat. Er soll hinter Kreativposten Daniel Didavi für Stabilität und Ruhe im Zentrum sorgen. Im 4-4-2 ist er als der offensivere der beiden Sechser Dreh- und Angelpunkt im Stuttgarter Spiel. Er nahm sofort die Leaderrolle ein.
VfB Stuttgart will mit Gonzalo Castro ins internationale Geschäft
Reschke stellte Castro als "wichtigen Mosaikstein" im VfB-Kader vor. Er sei "vielseitig einsetzbar" und verfüge über "viel Erfahrung auf nationaler und internationaler Ebene". Trotz seiner 31 Jahre kann man die Verpflichtung von Castro als Investition in die Zukunft sehen. International ist dabei das Stichwort.
Mit Castros Hilfe will der VfB zurück in den Europapokal. Daran hat sich auch nach dem Fehlstart in Rostock nichts geändert. "Die Vision soll leben", sagte Reschke im SWR. Nicht zwingend schon in dieser Saison, wie Reschke betonte, jedoch auf lange Sicht. Selbst das Erreichen der Champions League hält er in den kommenden Jahren trotz der starken Konkurrenz für realistisch - ebenso wie Castro, der auch aufgrund der sportlichen Perspektive des VfB nach Stuttgart gewechselt ist.
"Die Euphorie in der Rückrunde hat mich beeindruckt. Dazu wächst hier eine richtig gute Mannschaft zusammen", erklärte Castro seinen Tapetenwechsel. Aus seiner Warte macht dieser in allen Belangen Sinn.
Gonzalo Castro beim BVB: Wertschätzung? Nur von Thomas Tuchel
Beim BVB hätte Castro durch die Ankunft von Axel Witsel ein noch größerer Konkurrenzkampf erwartet als ohnehin schon. Er wollte früh Klarheit für die kommende Saison. "Ich wollte nicht drei, vier Wochen vorspielen und eine Entscheidung abwarten. Dafür bin ich nicht der Typ", sagte er der Bild-Zeitung.
Der VfB habe sich hingegen schon frühzeitig intensiv um ihn bemüht. Sicherlich war die gemeinsame Zeit in Leverkusen mit Reschke eine große Hilfe bei den Vertragsgesprächen. "Ich habe mit Gonzalo und seinen Eltern die erste Vereinbarung gemacht, als er zwölf Jahre alt war. Damals ging es darum, dass er eine Woche Trainingsverbot bekommt, wenn seine schulischen Leistungen nachlassen. Es gibt keinen Spieler, mit dem ich mehr Vertragsgespräche geführt habe als mit Gonzo", sagte der Stuttgarter Sportvorstand.
Wie auch der Borussia selbst steht dem frischgebackenen Vater nun ein sportlicher Neustart bevor. In Dortmund war Castro ein guter Bundesligaspieler.
Für mehr fehlten ihm jedoch konstante Spielpraxis und die Wertschätzung des Trainers, die er lediglich unter Thomas Tuchel erfuhr. Unter dem heutigen PSG-Coach habe er sich "extrem verbessert", wie er der Bild erklärte: "Zum Beispiel, was das Gefühl für die richtigen Räume und das Timing betrifft."
Gonzalo Castro: Seine Einsatzzeiten unter Tuchel, Bosz und Stöger
Trainer | Saison(s) | Spiele | davon Startelf | auf der Bank |
Thomas Tuchel | 2015/16 - 2016/17 | 83 | 63 | 14 Prozent der Spiele |
Peter Bosz | 2017/18 | 18 | 13 | 14 Prozent der Spiele |
Peter Stöger | 2017/18 | 10 | 9 | 47 Prozent der Spiele |
Peter Stöger verzichtet auf Gonzalo Castro
Auf diese Qualität griff Interimstrainer Peter Stöger nicht zurück. Nach Castros desolatem Auftritt beim 0:6 gegen die Bayern spielte er keine Minute mehr. Kein Zugriff, Fehlpässe, Ballverlust vor dem 0:3. Nach 29 Minuten hatte Stöger Castro ausgewechselt. Höchststrafe.
Dieser letzte Pflichtspieleinsatz im gelben Trikot spiegelt jedoch das komplette Gegenteil dessen wider, was Castro eigentlich ausmacht: Ballsicherheit, Ruhe, Präzision, Aggressivität und Fleiß. Dass er diese Stärken in einer Saison, in der dem ganzen Team kaum etwas gelingt, nicht immer auf den Platz brachte, ist normal und keineswegs verwerflich.
"Die Zeit beim BVB war für den Kopf phasenweise sehr anstrengend. Der Anschlag auf unseren Bus hat uns Monate später noch in den Knochen gesteckt, auch wenn der Pokalsieg 2017 das etwas überstrahlt hat", erklärte Castro im Interview mit der Bild.
Die Erfahrungen aus der vergangenen Saison will er nun beim VfB einbringen. Dem ersten Eindruck zufolge kann die Zusammenarbeit zwischen Castro und dem VfB zu einer echten Liebesbeziehung werden. Auch wenn die Niederlage gegen Rostock das zunächst nicht vermuten lässt. Dann springt der Funke eben im zweiten Pflichtspiel über, wenn der VfB gegen Mainz in die Saison startet.