Hendrik Weydandt bei Hannover 96 vor dem BVB-Spiel: Hurra, der Mann vom Dorf ist da

Von Jonas Rütten
Vor vier Jahren noch Kreisliga, am Samstag Bundesliga-Debüt und gleich ein Tor: Hendrik Weydandt lebt aktuell in einer märchenhaften Fußball-Welt.
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Vor vier Jahren spielte Hendrik Weydandt noch in der Kreisliga. Eigentlich sollte er im Sommer die U23 von Hannover 96 verstärken und später die Steuerkanzlei seines Vaters übernehmen. Doch am Freitag trifft Weydandt mit den 96-Profis auf den BVB (20.30 Uhr im LIVETICKER).

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Es gibt sie doch noch, die romantischen Fußballgeschichten im knallharten Business Bundesliga. Dass eine von ihnen in dieser Saison ausgerechnet in Hannover spielt, ist angesichts des erbitterten Kampfes von 96-Präsident Martin Kind gegen die Abschaffung der 50+1-Regel zumindest eine Laune des Schicksals.

Dort an der Robert-Enke-Straße 3 kennen sie sich mit den Irrungen und Wirrungen einer Fußballer-Karriere aus. Vor der Saison machte Trainer Andre Breitenreiter beispielsweise Michael Esser zu seiner neuen Nummer eins. Der 30 Jahre alte Schlussmann hütete vor zwölf Jahren noch das Tor des VfB Habinghorst, eines Bezirksligisten aus Castrop-Rauxel. Esser, damals noch 120 Kilogramm schwer, schaffte es über Umwege in den Profifußball.

Das Wort "Märchen" fiel jedoch mit Blick auf Essers Weg in den Profifußball nie. Sprechen sie in Niedersachsen und überhaupt in der Bundesrepublik aktuell über Hendrik Weydandt, ist es hingegen in aller Munde. Als ein verrücktes Märchen bezeichnete Sportdriektor Horst Heldt am vergangenen Samstag die Geschichte des 23 Jahre alten Stürmers.

Weydandt, der vor vier Jahren noch in der Kreisliga im Hannoveraner Umland kickte, hatte die Niedersachsen zuvor gegen Werder Bremen in Führung geschossen. 75 Sekunden benötigte er bei seinem Debüt für sein erstes Bundesliga-Tor.

Bereits beim 6:0 der Hannoveraner im DFB-Pokal gegen den Karlsruher SC kam Weydandt, sah und traf - und das sogar doppelt. "Eine Wahnsinnsgeschichte", sagte Breitenreiter. Die der Trainer erst möglich machte, als er Weydandt in der Vorbereitung aus der U23 zu den Profis holte.

Hannover-96-Trainer Andre Breitenreiter: Hendrik Weydandt? "Kein Zufall"

Denn eigentlich sollte der 1,95 Meter große Stürmer lediglich die zweite Garde des Bundesligisten verstärken. Hannover war nach den guten Leistungen beim benachbarten Regionalligisten Germania Egestorf-Langreder auf Weydandt aufmerksam geworden.

Dieser hatte zwei Jahre zuvor die Germania mit einem Doppelpack in der Oberliga-Relegation gegen den SV Eichede in die 4. Liga geschossen und überzeugte mit 27 Treffern in den beiden darauffolgenden Regionalliga-Spielzeiten."Hendrik hatte viele Möglichkeiten zu wechseln", sagt Jan Zimmermann, sein ehemaliger Trainer in Egestorf. Wegen der Nähe zu Freunden, Familie und der Heimat habe er sich aber für Hannover II entschieden.

Doch so durchdacht die Entscheidung von Weydandt auch war, so sehr stellte sie sein Leben auf den Kopf. Denn Breitenreiter plagten Sorgen. Hannover sei "gerade im Offensivbereich zu Beginn der Vorbereitung nicht gut genug aufgestellt" gewesen. Daher habe man "einfach mal schauen" wollen, ob Weydandt seine Torjägerqualitäten auch bei den Profis einbringen könne.

Weydandt konnte und traf in neun Testspielen zehn Mal. Vom ersten Tag an habe sich Weydandt sehr gut präsentiert, "nicht nur auf dem Platz, sondern auch als Typ", resümiert der Trainer. Demütig und bescheiden sei der 23-Jährige, der sich all das, was gerade mit ihm geschehe, auch hart erarbeitet habe. "Deswegen ist es auch gar kein Zufall", sagt Breitenreiter.

Hendrik Weydandt (Mitte) beim Regionalliga-Spiel des 1. FC Germania Egestorf/Langreder gegen den SV Drochtersen/Assel.
© getty
Hendrik Weydandt (Mitte) beim Regionalliga-Spiel des 1. FC Germania Egestorf/Langreder gegen den SV Drochtersen/Assel.

Hendrik Weydandt bei Hannover 96: Auf den Spuren eines Weltmeisters

Harte Arbeit ist Weydandt nicht fremd. "Der Schritt von der Kreisliga in die 5. Liga war nicht zu verachten", sagt Zimmermann über den ersten großen Karrieresprung des Stürmers. Aber "Henne" sei ein zielstrebiger Mensch, der drangeblieben sei, "ein paar Kilo abgenommen" und sich ständig weiterentwickelt habe. 2014 war das. Weydandt verließ mit 19 Jahren seinen Jugendverein Groß Munzel und schloss sich der Germania aus dem Nachbardorf an.

Warum er trotz unbestreitbarer Qualitäten so lange bei einem Kreisligisten gespielt hat, weiß Marco Schikora nur zu schätzen. Weydandts ehemaliger Mitspieler bei Egestorf kann sich aber vorstellen, "dass er so lange in Groß Munzel geblieben ist, weil er noch ein bisschen länger mit seinen Freunden spielen wollte". Weydandt sei "ein bisschen ein Gewohnheitsmensch", sagte Schikora dem Sportbuzzer.

Fragt man im knapp 25 Kilometer von der HDI Arena entfernten Barsinghausen nach Weydandt, wird er immer wieder in einem Atemzug mit einem Weltmeister genannt. "Ich traue ihm auf jeden Fall zu, dass er es macht wie damals Miroslav Klose", sagt sein erster Trainer beim TSV Groß Munzel. Gustav Kuhn habe damals schon gesagt, dass es Weydandt packe.

Ein direkter Vergleich mit Klose verbietet sich zwar noch, doch Parallelen sind unübersehbar. Auch Klose spielte mit 20 Jahren noch in der Bezirksliga. Ein Jahr später gab er sein Bundesliga-Debüt für den 1. FC Kaiserslautern.

Weydandt wird Lizensspieler bei Hannover 96: "Du bist der beste Mann!"

Mit dem Hype gehe Weydandt total locker um, sagt Kuhn, der auf den Durchbruch seines ehemaligen Schützlings "seine Haustür verwettet" hätte. Die Haustür kann nun aber dort bleiben, wo sie ist. Heldt bestätigte, dass er gemeinsam mit Weydandts Vater Heinrich einen Profivertrag ausgehandelt habe.

Dessen Steuerkanzlei sollte "Henne" eigentlich nach seinem BWL-Studium übernehmen. Doch da Präsident Kind den Vertrag am Montag abgesegnet hat, muss diese Aufgabe warten. Durch den neuen Vertrag bezieht Weydandt ein Gehalt, das rund zehn Mal so hoch ist wie zuvor. Weydandt sei "einer, dem man es gönnt", sagt Teamkollege Kevin Wimmer.

Überhaupt sind alle in der Mannschaft froh, jemanden wie den 23-Jährigen dabei zu haben. Das bestätigte jüngst auch Niclas Füllkrug, der aber auch zu bedenken gab, dass Weydandt seinerseits davon profitiere, "in eine so homogene Truppe" zu kommen.

Ebenso profitiert Weydandt vom Vertrauen, das ihm Breitenreiter entgegenbringt. "Es war ein klares Signal, dass wir ihn heute beim Stand von 0:0 einwechseln", sagte der am Samstag.

Die Jokerrolle wird "Henne" am Freitagabend gegen Dortmund erneut ausfüllen, Füllkrug und Takuma Asano sind gesetzt. An den Liebesbekundungen der 96-Fans ändert dies ohnehin erst einmal nichts: "Henne, du bist der beste Mann!", schallte es letzte Woche durch das sich leerende Weserstadion. Märchenhaft!

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